Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Gstprenßen und die Getreidezölle

wäre es von den Märkten Deutschlands vollends verdrängt. Was endlich die
von dem Grafen Mirbach befürchtete Schädigung der deutschen Seehäfen be¬
trifft, so glaube" wir seineu Bedenken folgendes entgegensetzen zu können:
1. Die deutschen Seehäfen, namentlich Königsberg und Danzig, werden von
dem russischen Getreide als Ausfuhrhäfen stets benutzt werden, da die russischen
Häfen nicht, wie sie, eisfrei find, anch von den russischen Produktionsgebieten
entfernter als die deutschen gelegen sind; 2. die deutschen Seehäfen haben in
den letzten Jahrzehnten dadurch beträchtlich gewonnen, daß alle Eisenbahnen
des Aus- und Inlandes auf sie hingeführt sind; 3. das Erblühen der Hafen¬
städte ist ebenso wichtig als das Erblühen der kleinen Landstädte und der
Provinz, am wenigsten können die Hafenstädte auf Kosten der letzteren Vor¬
teile beanspruchen; 4. vor dem Bau der Eisenbahnen und vor den jetzigen
Tarifen waren die kleinen Landstädte vielfach blühende und für kleinere
Gebiete segensreich wirkende Handelsorte, in Ost- und Westpreußen beispiels¬
weise Elbing, Braunsberg, Bartenstein, Angerbnrg, Tilsit, Memel u. s. w.
Durch die Eisenbahnen ist allen diesen Orten der Handelsverkehr ganz oder
teilweise entzogen und nach Königsberg und Danzig gelenkt worden. Es ist
billig, einzelnen derselben und den Landstädten an den nach dem Westen
führenden Eisenbahnen wieder einen beschränkten Handelsverkehr einzuräumen,
was bei Ermäßigung der Getreidetarife nach dem Westen sogleich eintreten würde.

Wir geben diese Sätze dem vorurteilsfreien Leser zur eignen Erwägung.
Die Hafenstädte und ihre Handelskammern, deren Einfluß mit ihrem Reichtum
gewachsen ist, werde nunsre Sätze verwerfen, aber nicht widerlegen können. Wir
vertrauen den ehrenwerten Männern, die sich in der eingangs unsrer Schrift
gedachten Petition Hilfe suchend an den Kanzler des Reiches gewandt haben,
wir vertrauen vor allem diesen: und seiner eisernen Hand. Denn nur eine
solche kann Hilfe bringen. Das jetzige Eisenbahntarifwesen des In- und Aus¬
landes, die ueben dem Tarife gehenden Frachtvergütungen und sonstige künst¬
liche Transporterleichterungen, zu denen sich selbst Bestechungen hoher und
niederer Beamten des Auslandes gesellen sollen, bilden ein so fest und künstlich
verknotetes Gewebe, daß der einzelne, namentlich der Laie, es weder voll¬
ständig zu erkennen noch zu durchbrechen vermag. Wir müssen daher auf
Formulirung bestimmter Anträge betreffs der Getreidetarife Verzicht leisten
und möchten nur als Grundsatz für die neue Tarifirung das Verlangen stellen,
daß dem Osten geholfen, ihm also sein Überfluß an Getreide durch die Bahnen
abgenommen, daß anderseits dem Westen dadurch nicht geschadet, ihm also
nicht durch zu ermäßigte Tarife zu billiges Getreide zugeführt, vor allem aber
daß das ausländische Getreide überall aus dem Reiche durch ermäßigte Binnen¬
tarife verdrängt werde.

Sehen wir doch auf unsern westlichen Nachbar, lernen wir doch von
diesem unserm Feinde! Frankreich, durch viel höhere Getreidezölle als Deutsch-


Gstprenßen und die Getreidezölle

wäre es von den Märkten Deutschlands vollends verdrängt. Was endlich die
von dem Grafen Mirbach befürchtete Schädigung der deutschen Seehäfen be¬
trifft, so glaube» wir seineu Bedenken folgendes entgegensetzen zu können:
1. Die deutschen Seehäfen, namentlich Königsberg und Danzig, werden von
dem russischen Getreide als Ausfuhrhäfen stets benutzt werden, da die russischen
Häfen nicht, wie sie, eisfrei find, anch von den russischen Produktionsgebieten
entfernter als die deutschen gelegen sind; 2. die deutschen Seehäfen haben in
den letzten Jahrzehnten dadurch beträchtlich gewonnen, daß alle Eisenbahnen
des Aus- und Inlandes auf sie hingeführt sind; 3. das Erblühen der Hafen¬
städte ist ebenso wichtig als das Erblühen der kleinen Landstädte und der
Provinz, am wenigsten können die Hafenstädte auf Kosten der letzteren Vor¬
teile beanspruchen; 4. vor dem Bau der Eisenbahnen und vor den jetzigen
Tarifen waren die kleinen Landstädte vielfach blühende und für kleinere
Gebiete segensreich wirkende Handelsorte, in Ost- und Westpreußen beispiels¬
weise Elbing, Braunsberg, Bartenstein, Angerbnrg, Tilsit, Memel u. s. w.
Durch die Eisenbahnen ist allen diesen Orten der Handelsverkehr ganz oder
teilweise entzogen und nach Königsberg und Danzig gelenkt worden. Es ist
billig, einzelnen derselben und den Landstädten an den nach dem Westen
führenden Eisenbahnen wieder einen beschränkten Handelsverkehr einzuräumen,
was bei Ermäßigung der Getreidetarife nach dem Westen sogleich eintreten würde.

Wir geben diese Sätze dem vorurteilsfreien Leser zur eignen Erwägung.
Die Hafenstädte und ihre Handelskammern, deren Einfluß mit ihrem Reichtum
gewachsen ist, werde nunsre Sätze verwerfen, aber nicht widerlegen können. Wir
vertrauen den ehrenwerten Männern, die sich in der eingangs unsrer Schrift
gedachten Petition Hilfe suchend an den Kanzler des Reiches gewandt haben,
wir vertrauen vor allem diesen: und seiner eisernen Hand. Denn nur eine
solche kann Hilfe bringen. Das jetzige Eisenbahntarifwesen des In- und Aus¬
landes, die ueben dem Tarife gehenden Frachtvergütungen und sonstige künst¬
liche Transporterleichterungen, zu denen sich selbst Bestechungen hoher und
niederer Beamten des Auslandes gesellen sollen, bilden ein so fest und künstlich
verknotetes Gewebe, daß der einzelne, namentlich der Laie, es weder voll¬
ständig zu erkennen noch zu durchbrechen vermag. Wir müssen daher auf
Formulirung bestimmter Anträge betreffs der Getreidetarife Verzicht leisten
und möchten nur als Grundsatz für die neue Tarifirung das Verlangen stellen,
daß dem Osten geholfen, ihm also sein Überfluß an Getreide durch die Bahnen
abgenommen, daß anderseits dem Westen dadurch nicht geschadet, ihm also
nicht durch zu ermäßigte Tarife zu billiges Getreide zugeführt, vor allem aber
daß das ausländische Getreide überall aus dem Reiche durch ermäßigte Binnen¬
tarife verdrängt werde.

Sehen wir doch auf unsern westlichen Nachbar, lernen wir doch von
diesem unserm Feinde! Frankreich, durch viel höhere Getreidezölle als Deutsch-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0597" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205328"/>
          <fw type="header" place="top"> Gstprenßen und die Getreidezölle</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1674" prev="#ID_1673"> wäre es von den Märkten Deutschlands vollends verdrängt. Was endlich die<lb/>
von dem Grafen Mirbach befürchtete Schädigung der deutschen Seehäfen be¬<lb/>
trifft, so glaube» wir seineu Bedenken folgendes entgegensetzen zu können:<lb/>
1. Die deutschen Seehäfen, namentlich Königsberg und Danzig, werden von<lb/>
dem russischen Getreide als Ausfuhrhäfen stets benutzt werden, da die russischen<lb/>
Häfen nicht, wie sie, eisfrei find, anch von den russischen Produktionsgebieten<lb/>
entfernter als die deutschen gelegen sind; 2. die deutschen Seehäfen haben in<lb/>
den letzten Jahrzehnten dadurch beträchtlich gewonnen, daß alle Eisenbahnen<lb/>
des Aus- und Inlandes auf sie hingeführt sind; 3. das Erblühen der Hafen¬<lb/>
städte ist ebenso wichtig als das Erblühen der kleinen Landstädte und der<lb/>
Provinz, am wenigsten können die Hafenstädte auf Kosten der letzteren Vor¬<lb/>
teile beanspruchen; 4. vor dem Bau der Eisenbahnen und vor den jetzigen<lb/>
Tarifen waren die kleinen Landstädte vielfach blühende und für kleinere<lb/>
Gebiete segensreich wirkende Handelsorte, in Ost- und Westpreußen beispiels¬<lb/>
weise Elbing, Braunsberg, Bartenstein, Angerbnrg, Tilsit, Memel u. s. w.<lb/>
Durch die Eisenbahnen ist allen diesen Orten der Handelsverkehr ganz oder<lb/>
teilweise entzogen und nach Königsberg und Danzig gelenkt worden. Es ist<lb/>
billig, einzelnen derselben und den Landstädten an den nach dem Westen<lb/>
führenden Eisenbahnen wieder einen beschränkten Handelsverkehr einzuräumen,<lb/>
was bei Ermäßigung der Getreidetarife nach dem Westen sogleich eintreten würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1675"> Wir geben diese Sätze dem vorurteilsfreien Leser zur eignen Erwägung.<lb/>
Die Hafenstädte und ihre Handelskammern, deren Einfluß mit ihrem Reichtum<lb/>
gewachsen ist, werde nunsre Sätze verwerfen, aber nicht widerlegen können. Wir<lb/>
vertrauen den ehrenwerten Männern, die sich in der eingangs unsrer Schrift<lb/>
gedachten Petition Hilfe suchend an den Kanzler des Reiches gewandt haben,<lb/>
wir vertrauen vor allem diesen: und seiner eisernen Hand. Denn nur eine<lb/>
solche kann Hilfe bringen. Das jetzige Eisenbahntarifwesen des In- und Aus¬<lb/>
landes, die ueben dem Tarife gehenden Frachtvergütungen und sonstige künst¬<lb/>
liche Transporterleichterungen, zu denen sich selbst Bestechungen hoher und<lb/>
niederer Beamten des Auslandes gesellen sollen, bilden ein so fest und künstlich<lb/>
verknotetes Gewebe, daß der einzelne, namentlich der Laie, es weder voll¬<lb/>
ständig zu erkennen noch zu durchbrechen vermag. Wir müssen daher auf<lb/>
Formulirung bestimmter Anträge betreffs der Getreidetarife Verzicht leisten<lb/>
und möchten nur als Grundsatz für die neue Tarifirung das Verlangen stellen,<lb/>
daß dem Osten geholfen, ihm also sein Überfluß an Getreide durch die Bahnen<lb/>
abgenommen, daß anderseits dem Westen dadurch nicht geschadet, ihm also<lb/>
nicht durch zu ermäßigte Tarife zu billiges Getreide zugeführt, vor allem aber<lb/>
daß das ausländische Getreide überall aus dem Reiche durch ermäßigte Binnen¬<lb/>
tarife verdrängt werde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1676" next="#ID_1677"> Sehen wir doch auf unsern westlichen Nachbar, lernen wir doch von<lb/>
diesem unserm Feinde! Frankreich, durch viel höhere Getreidezölle als Deutsch-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0597] Gstprenßen und die Getreidezölle wäre es von den Märkten Deutschlands vollends verdrängt. Was endlich die von dem Grafen Mirbach befürchtete Schädigung der deutschen Seehäfen be¬ trifft, so glaube» wir seineu Bedenken folgendes entgegensetzen zu können: 1. Die deutschen Seehäfen, namentlich Königsberg und Danzig, werden von dem russischen Getreide als Ausfuhrhäfen stets benutzt werden, da die russischen Häfen nicht, wie sie, eisfrei find, anch von den russischen Produktionsgebieten entfernter als die deutschen gelegen sind; 2. die deutschen Seehäfen haben in den letzten Jahrzehnten dadurch beträchtlich gewonnen, daß alle Eisenbahnen des Aus- und Inlandes auf sie hingeführt sind; 3. das Erblühen der Hafen¬ städte ist ebenso wichtig als das Erblühen der kleinen Landstädte und der Provinz, am wenigsten können die Hafenstädte auf Kosten der letzteren Vor¬ teile beanspruchen; 4. vor dem Bau der Eisenbahnen und vor den jetzigen Tarifen waren die kleinen Landstädte vielfach blühende und für kleinere Gebiete segensreich wirkende Handelsorte, in Ost- und Westpreußen beispiels¬ weise Elbing, Braunsberg, Bartenstein, Angerbnrg, Tilsit, Memel u. s. w. Durch die Eisenbahnen ist allen diesen Orten der Handelsverkehr ganz oder teilweise entzogen und nach Königsberg und Danzig gelenkt worden. Es ist billig, einzelnen derselben und den Landstädten an den nach dem Westen führenden Eisenbahnen wieder einen beschränkten Handelsverkehr einzuräumen, was bei Ermäßigung der Getreidetarife nach dem Westen sogleich eintreten würde. Wir geben diese Sätze dem vorurteilsfreien Leser zur eignen Erwägung. Die Hafenstädte und ihre Handelskammern, deren Einfluß mit ihrem Reichtum gewachsen ist, werde nunsre Sätze verwerfen, aber nicht widerlegen können. Wir vertrauen den ehrenwerten Männern, die sich in der eingangs unsrer Schrift gedachten Petition Hilfe suchend an den Kanzler des Reiches gewandt haben, wir vertrauen vor allem diesen: und seiner eisernen Hand. Denn nur eine solche kann Hilfe bringen. Das jetzige Eisenbahntarifwesen des In- und Aus¬ landes, die ueben dem Tarife gehenden Frachtvergütungen und sonstige künst¬ liche Transporterleichterungen, zu denen sich selbst Bestechungen hoher und niederer Beamten des Auslandes gesellen sollen, bilden ein so fest und künstlich verknotetes Gewebe, daß der einzelne, namentlich der Laie, es weder voll¬ ständig zu erkennen noch zu durchbrechen vermag. Wir müssen daher auf Formulirung bestimmter Anträge betreffs der Getreidetarife Verzicht leisten und möchten nur als Grundsatz für die neue Tarifirung das Verlangen stellen, daß dem Osten geholfen, ihm also sein Überfluß an Getreide durch die Bahnen abgenommen, daß anderseits dem Westen dadurch nicht geschadet, ihm also nicht durch zu ermäßigte Tarife zu billiges Getreide zugeführt, vor allem aber daß das ausländische Getreide überall aus dem Reiche durch ermäßigte Binnen¬ tarife verdrängt werde. Sehen wir doch auf unsern westlichen Nachbar, lernen wir doch von diesem unserm Feinde! Frankreich, durch viel höhere Getreidezölle als Deutsch-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/597
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/597>, abgerufen am 06.02.2025.