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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Ostpreußen und die Getreidezölle

Hafen, Königsberg, Danzig, Stettin, zu bringen, von wo es sodann zu Wasser,
meistens aus ausländischen (!) Schiffen nach Rotterdam und nach erfolgter
Umladung, aber ebenfalls auf ausländischen (!) Schiffen, auf dem deutschen
Rheinstrome nach Köln und Mannheim gebracht wird. Das norddeutsche Ge¬
treide muß auf diesem Wege gegen die Luft- und anch gegen die Eisenbahn¬
linie die doppelte Entfernung zurücklegen, muß auch bis zum Seehafen eine
hohe Eisenbahnfracht zahlen, die Kosten zwei- bis dreimaliger Umladung, die
Spesen mehrerer Zwischenhändler und die Kosten und Verluste der See- und
Flußschifffahrt tragen. Bei angemessen ermäßigten, nach den Entfernungen
abgestuften Tarifen würden die norddeutschen Produzenten, beispielsweise Graf
Mirbcich von Station Rothfließ der Thorn-Jnsterbnrger Bahn und Graf
Stolberg von Station Pvltsdorf der Ostpreußischen Südbahn, ihre mit Weizen
beladnen Wagen nicht um den Makler in Königsberg, sonder an den Makler
in Köln oder Mannheim senden können und würden von dort in spätestens
acht Tagen den um 1 bis 2 Mark für deu Zentner höhern Erlös erhalten.
Zum Besten aber der vielen Tausende von kleinen und mittleren Besitzern,
die hundertmal mehr Weizen bauen, als die beiden Grafen, würden sich
in allen Städten und Stationen der von Osten nach Westen führenden
Eisenbahnen Kaufleute ansiedeln, die das Getreide aufkaufen und nach dein
Westen befördern, dabei dem Bauern und mittleren Besitzer ebenfalls 1 bis
2 Mark für den Zentner mehr als jetzt die Kaufleute im Seehafen bezahlen.
Graf Mirbach erkennt zwar in seiner mehrgedachten Schrift diese aus er¬
mäßigten Eisenbahntarifen entspringenden Vorteile für die norddeutsche Land¬
wirtschaft ebenfalls an, erachtet sie aber wegen der dadurch entstehenden
Verringerung der Eiseilbahneinnahmen und deshalb für unmöglich, weil
Staatsverträge mit dem Auslande dem ausländischen Getreide dieselben Tarif-
ermäßignngen zusagen und überdies der Handel der Seehäfen schwer geschädigt
werden würde. Alle diese Bedenken treffen aber nicht zu. Dem Reiche oder
den einzelnen Staateil des Reiches ist eine Verringerung der Eisenbahu-
einnahmeil viel eher zuzumuten, als der Verlust des Getreidezvlles bei dem
Ampachschen Antrage oder gar die Zahlung der Stolbergschen Ausfuhrprämien.
Auch von den Privatbahnen kann lülligerweise eine Verringerung der Getreide¬
tarife bis nahe an die Grenze der Selbstkosten verlangt werden. Staats-
verträge, nach denen dem russischen oder österreichischen Getreide gleiche Tarif-
ermüßigungen im Inlande wie dem deutschen zugestanden waren, sind uns
nicht bekannt. Wären solche Verträge vorhanden, so würden sie alle Bedeu-
tung verlieren, da das russische Getreide -- für den Norden und Osten Deutsch¬
lands der einzige Konkurrenzgegenstand -- zu sehr billigen Bahntarifeu nur
unter der Bedingung zu uns gelaugt, daß es seewärts ausgeführt wird.
Wollte das russische Getreide an dem billigen Binnentarife teilnehmen, so
müßte es auf deu sehr billigen internationalen Tarif Verzicht leisten, und damit


Ostpreußen und die Getreidezölle

Hafen, Königsberg, Danzig, Stettin, zu bringen, von wo es sodann zu Wasser,
meistens aus ausländischen (!) Schiffen nach Rotterdam und nach erfolgter
Umladung, aber ebenfalls auf ausländischen (!) Schiffen, auf dem deutschen
Rheinstrome nach Köln und Mannheim gebracht wird. Das norddeutsche Ge¬
treide muß auf diesem Wege gegen die Luft- und anch gegen die Eisenbahn¬
linie die doppelte Entfernung zurücklegen, muß auch bis zum Seehafen eine
hohe Eisenbahnfracht zahlen, die Kosten zwei- bis dreimaliger Umladung, die
Spesen mehrerer Zwischenhändler und die Kosten und Verluste der See- und
Flußschifffahrt tragen. Bei angemessen ermäßigten, nach den Entfernungen
abgestuften Tarifen würden die norddeutschen Produzenten, beispielsweise Graf
Mirbcich von Station Rothfließ der Thorn-Jnsterbnrger Bahn und Graf
Stolberg von Station Pvltsdorf der Ostpreußischen Südbahn, ihre mit Weizen
beladnen Wagen nicht um den Makler in Königsberg, sonder an den Makler
in Köln oder Mannheim senden können und würden von dort in spätestens
acht Tagen den um 1 bis 2 Mark für deu Zentner höhern Erlös erhalten.
Zum Besten aber der vielen Tausende von kleinen und mittleren Besitzern,
die hundertmal mehr Weizen bauen, als die beiden Grafen, würden sich
in allen Städten und Stationen der von Osten nach Westen führenden
Eisenbahnen Kaufleute ansiedeln, die das Getreide aufkaufen und nach dein
Westen befördern, dabei dem Bauern und mittleren Besitzer ebenfalls 1 bis
2 Mark für den Zentner mehr als jetzt die Kaufleute im Seehafen bezahlen.
Graf Mirbach erkennt zwar in seiner mehrgedachten Schrift diese aus er¬
mäßigten Eisenbahntarifen entspringenden Vorteile für die norddeutsche Land¬
wirtschaft ebenfalls an, erachtet sie aber wegen der dadurch entstehenden
Verringerung der Eiseilbahneinnahmen und deshalb für unmöglich, weil
Staatsverträge mit dem Auslande dem ausländischen Getreide dieselben Tarif-
ermäßignngen zusagen und überdies der Handel der Seehäfen schwer geschädigt
werden würde. Alle diese Bedenken treffen aber nicht zu. Dem Reiche oder
den einzelnen Staateil des Reiches ist eine Verringerung der Eisenbahu-
einnahmeil viel eher zuzumuten, als der Verlust des Getreidezvlles bei dem
Ampachschen Antrage oder gar die Zahlung der Stolbergschen Ausfuhrprämien.
Auch von den Privatbahnen kann lülligerweise eine Verringerung der Getreide¬
tarife bis nahe an die Grenze der Selbstkosten verlangt werden. Staats-
verträge, nach denen dem russischen oder österreichischen Getreide gleiche Tarif-
ermüßigungen im Inlande wie dem deutschen zugestanden waren, sind uns
nicht bekannt. Wären solche Verträge vorhanden, so würden sie alle Bedeu-
tung verlieren, da das russische Getreide — für den Norden und Osten Deutsch¬
lands der einzige Konkurrenzgegenstand — zu sehr billigen Bahntarifeu nur
unter der Bedingung zu uns gelaugt, daß es seewärts ausgeführt wird.
Wollte das russische Getreide an dem billigen Binnentarife teilnehmen, so
müßte es auf deu sehr billigen internationalen Tarif Verzicht leisten, und damit


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[0596] Ostpreußen und die Getreidezölle Hafen, Königsberg, Danzig, Stettin, zu bringen, von wo es sodann zu Wasser, meistens aus ausländischen (!) Schiffen nach Rotterdam und nach erfolgter Umladung, aber ebenfalls auf ausländischen (!) Schiffen, auf dem deutschen Rheinstrome nach Köln und Mannheim gebracht wird. Das norddeutsche Ge¬ treide muß auf diesem Wege gegen die Luft- und anch gegen die Eisenbahn¬ linie die doppelte Entfernung zurücklegen, muß auch bis zum Seehafen eine hohe Eisenbahnfracht zahlen, die Kosten zwei- bis dreimaliger Umladung, die Spesen mehrerer Zwischenhändler und die Kosten und Verluste der See- und Flußschifffahrt tragen. Bei angemessen ermäßigten, nach den Entfernungen abgestuften Tarifen würden die norddeutschen Produzenten, beispielsweise Graf Mirbcich von Station Rothfließ der Thorn-Jnsterbnrger Bahn und Graf Stolberg von Station Pvltsdorf der Ostpreußischen Südbahn, ihre mit Weizen beladnen Wagen nicht um den Makler in Königsberg, sonder an den Makler in Köln oder Mannheim senden können und würden von dort in spätestens acht Tagen den um 1 bis 2 Mark für deu Zentner höhern Erlös erhalten. Zum Besten aber der vielen Tausende von kleinen und mittleren Besitzern, die hundertmal mehr Weizen bauen, als die beiden Grafen, würden sich in allen Städten und Stationen der von Osten nach Westen führenden Eisenbahnen Kaufleute ansiedeln, die das Getreide aufkaufen und nach dein Westen befördern, dabei dem Bauern und mittleren Besitzer ebenfalls 1 bis 2 Mark für den Zentner mehr als jetzt die Kaufleute im Seehafen bezahlen. Graf Mirbach erkennt zwar in seiner mehrgedachten Schrift diese aus er¬ mäßigten Eisenbahntarifen entspringenden Vorteile für die norddeutsche Land¬ wirtschaft ebenfalls an, erachtet sie aber wegen der dadurch entstehenden Verringerung der Eiseilbahneinnahmen und deshalb für unmöglich, weil Staatsverträge mit dem Auslande dem ausländischen Getreide dieselben Tarif- ermäßignngen zusagen und überdies der Handel der Seehäfen schwer geschädigt werden würde. Alle diese Bedenken treffen aber nicht zu. Dem Reiche oder den einzelnen Staateil des Reiches ist eine Verringerung der Eisenbahu- einnahmeil viel eher zuzumuten, als der Verlust des Getreidezvlles bei dem Ampachschen Antrage oder gar die Zahlung der Stolbergschen Ausfuhrprämien. Auch von den Privatbahnen kann lülligerweise eine Verringerung der Getreide¬ tarife bis nahe an die Grenze der Selbstkosten verlangt werden. Staats- verträge, nach denen dem russischen oder österreichischen Getreide gleiche Tarif- ermüßigungen im Inlande wie dem deutschen zugestanden waren, sind uns nicht bekannt. Wären solche Verträge vorhanden, so würden sie alle Bedeu- tung verlieren, da das russische Getreide — für den Norden und Osten Deutsch¬ lands der einzige Konkurrenzgegenstand — zu sehr billigen Bahntarifeu nur unter der Bedingung zu uns gelaugt, daß es seewärts ausgeführt wird. Wollte das russische Getreide an dem billigen Binnentarife teilnehmen, so müßte es auf deu sehr billigen internationalen Tarif Verzicht leisten, und damit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/596>, abgerufen am 06.02.2025.