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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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10 Regimenter, zusammen 60 Schwadronen, die nicht mehr als 200 bis 300 Kilo
meter bis zur russischen Grenze haben, und von allen diesen Punkten führen
leistungsfähige Bahnen nach Galizien. Dazu kommt, daß die zwischen Donau
und Theiß sowie die in Böhmen stehenden 8 Kavallerieregimenter ohne Verzug
nach Galizien befördert werden können, und so werden binnen kurzem 27 solche
Regimenter oder 162 Schwadronen den russischen Reitern die Spitze bieten.
Noch günstiger gestaltet sich die Lage dnrch den Umstand, daß die in Kielep-
Ceustochau stehende russische Kavalleriedivision durch das in Kraken befindliche
österreichische Reiterregiment, das sich auf die Festung stützen kann, in Schach
gehalten wird, daß die beiden Reiterregimenter in Tarnopol und Czernowitz
der zuletzt erwähnten russische" Division, unterstützt von den nächsten Jnfanterie-
abteilungen, gewachsen sein werden, und daß von den übrigen 6 österreichischen
Kavallerieregimentern deu beiden russischen Reiterdivisionen in Dubno und
Zamvse gegenüber dasselbe gilt, und so kann von ernstlichem Schaden durch
die Reitermassen, die Rußland in den westlichen Grenzgegenden versammelt
hat, nicht die Rede sein.

Welche Truppen das Deutsche Reich bei einem Angriffe Rußlands auf
Österreich aufstelle" wird, um seiner Bundespflicht zu genügen, wird davon
abhängen, ob Italien sich nu einem Kriege Deutschlands mit Frankreich aktiv
beteiligen wird. Jedenfalls wird das Reich an seiner Ostgrenze, etwa bei Pose"
oder Thor", einige Armeekorps versammeln, die vermittelst eines strategisch
vortrefflich angelegten Eisenbahnnetzes rasch nach jedem Pnnkte der Grenzlande
befördert werden können, der zunächst gefährdet ist. Die Ausgabe dieser
Truppen ist eine doppelte: Verhinderung eines Einbruchs der Russen in
das Reich und Verhinderung eines möglichst starken Teiles der Russen, sich
an dein Entscheidungskampfe zu beteiligen, der hier im Osten zwischen Osterreich
und Rußland auszufechten ist. Russischerseits werden zunächst die in Kvngreß-
pvlen stehenden 16 Divisionen mobil gemacht, können aber nicht vor Verlauf
von zehn Tagen operntivnsfähig sein. Sie werden die Mobilisiruug der übrige"
Korps und ihren Aufmarsch an der Westgrenze, wozu vier Wochen erforderlich
sind, zu decken versuchen, aber wahrscheinlich bis ans weiteres jedem ernsten
Zusammenstoße und Kampfe auf dem linken Ufer der Weichsel ausweiche".
Die Ziele, die Rußland mit diesem Kriege verfolgt, legen den Schwerpunkt
uns den linken Flügel seiner Angriffsfront, sein Zweck, Erlangung des Über¬
gewichtes ans der Balkanhalbinsel, ist nur durch Niederwerfung Österreichs zu
erreichen. Deutschland ist ein Hindernis nur als Bundesgenosse Österreichs
und vorläufig mit seiner Hauptkraft durch Frankreich in Anspruch genommen.
Anderseits ist es nicht unwahrscheinlich, daß Rumänien, die Bnllanstaaten und
die Türkei sich an Österreich anlehnen und in den Kampf eingreifen. Diese
Gruppirung seiner Gegner würde Rußland nötigen, folgende Armeen auf¬
zustellen: 1. ein Beobnchtungskorps gegen Dentschland, das mit seiner Haupt-


10 Regimenter, zusammen 60 Schwadronen, die nicht mehr als 200 bis 300 Kilo
meter bis zur russischen Grenze haben, und von allen diesen Punkten führen
leistungsfähige Bahnen nach Galizien. Dazu kommt, daß die zwischen Donau
und Theiß sowie die in Böhmen stehenden 8 Kavallerieregimenter ohne Verzug
nach Galizien befördert werden können, und so werden binnen kurzem 27 solche
Regimenter oder 162 Schwadronen den russischen Reitern die Spitze bieten.
Noch günstiger gestaltet sich die Lage dnrch den Umstand, daß die in Kielep-
Ceustochau stehende russische Kavalleriedivision durch das in Kraken befindliche
österreichische Reiterregiment, das sich auf die Festung stützen kann, in Schach
gehalten wird, daß die beiden Reiterregimenter in Tarnopol und Czernowitz
der zuletzt erwähnten russische» Division, unterstützt von den nächsten Jnfanterie-
abteilungen, gewachsen sein werden, und daß von den übrigen 6 österreichischen
Kavallerieregimentern deu beiden russischen Reiterdivisionen in Dubno und
Zamvse gegenüber dasselbe gilt, und so kann von ernstlichem Schaden durch
die Reitermassen, die Rußland in den westlichen Grenzgegenden versammelt
hat, nicht die Rede sein.

Welche Truppen das Deutsche Reich bei einem Angriffe Rußlands auf
Österreich aufstelle» wird, um seiner Bundespflicht zu genügen, wird davon
abhängen, ob Italien sich nu einem Kriege Deutschlands mit Frankreich aktiv
beteiligen wird. Jedenfalls wird das Reich an seiner Ostgrenze, etwa bei Pose»
oder Thor», einige Armeekorps versammeln, die vermittelst eines strategisch
vortrefflich angelegten Eisenbahnnetzes rasch nach jedem Pnnkte der Grenzlande
befördert werden können, der zunächst gefährdet ist. Die Ausgabe dieser
Truppen ist eine doppelte: Verhinderung eines Einbruchs der Russen in
das Reich und Verhinderung eines möglichst starken Teiles der Russen, sich
an dein Entscheidungskampfe zu beteiligen, der hier im Osten zwischen Osterreich
und Rußland auszufechten ist. Russischerseits werden zunächst die in Kvngreß-
pvlen stehenden 16 Divisionen mobil gemacht, können aber nicht vor Verlauf
von zehn Tagen operntivnsfähig sein. Sie werden die Mobilisiruug der übrige»
Korps und ihren Aufmarsch an der Westgrenze, wozu vier Wochen erforderlich
sind, zu decken versuchen, aber wahrscheinlich bis ans weiteres jedem ernsten
Zusammenstoße und Kampfe auf dem linken Ufer der Weichsel ausweiche».
Die Ziele, die Rußland mit diesem Kriege verfolgt, legen den Schwerpunkt
uns den linken Flügel seiner Angriffsfront, sein Zweck, Erlangung des Über¬
gewichtes ans der Balkanhalbinsel, ist nur durch Niederwerfung Österreichs zu
erreichen. Deutschland ist ein Hindernis nur als Bundesgenosse Österreichs
und vorläufig mit seiner Hauptkraft durch Frankreich in Anspruch genommen.
Anderseits ist es nicht unwahrscheinlich, daß Rumänien, die Bnllanstaaten und
die Türkei sich an Österreich anlehnen und in den Kampf eingreifen. Diese
Gruppirung seiner Gegner würde Rußland nötigen, folgende Armeen auf¬
zustellen: 1. ein Beobnchtungskorps gegen Dentschland, das mit seiner Haupt-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/58>, abgerufen am 05.02.2025.