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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Das neue Gymnasium

machen" ? Der Fall ist erschütternd, ist aber doch wohl nur mit Einschränkung
mündlich zu verwerten, am Biertisch oder in einer Parteiversammlnng. Bei
genauerer Erwägung wiegt er federleicht. Als das Wesen des Gymnasiums
erscheint "lateinische Aufsätze und griechische Präparationen machen," ohne
Freude natürlich. Als Wesen der Jugendbildung, daß der Heranwachsende
von Anfang an technisch ans seinen besondern Beruf vorbereitet werde. (Wie
anders Seite 15! und ZI!) Und was soll das Ganze beweisen? Die Gleich¬
berechtigung -- mindestens! -- des Realgymnasiums; es ist gleichsam das
"Schach dem Könige!" mit dem Seite 71 das Büchlein schließt. Aber wenn
nun die Realschulen nie aus ihren Schranken herausgetreten wären, wenn sie
nie auf den Gedanken gekommen oder gebracht und darin bestärkt worden
wären, mit dem Gymnasium um die Wette zu laufen, "ans verschiedenen Wegen
zum gleichen Ziel"! Unser Fall, wie die ganze Gymnasialfrage, ist doch nur
dadurch entstanden, daß den Realgymnasien dieser Wettlauf auf der einen Seite
mit schönen Redensarten und durch Aufbürdung des Lateinischen nahegelegt,
und dann wiederum doch nicht ganz gestattet wurde. Nun giebt es aber doch
zwei Möglichkeiten der Entscheidung: außer der völligen Öffnung der Schranken
die völlige Schließung. Die Folge wäre vielleicht Schließung der Real¬
gymnasien und Umwandlung entweder in Gymnasien oder in höhere Bürger¬
schulen. Will man aber, was sehr zu wünschen wäre, die Entscheidung noch
hinausschieben, so ließe sich in einzelnen Fällen gewiß durch Dispense und
dergleichen helfen. Einstweilen ist, wie ich eben andeutete, der Ehrgeiz der
Realgymnasien als Pfahl im Fleisch unsers höher" Unterrichtswesens gar nicht
so sehr zu beklagen. Daß sie da sind und sich rühren, daß ein Mann wie
Paulsen ihnen das Wort redet und sie zwingt, sich offen zum Humanismus
zu bekennen, das ist zunächst noch sehr heilsam. Die Realgymnasien stellen
sich nicht mehr in prinzipiellen Gegensatz zur Gymnasialbildung. Aber auch
die Gymnasien werden gezwungen, sich zu besinnen. Sie werden erinnert, zum
mindesten den klassisch-humanistischen Unterricht nun auch wirklich humanistisch
zu verwerten, daneben jedoch den neuen Quellen des Humanismus sich nicht
ganz zu verschließen. Noch zehn oder zwanzig Jahre ruhiger Fortentwick¬
lung: dann mag man den Realgymnasien alle Rechte geben oder nehmen, es
wird nicht mehr viel ausmachen. Wies auch komme, das hoff ich noch aus
Paniscus Munde zu hören: auch das alte Gymnasium kann eine humanistische
Bildung geben, "jedenfalls eine ebenso gute als das neue -- vielleicht sogar
eine bessere."


Otto Schroeder


Das neue Gymnasium

machen" ? Der Fall ist erschütternd, ist aber doch wohl nur mit Einschränkung
mündlich zu verwerten, am Biertisch oder in einer Parteiversammlnng. Bei
genauerer Erwägung wiegt er federleicht. Als das Wesen des Gymnasiums
erscheint „lateinische Aufsätze und griechische Präparationen machen," ohne
Freude natürlich. Als Wesen der Jugendbildung, daß der Heranwachsende
von Anfang an technisch ans seinen besondern Beruf vorbereitet werde. (Wie
anders Seite 15! und ZI!) Und was soll das Ganze beweisen? Die Gleich¬
berechtigung — mindestens! — des Realgymnasiums; es ist gleichsam das
„Schach dem Könige!" mit dem Seite 71 das Büchlein schließt. Aber wenn
nun die Realschulen nie aus ihren Schranken herausgetreten wären, wenn sie
nie auf den Gedanken gekommen oder gebracht und darin bestärkt worden
wären, mit dem Gymnasium um die Wette zu laufen, „ans verschiedenen Wegen
zum gleichen Ziel"! Unser Fall, wie die ganze Gymnasialfrage, ist doch nur
dadurch entstanden, daß den Realgymnasien dieser Wettlauf auf der einen Seite
mit schönen Redensarten und durch Aufbürdung des Lateinischen nahegelegt,
und dann wiederum doch nicht ganz gestattet wurde. Nun giebt es aber doch
zwei Möglichkeiten der Entscheidung: außer der völligen Öffnung der Schranken
die völlige Schließung. Die Folge wäre vielleicht Schließung der Real¬
gymnasien und Umwandlung entweder in Gymnasien oder in höhere Bürger¬
schulen. Will man aber, was sehr zu wünschen wäre, die Entscheidung noch
hinausschieben, so ließe sich in einzelnen Fällen gewiß durch Dispense und
dergleichen helfen. Einstweilen ist, wie ich eben andeutete, der Ehrgeiz der
Realgymnasien als Pfahl im Fleisch unsers höher» Unterrichtswesens gar nicht
so sehr zu beklagen. Daß sie da sind und sich rühren, daß ein Mann wie
Paulsen ihnen das Wort redet und sie zwingt, sich offen zum Humanismus
zu bekennen, das ist zunächst noch sehr heilsam. Die Realgymnasien stellen
sich nicht mehr in prinzipiellen Gegensatz zur Gymnasialbildung. Aber auch
die Gymnasien werden gezwungen, sich zu besinnen. Sie werden erinnert, zum
mindesten den klassisch-humanistischen Unterricht nun auch wirklich humanistisch
zu verwerten, daneben jedoch den neuen Quellen des Humanismus sich nicht
ganz zu verschließen. Noch zehn oder zwanzig Jahre ruhiger Fortentwick¬
lung: dann mag man den Realgymnasien alle Rechte geben oder nehmen, es
wird nicht mehr viel ausmachen. Wies auch komme, das hoff ich noch aus
Paniscus Munde zu hören: auch das alte Gymnasium kann eine humanistische
Bildung geben, „jedenfalls eine ebenso gute als das neue — vielleicht sogar
eine bessere."


Otto Schroeder


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[0604] Das neue Gymnasium machen" ? Der Fall ist erschütternd, ist aber doch wohl nur mit Einschränkung mündlich zu verwerten, am Biertisch oder in einer Parteiversammlnng. Bei genauerer Erwägung wiegt er federleicht. Als das Wesen des Gymnasiums erscheint „lateinische Aufsätze und griechische Präparationen machen," ohne Freude natürlich. Als Wesen der Jugendbildung, daß der Heranwachsende von Anfang an technisch ans seinen besondern Beruf vorbereitet werde. (Wie anders Seite 15! und ZI!) Und was soll das Ganze beweisen? Die Gleich¬ berechtigung — mindestens! — des Realgymnasiums; es ist gleichsam das „Schach dem Könige!" mit dem Seite 71 das Büchlein schließt. Aber wenn nun die Realschulen nie aus ihren Schranken herausgetreten wären, wenn sie nie auf den Gedanken gekommen oder gebracht und darin bestärkt worden wären, mit dem Gymnasium um die Wette zu laufen, „ans verschiedenen Wegen zum gleichen Ziel"! Unser Fall, wie die ganze Gymnasialfrage, ist doch nur dadurch entstanden, daß den Realgymnasien dieser Wettlauf auf der einen Seite mit schönen Redensarten und durch Aufbürdung des Lateinischen nahegelegt, und dann wiederum doch nicht ganz gestattet wurde. Nun giebt es aber doch zwei Möglichkeiten der Entscheidung: außer der völligen Öffnung der Schranken die völlige Schließung. Die Folge wäre vielleicht Schließung der Real¬ gymnasien und Umwandlung entweder in Gymnasien oder in höhere Bürger¬ schulen. Will man aber, was sehr zu wünschen wäre, die Entscheidung noch hinausschieben, so ließe sich in einzelnen Fällen gewiß durch Dispense und dergleichen helfen. Einstweilen ist, wie ich eben andeutete, der Ehrgeiz der Realgymnasien als Pfahl im Fleisch unsers höher» Unterrichtswesens gar nicht so sehr zu beklagen. Daß sie da sind und sich rühren, daß ein Mann wie Paulsen ihnen das Wort redet und sie zwingt, sich offen zum Humanismus zu bekennen, das ist zunächst noch sehr heilsam. Die Realgymnasien stellen sich nicht mehr in prinzipiellen Gegensatz zur Gymnasialbildung. Aber auch die Gymnasien werden gezwungen, sich zu besinnen. Sie werden erinnert, zum mindesten den klassisch-humanistischen Unterricht nun auch wirklich humanistisch zu verwerten, daneben jedoch den neuen Quellen des Humanismus sich nicht ganz zu verschließen. Noch zehn oder zwanzig Jahre ruhiger Fortentwick¬ lung: dann mag man den Realgymnasien alle Rechte geben oder nehmen, es wird nicht mehr viel ausmachen. Wies auch komme, das hoff ich noch aus Paniscus Munde zu hören: auch das alte Gymnasium kann eine humanistische Bildung geben, „jedenfalls eine ebenso gute als das neue — vielleicht sogar eine bessere." Otto Schroeder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/604>, abgerufen am 05.02.2025.