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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Der Kronprinz in der Ronflikrszeit

Wenn, während er nicht versammelt war, eine Notlage des Landes schleunige
Abhilfe erforderte. Sie hatten eine solche Notlage in der unnatürlichen und
staatsgefährlichen Aufregung und Verwirrung erblickt, die in dieser Zeit einen
großen Teil des Volkes ergriffen hatte, und die nur der demokratische Partei¬
geist in der Ordnung finden konnte. Sie hatten ferner die Hauptursache jenes
hochbedenklichen Zustandes in einer zügellosen Presse gesehen, die vorwiegend
aus gewerblichen Beweggründen, um interessant zu werden und zu bleiben,
um Leser und Anzeigen zu gewinnen, nur in verhältnismäßig seltenen Fällen
in der Absicht, eine politische Doktrin zu predigen, eine Überzeugung zu ver¬
breiten und deren Verwirklichung im Lande zu ermöglichen, die vorhandene
Verblendung und Erhitzung mit Übertreibungen, schiefen Darstellungen der
Sachlage und offenbaren Lügen hervorgerufen und dann mit Eifer genährt und
gesteigert hatte. Das Staatsministerium hatte endlich gefunden, daß die bisherigen
Mittel, diesem Unwesen beizukommen und zu steuern, nicht genügten, und daß
ein andrer Weg zur Abhilfe betreten werden müsse, bei dessen Wahl es sich
auf Anregungen berufen konnte, die schon in dem frühern altliberalen Ministerium
laut geworden waren. Dieser Weg führte zu dem Beschluß, die Überwachung
der Thätigkeit des Preßgewerbes den Verwaltungsbehörden zu übertragen und
diese zum Verbot von Zeitungen und Zeitschriften zu ermächtigen, die dnrch
ihre fortdauernde Haltung die öffentliche Wohlfahrt gefährdeten. Das Recht
der Regierung war hierbei eben so unzweifelhaft gewesen wie ihre Pflicht, der
von der Verfassung verlangte Notstand vorhanden, das Mittel, ihm abzuhelfen,
geeigneter als das bisherige nachträgliche und nur ans einzelne strafbare Hand¬
lungen der Presse anwendbare Einschreiten der Gerichte.

Drei Glieder der Gesetzgebung hatten nach der Verfassung zur Preßver-
ordnuug ihre Zustimmung zu erteilen, wenn sie Gesetz werden, also für die
Dauer Geltung behalten sollte: der König, das Herrenhaus und das Abge¬
ordnetenhaus. Der König gab sie, indem er die Verordnung unterzeichnete,
vom Herrenhause war sie mit Bestimmtheit zu erwarten, das Abgeordnetenhalls
war nicht versammelt und thatsächlich gar nicht vorhanden; denn es war aufgelöst
worden und sollte erst durch Neuwahlen wieder ins Dasein treten. Die Regierung
konnte einige Hoffnung hegen, daß die Verordnung, die ein Haupthindernis
der Abkühlung, der Erkenntnis des Wahren und Heilsamen im Bereiche der
innern Politik und der darauf hiu zu erwartenden Verständigung wegräumen
sollte, eine ihr günstigere Zusammensetzung der zweiten Kammer zur Folge
haben werde. Die Führer der demokratischen Opposition arbeiteten selbstver¬
ständlich mit ihrem ganzen Beeinflussungsapparat nach Kräften dagegen, und
bei diesem nahm die Presse trotz des Damoklesschwertes, das der 1. Juni
über ihr aufgehängt hatte, noch immer eine Stelle ein, zumal als sie nach
einiger Zeit erst andeutend, dann bestimmter mitteilen konnte, der voraus¬
sichtliche Erbe des Thrones und der Krone sei mit der Preßvervrdnung nicht


Der Kronprinz in der Ronflikrszeit

Wenn, während er nicht versammelt war, eine Notlage des Landes schleunige
Abhilfe erforderte. Sie hatten eine solche Notlage in der unnatürlichen und
staatsgefährlichen Aufregung und Verwirrung erblickt, die in dieser Zeit einen
großen Teil des Volkes ergriffen hatte, und die nur der demokratische Partei¬
geist in der Ordnung finden konnte. Sie hatten ferner die Hauptursache jenes
hochbedenklichen Zustandes in einer zügellosen Presse gesehen, die vorwiegend
aus gewerblichen Beweggründen, um interessant zu werden und zu bleiben,
um Leser und Anzeigen zu gewinnen, nur in verhältnismäßig seltenen Fällen
in der Absicht, eine politische Doktrin zu predigen, eine Überzeugung zu ver¬
breiten und deren Verwirklichung im Lande zu ermöglichen, die vorhandene
Verblendung und Erhitzung mit Übertreibungen, schiefen Darstellungen der
Sachlage und offenbaren Lügen hervorgerufen und dann mit Eifer genährt und
gesteigert hatte. Das Staatsministerium hatte endlich gefunden, daß die bisherigen
Mittel, diesem Unwesen beizukommen und zu steuern, nicht genügten, und daß
ein andrer Weg zur Abhilfe betreten werden müsse, bei dessen Wahl es sich
auf Anregungen berufen konnte, die schon in dem frühern altliberalen Ministerium
laut geworden waren. Dieser Weg führte zu dem Beschluß, die Überwachung
der Thätigkeit des Preßgewerbes den Verwaltungsbehörden zu übertragen und
diese zum Verbot von Zeitungen und Zeitschriften zu ermächtigen, die dnrch
ihre fortdauernde Haltung die öffentliche Wohlfahrt gefährdeten. Das Recht
der Regierung war hierbei eben so unzweifelhaft gewesen wie ihre Pflicht, der
von der Verfassung verlangte Notstand vorhanden, das Mittel, ihm abzuhelfen,
geeigneter als das bisherige nachträgliche und nur ans einzelne strafbare Hand¬
lungen der Presse anwendbare Einschreiten der Gerichte.

Drei Glieder der Gesetzgebung hatten nach der Verfassung zur Preßver-
ordnuug ihre Zustimmung zu erteilen, wenn sie Gesetz werden, also für die
Dauer Geltung behalten sollte: der König, das Herrenhaus und das Abge¬
ordnetenhaus. Der König gab sie, indem er die Verordnung unterzeichnete,
vom Herrenhause war sie mit Bestimmtheit zu erwarten, das Abgeordnetenhalls
war nicht versammelt und thatsächlich gar nicht vorhanden; denn es war aufgelöst
worden und sollte erst durch Neuwahlen wieder ins Dasein treten. Die Regierung
konnte einige Hoffnung hegen, daß die Verordnung, die ein Haupthindernis
der Abkühlung, der Erkenntnis des Wahren und Heilsamen im Bereiche der
innern Politik und der darauf hiu zu erwartenden Verständigung wegräumen
sollte, eine ihr günstigere Zusammensetzung der zweiten Kammer zur Folge
haben werde. Die Führer der demokratischen Opposition arbeiteten selbstver¬
ständlich mit ihrem ganzen Beeinflussungsapparat nach Kräften dagegen, und
bei diesem nahm die Presse trotz des Damoklesschwertes, das der 1. Juni
über ihr aufgehängt hatte, noch immer eine Stelle ein, zumal als sie nach
einiger Zeit erst andeutend, dann bestimmter mitteilen konnte, der voraus¬
sichtliche Erbe des Thrones und der Krone sei mit der Preßvervrdnung nicht


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[0552] Der Kronprinz in der Ronflikrszeit Wenn, während er nicht versammelt war, eine Notlage des Landes schleunige Abhilfe erforderte. Sie hatten eine solche Notlage in der unnatürlichen und staatsgefährlichen Aufregung und Verwirrung erblickt, die in dieser Zeit einen großen Teil des Volkes ergriffen hatte, und die nur der demokratische Partei¬ geist in der Ordnung finden konnte. Sie hatten ferner die Hauptursache jenes hochbedenklichen Zustandes in einer zügellosen Presse gesehen, die vorwiegend aus gewerblichen Beweggründen, um interessant zu werden und zu bleiben, um Leser und Anzeigen zu gewinnen, nur in verhältnismäßig seltenen Fällen in der Absicht, eine politische Doktrin zu predigen, eine Überzeugung zu ver¬ breiten und deren Verwirklichung im Lande zu ermöglichen, die vorhandene Verblendung und Erhitzung mit Übertreibungen, schiefen Darstellungen der Sachlage und offenbaren Lügen hervorgerufen und dann mit Eifer genährt und gesteigert hatte. Das Staatsministerium hatte endlich gefunden, daß die bisherigen Mittel, diesem Unwesen beizukommen und zu steuern, nicht genügten, und daß ein andrer Weg zur Abhilfe betreten werden müsse, bei dessen Wahl es sich auf Anregungen berufen konnte, die schon in dem frühern altliberalen Ministerium laut geworden waren. Dieser Weg führte zu dem Beschluß, die Überwachung der Thätigkeit des Preßgewerbes den Verwaltungsbehörden zu übertragen und diese zum Verbot von Zeitungen und Zeitschriften zu ermächtigen, die dnrch ihre fortdauernde Haltung die öffentliche Wohlfahrt gefährdeten. Das Recht der Regierung war hierbei eben so unzweifelhaft gewesen wie ihre Pflicht, der von der Verfassung verlangte Notstand vorhanden, das Mittel, ihm abzuhelfen, geeigneter als das bisherige nachträgliche und nur ans einzelne strafbare Hand¬ lungen der Presse anwendbare Einschreiten der Gerichte. Drei Glieder der Gesetzgebung hatten nach der Verfassung zur Preßver- ordnuug ihre Zustimmung zu erteilen, wenn sie Gesetz werden, also für die Dauer Geltung behalten sollte: der König, das Herrenhaus und das Abge¬ ordnetenhaus. Der König gab sie, indem er die Verordnung unterzeichnete, vom Herrenhause war sie mit Bestimmtheit zu erwarten, das Abgeordnetenhalls war nicht versammelt und thatsächlich gar nicht vorhanden; denn es war aufgelöst worden und sollte erst durch Neuwahlen wieder ins Dasein treten. Die Regierung konnte einige Hoffnung hegen, daß die Verordnung, die ein Haupthindernis der Abkühlung, der Erkenntnis des Wahren und Heilsamen im Bereiche der innern Politik und der darauf hiu zu erwartenden Verständigung wegräumen sollte, eine ihr günstigere Zusammensetzung der zweiten Kammer zur Folge haben werde. Die Führer der demokratischen Opposition arbeiteten selbstver¬ ständlich mit ihrem ganzen Beeinflussungsapparat nach Kräften dagegen, und bei diesem nahm die Presse trotz des Damoklesschwertes, das der 1. Juni über ihr aufgehängt hatte, noch immer eine Stelle ein, zumal als sie nach einiger Zeit erst andeutend, dann bestimmter mitteilen konnte, der voraus¬ sichtliche Erbe des Thrones und der Krone sei mit der Preßvervrdnung nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/552>, abgerufen am 06.02.2025.