Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Historische Ausstellung deutscher Grabstichelarbeiten im Berliner Kupferstichkabinet die Übernahme des Stoffes aus einer italienischen Quelle -- man hat an Das sogenannte "Große Glück" ist eine jener allegorischen Gestalten, die Historische Ausstellung deutscher Grabstichelarbeiten im Berliner Kupferstichkabinet die Übernahme des Stoffes aus einer italienischen Quelle — man hat an Das sogenannte „Große Glück" ist eine jener allegorischen Gestalten, die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0571" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205302"/> <fw type="header" place="top"> Historische Ausstellung deutscher Grabstichelarbeiten im Berliner Kupferstichkabinet</fw><lb/> <p xml:id="ID_1604" prev="#ID_1603"> die Übernahme des Stoffes aus einer italienischen Quelle — man hat an<lb/> eine italienische Umbildung des Mythus von Ressus und Dejanira gedacht —<lb/> sicher nachweisbar wäre. Es bleibt schließlich die Vermutung nicht ausgeschlossen,<lb/> daß Dürer durch seine Formstudien des Nackten zu jenen ihm selbst vielleicht<lb/> ihrem mythologischen Inhalte nach nicht völlig klaren Vorstellungen geführt<lb/> worden ist. Schon Vasari betont, daß der Künstler in der „Eifersucht" namentlich<lb/> habe zeigen wollen, daß er das Nackte darzustellen wisse, was ihm freilich nur<lb/> nach Maßgabe der wenig schönen deutschen Modelle gelungen sei. Technisch<lb/> von hohem Interesse ist der ausgestellte unvollendete Probetrunk dieses Stiches,<lb/> der nur noch in einem zweiten Exemplar der Albertina in Wien bekannt ist<lb/> und einen fesselnden Einblick in die sorgsam abwägende Arbeitsweise des Meisters<lb/> gestattet. Ein Teil der Platte ist hier erst mit der sogenannten kalten Nadel<lb/> vorgeritzt, freilich mit jener Dürer eignen Sicherheit des Umrisses, und<lb/> durch den Probeabzug wollte der Künstler sich offenbar zunächst die Wir¬<lb/> kung der Baumgruppe und der Landschaft vergegenwärtigen, um das richtige<lb/> Verhältnis zwischen Licht- und Schattenmassen bei der Ausführung der dunkeln<lb/> Partien des Vordergrundes nicht zu verfehlen. Es kann uns dies Verfahren<lb/> als eine praktische Bestätigung seines Ausspruchs dienen: „dan ein gut byld<lb/> mus mit großer inne arbeit steif und voll besunnen gemacht werden, und es<lb/> geredt uns nit ongefehr." Die Ergebnisse seiner so eingehenden Studien, die<lb/> er namentlich auch auf technischem Gebiete machte, sind in dem „Großen Glück"<lb/> und dem „Heiligen Eustachius" mit den prächtig aufgebauten Landschaften leicht<lb/> zu erkennen. Diese Blätter bestimmte er Christian II., dem kunstsinnigen König<lb/> von Dänemark, mit dem er 1521 in Brüssel zusammentraf, zum Geschenk,<lb/> mit den besten Stücken aus seinem ganzen Druck; „sind fünf Gulden wert,"<lb/> fügt er in seinem Tagebuche gewissenhaft hinzu. Im Jahre 1521 rechnete<lb/> man freilich noch nicht mit unsern Liebhaberpreisen, die oft für eines jener<lb/> Blätter das hundertfache jener bescheidnen Summe übersteigen!</p><lb/> <p xml:id="ID_1605" next="#ID_1606"> Das sogenannte „Große Glück" ist eine jener allegorischen Gestalten, die<lb/> in der Phantasie des Renaissancekünstlers lebendig waren, wurde aber von Dürer<lb/> weit über die engen spießbürgerlichen Beziehungen der Zeit hinaus zu einer<lb/> „Nemesis" umgebildet; freilich dies uicht im antiken Wortsinne aufzufassen,<lb/> fondern als das Geschick, das Gutes und Böses unter die Menschen verteilt.<lb/> Thausing hat diese Allegorie aus zeitgeschichtliche Ereignisse, den Schweizerkrieg des<lb/> Jahres 1499, beziehen wollen und sogar in der Landschaft, die nach ihm mit<lb/> der den kaiserlichen Truppen verhängnisvollen Ortschaft Heigersloch in Schwaben<lb/> viel Ähnlichkeit haben soll, Anhaltepunkte für feine Ansicht zu finden geglaubt,<lb/> jedoch wohl ebenso sehr mit Unrecht, wie jene ältern Dürerforscher, die in der<lb/> Fortuna das Bildnis von Dürers Gattin und in dem „Ritter trotz Tod und<lb/> Teufel" den Reformationsritter Franz voll Sickingen sehen wollten. Auch das<lb/> letztgenannte Blatt, dessen Grundgedanke (Tod und Teufel bedrohen auf einsamer</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0571]
Historische Ausstellung deutscher Grabstichelarbeiten im Berliner Kupferstichkabinet
die Übernahme des Stoffes aus einer italienischen Quelle — man hat an
eine italienische Umbildung des Mythus von Ressus und Dejanira gedacht —
sicher nachweisbar wäre. Es bleibt schließlich die Vermutung nicht ausgeschlossen,
daß Dürer durch seine Formstudien des Nackten zu jenen ihm selbst vielleicht
ihrem mythologischen Inhalte nach nicht völlig klaren Vorstellungen geführt
worden ist. Schon Vasari betont, daß der Künstler in der „Eifersucht" namentlich
habe zeigen wollen, daß er das Nackte darzustellen wisse, was ihm freilich nur
nach Maßgabe der wenig schönen deutschen Modelle gelungen sei. Technisch
von hohem Interesse ist der ausgestellte unvollendete Probetrunk dieses Stiches,
der nur noch in einem zweiten Exemplar der Albertina in Wien bekannt ist
und einen fesselnden Einblick in die sorgsam abwägende Arbeitsweise des Meisters
gestattet. Ein Teil der Platte ist hier erst mit der sogenannten kalten Nadel
vorgeritzt, freilich mit jener Dürer eignen Sicherheit des Umrisses, und
durch den Probeabzug wollte der Künstler sich offenbar zunächst die Wir¬
kung der Baumgruppe und der Landschaft vergegenwärtigen, um das richtige
Verhältnis zwischen Licht- und Schattenmassen bei der Ausführung der dunkeln
Partien des Vordergrundes nicht zu verfehlen. Es kann uns dies Verfahren
als eine praktische Bestätigung seines Ausspruchs dienen: „dan ein gut byld
mus mit großer inne arbeit steif und voll besunnen gemacht werden, und es
geredt uns nit ongefehr." Die Ergebnisse seiner so eingehenden Studien, die
er namentlich auch auf technischem Gebiete machte, sind in dem „Großen Glück"
und dem „Heiligen Eustachius" mit den prächtig aufgebauten Landschaften leicht
zu erkennen. Diese Blätter bestimmte er Christian II., dem kunstsinnigen König
von Dänemark, mit dem er 1521 in Brüssel zusammentraf, zum Geschenk,
mit den besten Stücken aus seinem ganzen Druck; „sind fünf Gulden wert,"
fügt er in seinem Tagebuche gewissenhaft hinzu. Im Jahre 1521 rechnete
man freilich noch nicht mit unsern Liebhaberpreisen, die oft für eines jener
Blätter das hundertfache jener bescheidnen Summe übersteigen!
Das sogenannte „Große Glück" ist eine jener allegorischen Gestalten, die
in der Phantasie des Renaissancekünstlers lebendig waren, wurde aber von Dürer
weit über die engen spießbürgerlichen Beziehungen der Zeit hinaus zu einer
„Nemesis" umgebildet; freilich dies uicht im antiken Wortsinne aufzufassen,
fondern als das Geschick, das Gutes und Böses unter die Menschen verteilt.
Thausing hat diese Allegorie aus zeitgeschichtliche Ereignisse, den Schweizerkrieg des
Jahres 1499, beziehen wollen und sogar in der Landschaft, die nach ihm mit
der den kaiserlichen Truppen verhängnisvollen Ortschaft Heigersloch in Schwaben
viel Ähnlichkeit haben soll, Anhaltepunkte für feine Ansicht zu finden geglaubt,
jedoch wohl ebenso sehr mit Unrecht, wie jene ältern Dürerforscher, die in der
Fortuna das Bildnis von Dürers Gattin und in dem „Ritter trotz Tod und
Teufel" den Reformationsritter Franz voll Sickingen sehen wollten. Auch das
letztgenannte Blatt, dessen Grundgedanke (Tod und Teufel bedrohen auf einsamer
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |