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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Der an der Spitze der Unterzeichner befindliche hochverehrte General-
Feldmarschall Graf Moltke, Reichtagsabgeordneter für Memel-Heydekrug, und
die übrigen Bittsteller sind uneigennützige, wahre Freunde der Provinz,
und mit dankerfüllten Herzen lesen die ostpreußischen Landwirte gerade jetzt
ihre hilfeversprechenden Worte. Denn der überaus strenge Winter und die un¬
erhörte Dürre des Frühjahrs haben den Saaten schweren Schaden gebracht.
Im Wintergetreide ist eine vollständige Mißernte zu erwarten, im großen
Durchschnitt nicht viel mehr als die Hälfte einer gewöhnlichen Ernte. Auf
alle" schlechter!! Bauerländereien, die namentlich im Süden der Provinz in
großen Flächen vorkommen, wird nicht die Saat gewonnen werden. Dabei
steigen die Getreidepreise nicht, sondern sie sinken infolge der in Amerika und
im Westen Europas herrschende" günstigen Witterung, und anch dieses Jahr
bringt wieder eine große Zahl kleiner und mittlerer Besitzer zum Bankerott.
Denn die großen Besitzer, deren Zahl in Ostpreußen bekanntlich sehr gering
ist, werden durch die höhere Kultur ihrer Ländereien gegen Mißernten besser
geschützt, finden auch in der Pferde- und Viehzucht oder in dein großen Milch¬
wirtschaftsbetriebe anderweite Hilfsmittel.

Die Petition der Reichstagsabgeordneten erbittet Reichshilfe, und der
Besitzer, der seinen Untergang vorhersieht, erwartet diese vielfach verkündete
Hilfe endlich. Eine Mißernte, wie die in diesem Jahre bevorstehende, muß
-- so sagt sich jeder -- muß Hilfe bringen, das Reich muß helfen, wenn es
nicht eine halbe Provinz verlieren will.

Der Getreidezoll ist eingeführt, auch die letzte Erhöhung desselben ist be¬
schlossen worden lediglich zur Förderung der östlichen Provinzen. Und was
hat sich als Erfolg dieser Maßregel herausgestellt? Die östlichen Provinzen,
insbesondre Ostpreußen, haben durch den Getreidezoll nur eine geringe Stei¬
gerung der Getreidepreise gewonnen, während die westlichen Provinzen sich
wesentlich erhöhter Preise erfreuen.

Aber dieses bedauerliche Ergebnis war vorauszusehen. Statt, wie es
mindestens notwendig war, den vom Bundesrate mit 6 Mark für den
Doppelzentner vorgeschlagene" Zoll zu genehmigen, hat der Reichstag auf
Veranlassung des Zentrums eine Ermäßigung des Zolles bis auf 5 Mark
beschlossen und hat geglaubt, mit dieser einzigen Maßregel dem Westen und
Osten des Reiches gleiche Hilfe zu bringen. Darin liegt ein offenbarer und
wesentlicher Irrtum. Der Westen führt ein, der Osten führt ans. Die Bahu-
fracht von zehn Doppelzentnern Getreide von Königsberg nach Köln beträgt^)
46,65 Mark, erreicht also nahezu die Höhe des Zvllbetrags von 50 Mark,



Nach der Abhandlung des Grafen Mnbach über den Wegfall des Identitätsnachweises.
Einzelabdruck ans dem Deutschen Wochenblatt. Wir werden ans die Schrift mehrfach Bezug
nehmen.

Der an der Spitze der Unterzeichner befindliche hochverehrte General-
Feldmarschall Graf Moltke, Reichtagsabgeordneter für Memel-Heydekrug, und
die übrigen Bittsteller sind uneigennützige, wahre Freunde der Provinz,
und mit dankerfüllten Herzen lesen die ostpreußischen Landwirte gerade jetzt
ihre hilfeversprechenden Worte. Denn der überaus strenge Winter und die un¬
erhörte Dürre des Frühjahrs haben den Saaten schweren Schaden gebracht.
Im Wintergetreide ist eine vollständige Mißernte zu erwarten, im großen
Durchschnitt nicht viel mehr als die Hälfte einer gewöhnlichen Ernte. Auf
alle» schlechter!! Bauerländereien, die namentlich im Süden der Provinz in
großen Flächen vorkommen, wird nicht die Saat gewonnen werden. Dabei
steigen die Getreidepreise nicht, sondern sie sinken infolge der in Amerika und
im Westen Europas herrschende» günstigen Witterung, und anch dieses Jahr
bringt wieder eine große Zahl kleiner und mittlerer Besitzer zum Bankerott.
Denn die großen Besitzer, deren Zahl in Ostpreußen bekanntlich sehr gering
ist, werden durch die höhere Kultur ihrer Ländereien gegen Mißernten besser
geschützt, finden auch in der Pferde- und Viehzucht oder in dein großen Milch¬
wirtschaftsbetriebe anderweite Hilfsmittel.

Die Petition der Reichstagsabgeordneten erbittet Reichshilfe, und der
Besitzer, der seinen Untergang vorhersieht, erwartet diese vielfach verkündete
Hilfe endlich. Eine Mißernte, wie die in diesem Jahre bevorstehende, muß
— so sagt sich jeder — muß Hilfe bringen, das Reich muß helfen, wenn es
nicht eine halbe Provinz verlieren will.

Der Getreidezoll ist eingeführt, auch die letzte Erhöhung desselben ist be¬
schlossen worden lediglich zur Förderung der östlichen Provinzen. Und was
hat sich als Erfolg dieser Maßregel herausgestellt? Die östlichen Provinzen,
insbesondre Ostpreußen, haben durch den Getreidezoll nur eine geringe Stei¬
gerung der Getreidepreise gewonnen, während die westlichen Provinzen sich
wesentlich erhöhter Preise erfreuen.

Aber dieses bedauerliche Ergebnis war vorauszusehen. Statt, wie es
mindestens notwendig war, den vom Bundesrate mit 6 Mark für den
Doppelzentner vorgeschlagene» Zoll zu genehmigen, hat der Reichstag auf
Veranlassung des Zentrums eine Ermäßigung des Zolles bis auf 5 Mark
beschlossen und hat geglaubt, mit dieser einzigen Maßregel dem Westen und
Osten des Reiches gleiche Hilfe zu bringen. Darin liegt ein offenbarer und
wesentlicher Irrtum. Der Westen führt ein, der Osten führt ans. Die Bahu-
fracht von zehn Doppelzentnern Getreide von Königsberg nach Köln beträgt^)
46,65 Mark, erreicht also nahezu die Höhe des Zvllbetrags von 50 Mark,



Nach der Abhandlung des Grafen Mnbach über den Wegfall des Identitätsnachweises.
Einzelabdruck ans dem Deutschen Wochenblatt. Wir werden ans die Schrift mehrfach Bezug
nehmen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/586>, abgerufen am 05.02.2025.