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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Robert Zimmerlings Selbstbiographie

Erinnerungen eines sechzig Jahre mit gewordenen Mannes; sie hat kein Bild
derjenigen Zeit geliefert, worin sich dieses jedenfalls fruchtbare Leben entwickelt
und entfaltet hat; sie trägt auch nicht den Charakter von Bekenntnissen einer
Menschenseele, die sich vor der ewigen Wahrheit bescheiden entlasten will;
sondern überall bekundet sie etwas von all diesen Grundtypen von Selbst¬
biographien, im ganzen aber ist sie eine literarhistorische Apologie des Verfassers
selbst geworden. Die Kärrnerarbeit, die nach einem boshaften Worte die
Litteraturgelehrten nach dein Tode der großen Dichter und Schriftsteller zu
verrichten Pflegen, hat hier Hamerling, gleichsam hinter sich selber einher¬
gehend, selbst übernommen, er ist sein eigner Literarhistoriker in diesem Vnche
geworden. Und darum mangelt es ihm an Große, wie ihm diese Durch¬
kreuzung und Verflechtung der verschiednen Absichten die künstlerische Einheit
verdorben hat.

Die merkwürdige künstlerische Unklarheit und Unentschiedenheit, mit der
Hamerling an dieser Biographie gearbeitet hat, mag an einzelnen Stellen er¬
läutert werden. So teilt er aus dem Jahre 1848, wo er als achtzehnjähriger
Student der Wiener Universität auch in die revolutionäre Strömung mitgezogen
war, ein für den jungen Dichter fehr charakteristisches politisches Schriftstück
mit, das die "Aufgaben des Reichstages" so zusammenfaßte, wie er sie sich
in früher politischer Reife gedacht hatte. Aber unbefangen, mit der Sachlichkeit
des seiner Sache sichern Historikers vermag Hamerling so ein Aktenstück nicht
mitzuteilen, sondern er fügt noch folgende Glosse hinzu, die geradezu komisch
wirkt und zeigt, wie nervös der Erzähler ist: "Erscheint dieser jugendliche
Erguß zum Teil vielleicht als Echo der damaligen Zeitideen, so ist auch dieses
doch so stark individuell gefärbt, im guten und schlimmen Sinne so charakteristisch,
daß Freund und Feind über die Eitelkeit, die scheinbar in der Wiedergabe des
Artikels an dieser Stelle liegt, ohne sonderliches Hohngegrinse sich hinwegsetzen
kann." Diese Bemerkung ist geradezu krankhaft; denn als Geschichtschreiber,
und war es auch als sein eigner, hatte Hamerling die Pflicht, dergleichen
Aufsätze mitzuteilen, und nur sein fortwährendes Bemühen, nicht bloß seinen
Lebensgang darzustellen, sondern auch ihn zu beurteilen (gerade so wenig naiv
wie die Form seiner epischen Darstellung in: "König von Sion") hat ihn
fortwährend Feinde um sich sehen lassen. Ein andermal, wo er von seinem
fleißigen, aber auch entbehrungsreichen Studentenleben spricht, wo er sich arm¬
selig von Seminarstipendien und Studentengnben erhielt, berichtet er von seinen
vielfachen Beziehungen zu schönen Mädchen und bemerkt wieder, einen be¬
schränkten Leser voraussetzend: "Wenn ich bei dieser Gelegenheit eine ziemliche
Anzahl weiblicher Gestalten die Musterung Passiren lasse, so wird gegen den
Vorwurf der Flatterhaftigkeit mich die Beschaffenheit der Beziehungen schützen."
Hamerling war damals erst zwanzig Jahre alt. Welch einfältigen und bos¬
haften Leser setzt er voraus, wenn er befürchtet, daß der zwanzigjährige,


Robert Zimmerlings Selbstbiographie

Erinnerungen eines sechzig Jahre mit gewordenen Mannes; sie hat kein Bild
derjenigen Zeit geliefert, worin sich dieses jedenfalls fruchtbare Leben entwickelt
und entfaltet hat; sie trägt auch nicht den Charakter von Bekenntnissen einer
Menschenseele, die sich vor der ewigen Wahrheit bescheiden entlasten will;
sondern überall bekundet sie etwas von all diesen Grundtypen von Selbst¬
biographien, im ganzen aber ist sie eine literarhistorische Apologie des Verfassers
selbst geworden. Die Kärrnerarbeit, die nach einem boshaften Worte die
Litteraturgelehrten nach dein Tode der großen Dichter und Schriftsteller zu
verrichten Pflegen, hat hier Hamerling, gleichsam hinter sich selber einher¬
gehend, selbst übernommen, er ist sein eigner Literarhistoriker in diesem Vnche
geworden. Und darum mangelt es ihm an Große, wie ihm diese Durch¬
kreuzung und Verflechtung der verschiednen Absichten die künstlerische Einheit
verdorben hat.

Die merkwürdige künstlerische Unklarheit und Unentschiedenheit, mit der
Hamerling an dieser Biographie gearbeitet hat, mag an einzelnen Stellen er¬
läutert werden. So teilt er aus dem Jahre 1848, wo er als achtzehnjähriger
Student der Wiener Universität auch in die revolutionäre Strömung mitgezogen
war, ein für den jungen Dichter fehr charakteristisches politisches Schriftstück
mit, das die „Aufgaben des Reichstages" so zusammenfaßte, wie er sie sich
in früher politischer Reife gedacht hatte. Aber unbefangen, mit der Sachlichkeit
des seiner Sache sichern Historikers vermag Hamerling so ein Aktenstück nicht
mitzuteilen, sondern er fügt noch folgende Glosse hinzu, die geradezu komisch
wirkt und zeigt, wie nervös der Erzähler ist: „Erscheint dieser jugendliche
Erguß zum Teil vielleicht als Echo der damaligen Zeitideen, so ist auch dieses
doch so stark individuell gefärbt, im guten und schlimmen Sinne so charakteristisch,
daß Freund und Feind über die Eitelkeit, die scheinbar in der Wiedergabe des
Artikels an dieser Stelle liegt, ohne sonderliches Hohngegrinse sich hinwegsetzen
kann." Diese Bemerkung ist geradezu krankhaft; denn als Geschichtschreiber,
und war es auch als sein eigner, hatte Hamerling die Pflicht, dergleichen
Aufsätze mitzuteilen, und nur sein fortwährendes Bemühen, nicht bloß seinen
Lebensgang darzustellen, sondern auch ihn zu beurteilen (gerade so wenig naiv
wie die Form seiner epischen Darstellung in: „König von Sion") hat ihn
fortwährend Feinde um sich sehen lassen. Ein andermal, wo er von seinem
fleißigen, aber auch entbehrungsreichen Studentenleben spricht, wo er sich arm¬
selig von Seminarstipendien und Studentengnben erhielt, berichtet er von seinen
vielfachen Beziehungen zu schönen Mädchen und bemerkt wieder, einen be¬
schränkten Leser voraussetzend: „Wenn ich bei dieser Gelegenheit eine ziemliche
Anzahl weiblicher Gestalten die Musterung Passiren lasse, so wird gegen den
Vorwurf der Flatterhaftigkeit mich die Beschaffenheit der Beziehungen schützen."
Hamerling war damals erst zwanzig Jahre alt. Welch einfältigen und bos¬
haften Leser setzt er voraus, wenn er befürchtet, daß der zwanzigjährige,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/607>, abgerufen am 05.02.2025.