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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Robert Hamerlings Selbstbiographie

von innen über sich selbst gewonnen hatten, in einiger Harmonie mit dem¬
jenigen Bilde zu erfassen, das die andern zuschauenden Zeitgenossen von ihrem
Thun und Lassen empfangen hatten. Darum auch haben die bedeutenden
Männer, die eine Selbstbiographie geschrieben haben, darin am allerwenigsten
lscheinbar!) über sich selbst gesprochen. Sie brachten "Erinnerungen," Erlebnisse,
Charakterbilder ihrer nähern und fernern Zeitgenossen, Freunde und Freundinnen,
und nur mittelbar, auf dem Wege dieser Spiegelung des einzelnen in der Welt,
die ihn umgab, entstand ihr eignes Lebensbild.

Diesen Weg der sogenannten naiven Kunst, in Wahrheit den einzig künst¬
lerischen Weg hat Hamerling nicht eingeschlagen; grundsätzlich, wie er es öfter
betont, hatte er nur von sich selbst zu berichten sich vorgenommen, aber
auch sehr häufig dieses Vorhaben überschritten. Für deu, der Hamerlings
Dichtungen nicht bloß vom Standpunkt ihres reichen und bedeutenden
Gehalts gelesen hat, ist diese Form seiner Selbstbiographie nicht überraschend.
So glänzende Eigenschaften seine Poesie vielfach aufweist, so ist sie alles andre,
nur nicht naiv im künstlerischen Sinne. Alle seine Heldein der Nero und der
Ahasver, der Jan von Leyden, der Danton und der Robespierre, die Aspasia
und der Perikles, sie alle reflektiren fortwährend über sich selbst, schütten in
langen Reden ihr Herz vor uns aus, und weit mehr noch als durch das, was
sie thun, sollen sie sich durch das, was sie sagen, nach Hamerlings künstlerischer
Absicht charakterisiren. Er sagt dies ausdrücklich im "Epilog an die Kritiker,"
der dem Epos "Ahasver in Rom" angehängt ist, wo er von der "subjektiven
Charakteristik" spricht. Und vollends die Lyrik Hamerlings ist gar nicht naiv,
so geistreich, so melodisch, so farbenreich sie auch ist. Wohl ist Hamerling
Phantasiemensch, aber er ist es nicht ausschließlich, er ist auch zugleich
Philosoph. Die Phantasie konnte ihn wohl machtvoll erfassen und zu er¬
habenen und hinreißenden oder erschütternden, grotesken und üppigen Gemälden
begeistern, aber künstlerisch seine Phantasie zu beherrschen und zu erziehen ist
ihm nie gelungen, ganz aus sich selbst herauszutreten, um die Figuren in
reiner künstlerischer Objektivität darzustellen, hat er nur selten (in "Amor und
Psyche," seiner objektivster Dichtung) vermocht; immer galt ihm die geistreiche
Reflexion mindestens ebensoviel wie die objektive Handlung, und wo es bloß
auf diese ankam, um die gute Wirkung zu erzielen, nämlich zu fesseln und zu
spannen, wie in dem Roman "Aspasia," da war die Grenze seines Könnens.

Wie der Künstler, so der Mensch; das ist nirgends wahrer als in der
Poesie. Und weil uns die ganze Selbstbiographie Hamerlings doch nur des
Dichters wegen interessirt, darum sind wir auch von diesen rein ästhetischen
Bemerkungen ausgegangen, ans die Gefahr des Vorwurfes, abstrakt zu sein.
Der Mangel an Naivität in Hamerlings künstlerischem Charakter hat auch
seiner Selbstbiographie den Stenipel aufgedrückt. Sie ist nicht eine Reihe von
mehr oder weniger lmterhaltenden oder geschichtlich und biographisch wertvollen


Robert Hamerlings Selbstbiographie

von innen über sich selbst gewonnen hatten, in einiger Harmonie mit dem¬
jenigen Bilde zu erfassen, das die andern zuschauenden Zeitgenossen von ihrem
Thun und Lassen empfangen hatten. Darum auch haben die bedeutenden
Männer, die eine Selbstbiographie geschrieben haben, darin am allerwenigsten
lscheinbar!) über sich selbst gesprochen. Sie brachten „Erinnerungen," Erlebnisse,
Charakterbilder ihrer nähern und fernern Zeitgenossen, Freunde und Freundinnen,
und nur mittelbar, auf dem Wege dieser Spiegelung des einzelnen in der Welt,
die ihn umgab, entstand ihr eignes Lebensbild.

Diesen Weg der sogenannten naiven Kunst, in Wahrheit den einzig künst¬
lerischen Weg hat Hamerling nicht eingeschlagen; grundsätzlich, wie er es öfter
betont, hatte er nur von sich selbst zu berichten sich vorgenommen, aber
auch sehr häufig dieses Vorhaben überschritten. Für deu, der Hamerlings
Dichtungen nicht bloß vom Standpunkt ihres reichen und bedeutenden
Gehalts gelesen hat, ist diese Form seiner Selbstbiographie nicht überraschend.
So glänzende Eigenschaften seine Poesie vielfach aufweist, so ist sie alles andre,
nur nicht naiv im künstlerischen Sinne. Alle seine Heldein der Nero und der
Ahasver, der Jan von Leyden, der Danton und der Robespierre, die Aspasia
und der Perikles, sie alle reflektiren fortwährend über sich selbst, schütten in
langen Reden ihr Herz vor uns aus, und weit mehr noch als durch das, was
sie thun, sollen sie sich durch das, was sie sagen, nach Hamerlings künstlerischer
Absicht charakterisiren. Er sagt dies ausdrücklich im „Epilog an die Kritiker,"
der dem Epos „Ahasver in Rom" angehängt ist, wo er von der „subjektiven
Charakteristik" spricht. Und vollends die Lyrik Hamerlings ist gar nicht naiv,
so geistreich, so melodisch, so farbenreich sie auch ist. Wohl ist Hamerling
Phantasiemensch, aber er ist es nicht ausschließlich, er ist auch zugleich
Philosoph. Die Phantasie konnte ihn wohl machtvoll erfassen und zu er¬
habenen und hinreißenden oder erschütternden, grotesken und üppigen Gemälden
begeistern, aber künstlerisch seine Phantasie zu beherrschen und zu erziehen ist
ihm nie gelungen, ganz aus sich selbst herauszutreten, um die Figuren in
reiner künstlerischer Objektivität darzustellen, hat er nur selten (in „Amor und
Psyche," seiner objektivster Dichtung) vermocht; immer galt ihm die geistreiche
Reflexion mindestens ebensoviel wie die objektive Handlung, und wo es bloß
auf diese ankam, um die gute Wirkung zu erzielen, nämlich zu fesseln und zu
spannen, wie in dem Roman „Aspasia," da war die Grenze seines Könnens.

Wie der Künstler, so der Mensch; das ist nirgends wahrer als in der
Poesie. Und weil uns die ganze Selbstbiographie Hamerlings doch nur des
Dichters wegen interessirt, darum sind wir auch von diesen rein ästhetischen
Bemerkungen ausgegangen, ans die Gefahr des Vorwurfes, abstrakt zu sein.
Der Mangel an Naivität in Hamerlings künstlerischem Charakter hat auch
seiner Selbstbiographie den Stenipel aufgedrückt. Sie ist nicht eine Reihe von
mehr oder weniger lmterhaltenden oder geschichtlich und biographisch wertvollen


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[0606] Robert Hamerlings Selbstbiographie von innen über sich selbst gewonnen hatten, in einiger Harmonie mit dem¬ jenigen Bilde zu erfassen, das die andern zuschauenden Zeitgenossen von ihrem Thun und Lassen empfangen hatten. Darum auch haben die bedeutenden Männer, die eine Selbstbiographie geschrieben haben, darin am allerwenigsten lscheinbar!) über sich selbst gesprochen. Sie brachten „Erinnerungen," Erlebnisse, Charakterbilder ihrer nähern und fernern Zeitgenossen, Freunde und Freundinnen, und nur mittelbar, auf dem Wege dieser Spiegelung des einzelnen in der Welt, die ihn umgab, entstand ihr eignes Lebensbild. Diesen Weg der sogenannten naiven Kunst, in Wahrheit den einzig künst¬ lerischen Weg hat Hamerling nicht eingeschlagen; grundsätzlich, wie er es öfter betont, hatte er nur von sich selbst zu berichten sich vorgenommen, aber auch sehr häufig dieses Vorhaben überschritten. Für deu, der Hamerlings Dichtungen nicht bloß vom Standpunkt ihres reichen und bedeutenden Gehalts gelesen hat, ist diese Form seiner Selbstbiographie nicht überraschend. So glänzende Eigenschaften seine Poesie vielfach aufweist, so ist sie alles andre, nur nicht naiv im künstlerischen Sinne. Alle seine Heldein der Nero und der Ahasver, der Jan von Leyden, der Danton und der Robespierre, die Aspasia und der Perikles, sie alle reflektiren fortwährend über sich selbst, schütten in langen Reden ihr Herz vor uns aus, und weit mehr noch als durch das, was sie thun, sollen sie sich durch das, was sie sagen, nach Hamerlings künstlerischer Absicht charakterisiren. Er sagt dies ausdrücklich im „Epilog an die Kritiker," der dem Epos „Ahasver in Rom" angehängt ist, wo er von der „subjektiven Charakteristik" spricht. Und vollends die Lyrik Hamerlings ist gar nicht naiv, so geistreich, so melodisch, so farbenreich sie auch ist. Wohl ist Hamerling Phantasiemensch, aber er ist es nicht ausschließlich, er ist auch zugleich Philosoph. Die Phantasie konnte ihn wohl machtvoll erfassen und zu er¬ habenen und hinreißenden oder erschütternden, grotesken und üppigen Gemälden begeistern, aber künstlerisch seine Phantasie zu beherrschen und zu erziehen ist ihm nie gelungen, ganz aus sich selbst herauszutreten, um die Figuren in reiner künstlerischer Objektivität darzustellen, hat er nur selten (in „Amor und Psyche," seiner objektivster Dichtung) vermocht; immer galt ihm die geistreiche Reflexion mindestens ebensoviel wie die objektive Handlung, und wo es bloß auf diese ankam, um die gute Wirkung zu erzielen, nämlich zu fesseln und zu spannen, wie in dem Roman „Aspasia," da war die Grenze seines Könnens. Wie der Künstler, so der Mensch; das ist nirgends wahrer als in der Poesie. Und weil uns die ganze Selbstbiographie Hamerlings doch nur des Dichters wegen interessirt, darum sind wir auch von diesen rein ästhetischen Bemerkungen ausgegangen, ans die Gefahr des Vorwurfes, abstrakt zu sein. Der Mangel an Naivität in Hamerlings künstlerischem Charakter hat auch seiner Selbstbiographie den Stenipel aufgedrückt. Sie ist nicht eine Reihe von mehr oder weniger lmterhaltenden oder geschichtlich und biographisch wertvollen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/606>, abgerufen am 05.02.2025.