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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Goethes Nleitkampf mit den griechischen Dichtern

gleich anfangs mischte sich zu viel Gelehrtes und Abstraktes in die Ausführung
dieses Gedankens. Goethe will sich im Wetteifer mit Homer alles Individuellen
und Modernen enthalten, will bloß nachahmen, selbst in dem, worin ihm
Homer uicht gefalle. Schiller warnt ernstlich vor solchem Beginnen. Weder
seine Natur, noch seine Einsicht und Erfahrung gestatte die bloße Nachahmung.
Der moderne Dichter solle den Homer nur rein auf sich wirken lassen und dann
frisch aus sich selbst heraus schaffen. Allein die Mahnung kam zu spät, der
Plan zur Achilleis war einmal aus dem Boden der gelehrten Spekulation
erwachsen und schon im Kenne krank und matt. Doch begann Goethe, von
Schiller angetrieben, das Werk. Im März und April 1799 wurde der erste
Gesang vollendet oder, wie Goethe in den Annalen angiebt, die ersten beiden
Gesänge, die später wohl in den einen uns erhaltenen zusammengezogen wurden,
auch der Plan des übrigen wurde niedergeschrieben.

Überläßt man sich unbefangen dem Eindruck, den das Bruchstück auf den
Hörer oder Leser macht, so empfindet man bald den Kontrast zwischen moderner
Sentimentalität und antiker Form. Es geht ein düsterer Zug, eine gedrückte
Stimmung durch die Erzählung, die dem antiken Epos ganz fremd ist. Achilles,
noch immer untröstlich über den Tod seines Freundes Patroklos, läßt von
seinen Mhrmidonen den Grabhügel aufwerfen, in dessen freigelassener Mitte
seine eigne Asche ruhen soll. Die zweite Szene spielt im Palaste des Zeus
auf dem Olymp. Thetis hadert in der Versammlung der Götter mit Hera,
die ihr nicht einmal den Schmerz über den vom Schicksal bestimmten frühen
Tod ihres Sohnes gönnen wolle. Die dritte Szene führt uns zurück auf den
Grabhügel des Achill. Hier erscheint Athene, die erbarmungsvoll den Helden
im Angesicht des frühen Todes noch einmal zu reiner Freude am Dasein
erregen will. Die Gedanken, Goethes würdig, sind durchaus modern sentimental,
aber die formelle Einkleidung ist antik und strotzt von gelehrten Andeutungen.
Goethe machte nach dieser ersten Anstrengung eine Erholungspause und ist nie
wieder zu der bedenklichen Arbeit zurückgekehrt. Leider! sagen die meisten seiner
Verehrer, und doch ist es gewiß, daß er nicht zu dem Stoffe zurückkehren
konnte. Denn dieser schwebt zwischen Epischem und Dramatischen und neigt
sich unwillkürlich und unmerklich zu letzterm; genau so wie die "Natürliche
Tochter" in derselben mittlern Sphäre sich mehr dem Epischen nähert und dem
ihr angepaßten dramatischen Gewände widerstrebt. Solche Stoffe sind die
gefährlichsten, sie verzehren viel Studium und Arbeit, ohne zu lohnen. Der
Versuch, Homer in unser empfindsames Zeitalter zu verpflanzen, war mißglückt
und wird, wenn er Goethe mißlang, jedem mißlingen, der ihn zu unter¬
nehmen wagt.

Merkwürdigerweise hatte Goethe kurz vorher, ehe ihn die Achilleis be¬
schäftigte, die Muse Homers modernisirt, so weit es überhaupt denkbar ist,
ohne es sich selbst recht klar zu machen, in "Hermann und Dorothea." Aber


Goethes Nleitkampf mit den griechischen Dichtern

gleich anfangs mischte sich zu viel Gelehrtes und Abstraktes in die Ausführung
dieses Gedankens. Goethe will sich im Wetteifer mit Homer alles Individuellen
und Modernen enthalten, will bloß nachahmen, selbst in dem, worin ihm
Homer uicht gefalle. Schiller warnt ernstlich vor solchem Beginnen. Weder
seine Natur, noch seine Einsicht und Erfahrung gestatte die bloße Nachahmung.
Der moderne Dichter solle den Homer nur rein auf sich wirken lassen und dann
frisch aus sich selbst heraus schaffen. Allein die Mahnung kam zu spät, der
Plan zur Achilleis war einmal aus dem Boden der gelehrten Spekulation
erwachsen und schon im Kenne krank und matt. Doch begann Goethe, von
Schiller angetrieben, das Werk. Im März und April 1799 wurde der erste
Gesang vollendet oder, wie Goethe in den Annalen angiebt, die ersten beiden
Gesänge, die später wohl in den einen uns erhaltenen zusammengezogen wurden,
auch der Plan des übrigen wurde niedergeschrieben.

Überläßt man sich unbefangen dem Eindruck, den das Bruchstück auf den
Hörer oder Leser macht, so empfindet man bald den Kontrast zwischen moderner
Sentimentalität und antiker Form. Es geht ein düsterer Zug, eine gedrückte
Stimmung durch die Erzählung, die dem antiken Epos ganz fremd ist. Achilles,
noch immer untröstlich über den Tod seines Freundes Patroklos, läßt von
seinen Mhrmidonen den Grabhügel aufwerfen, in dessen freigelassener Mitte
seine eigne Asche ruhen soll. Die zweite Szene spielt im Palaste des Zeus
auf dem Olymp. Thetis hadert in der Versammlung der Götter mit Hera,
die ihr nicht einmal den Schmerz über den vom Schicksal bestimmten frühen
Tod ihres Sohnes gönnen wolle. Die dritte Szene führt uns zurück auf den
Grabhügel des Achill. Hier erscheint Athene, die erbarmungsvoll den Helden
im Angesicht des frühen Todes noch einmal zu reiner Freude am Dasein
erregen will. Die Gedanken, Goethes würdig, sind durchaus modern sentimental,
aber die formelle Einkleidung ist antik und strotzt von gelehrten Andeutungen.
Goethe machte nach dieser ersten Anstrengung eine Erholungspause und ist nie
wieder zu der bedenklichen Arbeit zurückgekehrt. Leider! sagen die meisten seiner
Verehrer, und doch ist es gewiß, daß er nicht zu dem Stoffe zurückkehren
konnte. Denn dieser schwebt zwischen Epischem und Dramatischen und neigt
sich unwillkürlich und unmerklich zu letzterm; genau so wie die „Natürliche
Tochter" in derselben mittlern Sphäre sich mehr dem Epischen nähert und dem
ihr angepaßten dramatischen Gewände widerstrebt. Solche Stoffe sind die
gefährlichsten, sie verzehren viel Studium und Arbeit, ohne zu lohnen. Der
Versuch, Homer in unser empfindsames Zeitalter zu verpflanzen, war mißglückt
und wird, wenn er Goethe mißlang, jedem mißlingen, der ihn zu unter¬
nehmen wagt.

Merkwürdigerweise hatte Goethe kurz vorher, ehe ihn die Achilleis be¬
schäftigte, die Muse Homers modernisirt, so weit es überhaupt denkbar ist,
ohne es sich selbst recht klar zu machen, in „Hermann und Dorothea." Aber


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[0567] Goethes Nleitkampf mit den griechischen Dichtern gleich anfangs mischte sich zu viel Gelehrtes und Abstraktes in die Ausführung dieses Gedankens. Goethe will sich im Wetteifer mit Homer alles Individuellen und Modernen enthalten, will bloß nachahmen, selbst in dem, worin ihm Homer uicht gefalle. Schiller warnt ernstlich vor solchem Beginnen. Weder seine Natur, noch seine Einsicht und Erfahrung gestatte die bloße Nachahmung. Der moderne Dichter solle den Homer nur rein auf sich wirken lassen und dann frisch aus sich selbst heraus schaffen. Allein die Mahnung kam zu spät, der Plan zur Achilleis war einmal aus dem Boden der gelehrten Spekulation erwachsen und schon im Kenne krank und matt. Doch begann Goethe, von Schiller angetrieben, das Werk. Im März und April 1799 wurde der erste Gesang vollendet oder, wie Goethe in den Annalen angiebt, die ersten beiden Gesänge, die später wohl in den einen uns erhaltenen zusammengezogen wurden, auch der Plan des übrigen wurde niedergeschrieben. Überläßt man sich unbefangen dem Eindruck, den das Bruchstück auf den Hörer oder Leser macht, so empfindet man bald den Kontrast zwischen moderner Sentimentalität und antiker Form. Es geht ein düsterer Zug, eine gedrückte Stimmung durch die Erzählung, die dem antiken Epos ganz fremd ist. Achilles, noch immer untröstlich über den Tod seines Freundes Patroklos, läßt von seinen Mhrmidonen den Grabhügel aufwerfen, in dessen freigelassener Mitte seine eigne Asche ruhen soll. Die zweite Szene spielt im Palaste des Zeus auf dem Olymp. Thetis hadert in der Versammlung der Götter mit Hera, die ihr nicht einmal den Schmerz über den vom Schicksal bestimmten frühen Tod ihres Sohnes gönnen wolle. Die dritte Szene führt uns zurück auf den Grabhügel des Achill. Hier erscheint Athene, die erbarmungsvoll den Helden im Angesicht des frühen Todes noch einmal zu reiner Freude am Dasein erregen will. Die Gedanken, Goethes würdig, sind durchaus modern sentimental, aber die formelle Einkleidung ist antik und strotzt von gelehrten Andeutungen. Goethe machte nach dieser ersten Anstrengung eine Erholungspause und ist nie wieder zu der bedenklichen Arbeit zurückgekehrt. Leider! sagen die meisten seiner Verehrer, und doch ist es gewiß, daß er nicht zu dem Stoffe zurückkehren konnte. Denn dieser schwebt zwischen Epischem und Dramatischen und neigt sich unwillkürlich und unmerklich zu letzterm; genau so wie die „Natürliche Tochter" in derselben mittlern Sphäre sich mehr dem Epischen nähert und dem ihr angepaßten dramatischen Gewände widerstrebt. Solche Stoffe sind die gefährlichsten, sie verzehren viel Studium und Arbeit, ohne zu lohnen. Der Versuch, Homer in unser empfindsames Zeitalter zu verpflanzen, war mißglückt und wird, wenn er Goethe mißlang, jedem mißlingen, der ihn zu unter¬ nehmen wagt. Merkwürdigerweise hatte Goethe kurz vorher, ehe ihn die Achilleis be¬ schäftigte, die Muse Homers modernisirt, so weit es überhaupt denkbar ist, ohne es sich selbst recht klar zu machen, in „Hermann und Dorothea." Aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/567>, abgerufen am 05.02.2025.