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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Die historische Ausstellung deutscher Grabstichelarbeiten
im Berliner Rupferstichkabinet
(Fortsetzung)

lirers äußeres Leben liegt ziemlich klar vor uns und hat durch
Thausing eine so beredte Schilderung erfahre", daß auch weitere
Kreise mit den Thatsachen zur Genüge bekannt sind; es ist un¬
zweifelhaft, daß die Kenntnis der Lebensumstände eines Künstlers
auch unsre Teilnahme an seinen Schöpfungen beeinflußt, und
das ist bei Dürer in hervorragendem Maße der Fall, da wir über viele Er¬
eignisse seines Lebens dnrch seine eignen, persönliches Empfinden atmenden Auf¬
zeichnungen unterrichtet sind.

Albrecht Dürers Bater war Goldschmied, sein Pate, Antoni Koberger,
der bekannte Buchdrucker und Verleger Nürnbergs; daß Dürer sich trotz seiner
Studien in der Malerwerkstatt Michael Wohlgemuth bald dem Kunstdruck zu¬
wandte, erscheint also leicht erklärlich. Bor seiner ersten Wanderschaft, die
zwischen die Jahre 1490 und 1494 fällt, ist keiner seiner Kupferstiche ent¬
standen. Auf dieser Wanderschaft berührte er 1492 auch Colmar, die Vater¬
stadt Martin Schongauers, der 1491 gestorben war, und wurde von dessen
Brüdern gastlich aufgenommen. Nach seiner'Heimkehr gründete er eine eigne
Werkstatt, in die er die von älteren Dürerforschern mit Unrecht als Xanthippe
verlnnmdete Agnes Frey als Gattin heimführte. Um diese Zeit müssen wir auch
seine ältesten Stiche ansetzen, von denen neben der heiligen Familie mit der Heu¬
schrecke die sechs Landsknechte und der Spaziergang ausgestellt sind, Darstellungen,
die inhaltlich den namentlich in Süddeutschland beliebten älteren Schilderungen
des zeitgenössischen Lebens -- man vergleiche z. B. die ausgestellten Werke
des Meisters N. 15. und L. 8. -- noch nahe stehen. Die heilige Familie mit
der Heuschrecke giebt uns ebenso wie der "Verlorne Sohn" einen guten Be¬
griff von der so frühzeitig geweckten Begabung Dürers für die landschaftliche
Komposition, in der er Bahnbrechendes zu leisten berufen war. Technisch sehen
wir ihn hier noch in den Bahnen des fünfzehnten Jahrhunderts.

Einen gewaltigen Fortschritt offenbart uus der im Jahre 1504 entstan¬
dene Stich "Adam und Eva." Hier zum erstenmale in der Entwicklung des
"''-.....


Grenzvoten II 1839 ,71 -


Die historische Ausstellung deutscher Grabstichelarbeiten
im Berliner Rupferstichkabinet
(Fortsetzung)

lirers äußeres Leben liegt ziemlich klar vor uns und hat durch
Thausing eine so beredte Schilderung erfahre», daß auch weitere
Kreise mit den Thatsachen zur Genüge bekannt sind; es ist un¬
zweifelhaft, daß die Kenntnis der Lebensumstände eines Künstlers
auch unsre Teilnahme an seinen Schöpfungen beeinflußt, und
das ist bei Dürer in hervorragendem Maße der Fall, da wir über viele Er¬
eignisse seines Lebens dnrch seine eignen, persönliches Empfinden atmenden Auf¬
zeichnungen unterrichtet sind.

Albrecht Dürers Bater war Goldschmied, sein Pate, Antoni Koberger,
der bekannte Buchdrucker und Verleger Nürnbergs; daß Dürer sich trotz seiner
Studien in der Malerwerkstatt Michael Wohlgemuth bald dem Kunstdruck zu¬
wandte, erscheint also leicht erklärlich. Bor seiner ersten Wanderschaft, die
zwischen die Jahre 1490 und 1494 fällt, ist keiner seiner Kupferstiche ent¬
standen. Auf dieser Wanderschaft berührte er 1492 auch Colmar, die Vater¬
stadt Martin Schongauers, der 1491 gestorben war, und wurde von dessen
Brüdern gastlich aufgenommen. Nach seiner'Heimkehr gründete er eine eigne
Werkstatt, in die er die von älteren Dürerforschern mit Unrecht als Xanthippe
verlnnmdete Agnes Frey als Gattin heimführte. Um diese Zeit müssen wir auch
seine ältesten Stiche ansetzen, von denen neben der heiligen Familie mit der Heu¬
schrecke die sechs Landsknechte und der Spaziergang ausgestellt sind, Darstellungen,
die inhaltlich den namentlich in Süddeutschland beliebten älteren Schilderungen
des zeitgenössischen Lebens — man vergleiche z. B. die ausgestellten Werke
des Meisters N. 15. und L. 8. — noch nahe stehen. Die heilige Familie mit
der Heuschrecke giebt uns ebenso wie der „Verlorne Sohn" einen guten Be¬
griff von der so frühzeitig geweckten Begabung Dürers für die landschaftliche
Komposition, in der er Bahnbrechendes zu leisten berufen war. Technisch sehen
wir ihn hier noch in den Bahnen des fünfzehnten Jahrhunderts.

Einen gewaltigen Fortschritt offenbart uus der im Jahre 1504 entstan¬
dene Stich „Adam und Eva." Hier zum erstenmale in der Entwicklung des
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[0569] [Abbildung] Die historische Ausstellung deutscher Grabstichelarbeiten im Berliner Rupferstichkabinet (Fortsetzung) lirers äußeres Leben liegt ziemlich klar vor uns und hat durch Thausing eine so beredte Schilderung erfahre», daß auch weitere Kreise mit den Thatsachen zur Genüge bekannt sind; es ist un¬ zweifelhaft, daß die Kenntnis der Lebensumstände eines Künstlers auch unsre Teilnahme an seinen Schöpfungen beeinflußt, und das ist bei Dürer in hervorragendem Maße der Fall, da wir über viele Er¬ eignisse seines Lebens dnrch seine eignen, persönliches Empfinden atmenden Auf¬ zeichnungen unterrichtet sind. Albrecht Dürers Bater war Goldschmied, sein Pate, Antoni Koberger, der bekannte Buchdrucker und Verleger Nürnbergs; daß Dürer sich trotz seiner Studien in der Malerwerkstatt Michael Wohlgemuth bald dem Kunstdruck zu¬ wandte, erscheint also leicht erklärlich. Bor seiner ersten Wanderschaft, die zwischen die Jahre 1490 und 1494 fällt, ist keiner seiner Kupferstiche ent¬ standen. Auf dieser Wanderschaft berührte er 1492 auch Colmar, die Vater¬ stadt Martin Schongauers, der 1491 gestorben war, und wurde von dessen Brüdern gastlich aufgenommen. Nach seiner'Heimkehr gründete er eine eigne Werkstatt, in die er die von älteren Dürerforschern mit Unrecht als Xanthippe verlnnmdete Agnes Frey als Gattin heimführte. Um diese Zeit müssen wir auch seine ältesten Stiche ansetzen, von denen neben der heiligen Familie mit der Heu¬ schrecke die sechs Landsknechte und der Spaziergang ausgestellt sind, Darstellungen, die inhaltlich den namentlich in Süddeutschland beliebten älteren Schilderungen des zeitgenössischen Lebens — man vergleiche z. B. die ausgestellten Werke des Meisters N. 15. und L. 8. — noch nahe stehen. Die heilige Familie mit der Heuschrecke giebt uns ebenso wie der „Verlorne Sohn" einen guten Be¬ griff von der so frühzeitig geweckten Begabung Dürers für die landschaftliche Komposition, in der er Bahnbrechendes zu leisten berufen war. Technisch sehen wir ihn hier noch in den Bahnen des fünfzehnten Jahrhunderts. Einen gewaltigen Fortschritt offenbart uus der im Jahre 1504 entstan¬ dene Stich „Adam und Eva." Hier zum erstenmale in der Entwicklung des "''-..... Grenzvoten II 1839 ,71 -

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/569>, abgerufen am 05.02.2025.