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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Goethes Weltkampf mit den griechischen Dichter"

nicht aus Homerstudien und theoretischen Untersuchungen hatte er geschöpft,
sondern aus dem befruchtende" Strome der Vossischen Homerübersetzung, ja
streng genommen aus einer praktischen Wirkung derselben, aus Vossens Luise.
Nur der deutsch gewordene Homer und dessen Anregungen haben Goethe die¬
jenige Freiheit des Schaffens gegeben, die Schiller ihm wünschte. Und so hat
Goethe doch ein Werk hinterlassen, dessen Keim dnrch die Sonne Homers
belebt worden ist.

Man kann die Achilleis als Goethes letzten Versuch betrachten, die Werke
der großen griechischen Dichter um oder weiter zu dichten. Mehr und mehr
wandte sich sein reifer Verstand gelehrten Untersuchungen zu, die die frei¬
waltende und freischaffende Phantasie zurückdrängten. Sah doch auch das
jüngere Geschlecht, das Jahrzehnte lang das rastlose Lernen und Lehren des
würdigen Greises zu beobachten Gelegenheit hatte, in ihm vorzugsweise den
Gelehrten, und erst nach seinem Tode kehrte das Interesse der Nation zu den
Werken seiner Jugend als zu den unerschöpflichen Quellen der Dichtkunst zurück.

Wenn wir Goethe im Wettkampfe mit den Griechen zeigen wollten, durften
wir nur auf solche Dichtungen Bezug nehmen, die aus antiken Vorbildern
selbst hervorgegangen, nicht auf solche, die mittelbar durch das Studium der
Griechen beeinflußt worden sind. Deren giebt es in Goethes Werken eine
große Anzahl, ja in den Dichtungen nach der italienischen Reise sind antike
Lebensanschauung und antiker Stil vorherrschend. Das merkwürdigste Produkt
dieser Art sind wohl die Römischen Elegien, die in den Jahren 1789 und 1790,
also in der Heimat, gedichtet sind. Freilich sind sie mehr unter dem Einflusse
der römischen als der griechischen Muster entstände", aber sie gehören wenigstens
insofern hierher, als sie, wie A. W. Schlegel so treffend sagt, "originell u"d
dennoch echt antik" sind. Ganz dasselbe gilt much von de" anakreontische"
Liedern, die im Jahre 1781 beginnen und sich bis zum Ende des Jahrhunderts
hinziehen. Man denke an "Amor als Gast" oder an "Amor als Landschafts¬
maler," "Den Becher" und ähnliche. Überhaupt bieten die kleinern Gedichte,
die lyrischen sowohl wie die epischen, die herrlichsten Beispiele für diese Gesamt¬
wirkung der griechischen Muster.

Nach Schillers Tode mischten sich in Goethes poetischen Gedankenkreisen
mit den griechischen Vorstellungen romantische Jdeenverbindungen, so in Pandora
und im ganzen zweiten Teile des Faust, auch in der Helena. Wie dem Ein¬
schlummernden sich die verschiedensten Bilder zu lieblichen Träumen vermischen,
so verwoben und verrankten sich die Zeiten in den letzten Werken des altern¬
den Meisters.




Goethes Weltkampf mit den griechischen Dichter»

nicht aus Homerstudien und theoretischen Untersuchungen hatte er geschöpft,
sondern aus dem befruchtende» Strome der Vossischen Homerübersetzung, ja
streng genommen aus einer praktischen Wirkung derselben, aus Vossens Luise.
Nur der deutsch gewordene Homer und dessen Anregungen haben Goethe die¬
jenige Freiheit des Schaffens gegeben, die Schiller ihm wünschte. Und so hat
Goethe doch ein Werk hinterlassen, dessen Keim dnrch die Sonne Homers
belebt worden ist.

Man kann die Achilleis als Goethes letzten Versuch betrachten, die Werke
der großen griechischen Dichter um oder weiter zu dichten. Mehr und mehr
wandte sich sein reifer Verstand gelehrten Untersuchungen zu, die die frei¬
waltende und freischaffende Phantasie zurückdrängten. Sah doch auch das
jüngere Geschlecht, das Jahrzehnte lang das rastlose Lernen und Lehren des
würdigen Greises zu beobachten Gelegenheit hatte, in ihm vorzugsweise den
Gelehrten, und erst nach seinem Tode kehrte das Interesse der Nation zu den
Werken seiner Jugend als zu den unerschöpflichen Quellen der Dichtkunst zurück.

Wenn wir Goethe im Wettkampfe mit den Griechen zeigen wollten, durften
wir nur auf solche Dichtungen Bezug nehmen, die aus antiken Vorbildern
selbst hervorgegangen, nicht auf solche, die mittelbar durch das Studium der
Griechen beeinflußt worden sind. Deren giebt es in Goethes Werken eine
große Anzahl, ja in den Dichtungen nach der italienischen Reise sind antike
Lebensanschauung und antiker Stil vorherrschend. Das merkwürdigste Produkt
dieser Art sind wohl die Römischen Elegien, die in den Jahren 1789 und 1790,
also in der Heimat, gedichtet sind. Freilich sind sie mehr unter dem Einflusse
der römischen als der griechischen Muster entstände», aber sie gehören wenigstens
insofern hierher, als sie, wie A. W. Schlegel so treffend sagt, „originell u»d
dennoch echt antik" sind. Ganz dasselbe gilt much von de» anakreontische»
Liedern, die im Jahre 1781 beginnen und sich bis zum Ende des Jahrhunderts
hinziehen. Man denke an „Amor als Gast" oder an „Amor als Landschafts¬
maler," „Den Becher" und ähnliche. Überhaupt bieten die kleinern Gedichte,
die lyrischen sowohl wie die epischen, die herrlichsten Beispiele für diese Gesamt¬
wirkung der griechischen Muster.

Nach Schillers Tode mischten sich in Goethes poetischen Gedankenkreisen
mit den griechischen Vorstellungen romantische Jdeenverbindungen, so in Pandora
und im ganzen zweiten Teile des Faust, auch in der Helena. Wie dem Ein¬
schlummernden sich die verschiedensten Bilder zu lieblichen Träumen vermischen,
so verwoben und verrankten sich die Zeiten in den letzten Werken des altern¬
den Meisters.




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[0568] Goethes Weltkampf mit den griechischen Dichter» nicht aus Homerstudien und theoretischen Untersuchungen hatte er geschöpft, sondern aus dem befruchtende» Strome der Vossischen Homerübersetzung, ja streng genommen aus einer praktischen Wirkung derselben, aus Vossens Luise. Nur der deutsch gewordene Homer und dessen Anregungen haben Goethe die¬ jenige Freiheit des Schaffens gegeben, die Schiller ihm wünschte. Und so hat Goethe doch ein Werk hinterlassen, dessen Keim dnrch die Sonne Homers belebt worden ist. Man kann die Achilleis als Goethes letzten Versuch betrachten, die Werke der großen griechischen Dichter um oder weiter zu dichten. Mehr und mehr wandte sich sein reifer Verstand gelehrten Untersuchungen zu, die die frei¬ waltende und freischaffende Phantasie zurückdrängten. Sah doch auch das jüngere Geschlecht, das Jahrzehnte lang das rastlose Lernen und Lehren des würdigen Greises zu beobachten Gelegenheit hatte, in ihm vorzugsweise den Gelehrten, und erst nach seinem Tode kehrte das Interesse der Nation zu den Werken seiner Jugend als zu den unerschöpflichen Quellen der Dichtkunst zurück. Wenn wir Goethe im Wettkampfe mit den Griechen zeigen wollten, durften wir nur auf solche Dichtungen Bezug nehmen, die aus antiken Vorbildern selbst hervorgegangen, nicht auf solche, die mittelbar durch das Studium der Griechen beeinflußt worden sind. Deren giebt es in Goethes Werken eine große Anzahl, ja in den Dichtungen nach der italienischen Reise sind antike Lebensanschauung und antiker Stil vorherrschend. Das merkwürdigste Produkt dieser Art sind wohl die Römischen Elegien, die in den Jahren 1789 und 1790, also in der Heimat, gedichtet sind. Freilich sind sie mehr unter dem Einflusse der römischen als der griechischen Muster entstände», aber sie gehören wenigstens insofern hierher, als sie, wie A. W. Schlegel so treffend sagt, „originell u»d dennoch echt antik" sind. Ganz dasselbe gilt much von de» anakreontische» Liedern, die im Jahre 1781 beginnen und sich bis zum Ende des Jahrhunderts hinziehen. Man denke an „Amor als Gast" oder an „Amor als Landschafts¬ maler," „Den Becher" und ähnliche. Überhaupt bieten die kleinern Gedichte, die lyrischen sowohl wie die epischen, die herrlichsten Beispiele für diese Gesamt¬ wirkung der griechischen Muster. Nach Schillers Tode mischten sich in Goethes poetischen Gedankenkreisen mit den griechischen Vorstellungen romantische Jdeenverbindungen, so in Pandora und im ganzen zweiten Teile des Faust, auch in der Helena. Wie dem Ein¬ schlummernden sich die verschiedensten Bilder zu lieblichen Träumen vermischen, so verwoben und verrankten sich die Zeiten in den letzten Werken des altern¬ den Meisters.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/568>, abgerufen am 05.02.2025.