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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Die Rechtsverhältnisse der Lingebornen in den deutschen Schutzgebieten

dem Gebiete der vergleichenden Rechtswissenschaft notwendig; sie allein können
den festen Boden geben, von dem aus sichere Beobachtungen über die Rechts¬
einrichtungen fremder Völker gemacht werden können. Von diesem Gesichts¬
punkte aus wird es auch notwendig werden, daß künftig von den in den Schutz¬
gebieten angestellten Richtern und Verwaltungsbeamten, die fortwährend mit
den Eingebornen in Berührung kommen, besondre Vorkenntnisse gerade auf
dem Gebiete der vergleichenden Rechtswissenschaft verlangt werden.

Es wird sich nun kaum behaupten lassen, daß die Missionare und Reisenden,
deren Beobachtungen wir die Mitteilungen über die Rcchtsgewohnheiten, Sitten
und Einrichtungen der eingebornen Völkerschaften unsrer Schutzgebiete ver¬
danken, stets die nötigen rechtlichen Vorkenntnisse besessen Hütten, um die
von. thuen beobachteten Verhältnisse richtig zu erfassen. Es liegt vielmehr
die Annahme nahe, daß vieles von ihnen nicht richtig gesehen und wieder¬
gegeben worden sei. Daher mag es auch kommen, daß die Nachrichten über
die Einrichtungen und Gebräuche stammverwandter, einander benachbarter und
unter gleichen Verhältnissen lebender Völkerschaften so ganz verschieden lauten,
namentlich wenn sie von verschiednen Beobachtern herrühren. In dieser Hinsicht
mag nur z. B. darauf aufmerksam gemacht werdeu, wie schwierig es in der
Regel ist, festzustellen, ob und inwieweit sich bei einer Völkerschaft bereits
Privateigentum an Grund und Boden ausgebildet hat oder noch Gemeinde-
eigcntum besteht. Und doch ist dies für die Regelung der Rechtsverhältnisse
in eiuer Kolonie eine der wichtigsten Fragen. (Vgl. z. B. über die interessanten
Verhältnisse in niederländisch-Ostindien: of I^ootor, HWclloiäiog' tot av Xonnis
v-in llot, LtNits 6ii ^Äinini-ztrÄtik Rsolrt van ^öäerlNiäMÜ-Iiräiö S. 374 ff.)

Für eine gründliche und systematische Erforschung der Rechtsverhältnisse
der Eingebornen der deutschen Kolonie" ist also noch recht viel zu thun.
Eine derartige Erforschung wird der Natur der Sache nach zunächst den prak¬
tischen Zweck zu verfolgen haben, die deutsche Kolonialverwaltung über die
Rechtsverhältnisse der Eingebornen möglichst aufzuklären, um sie in den Stand
zu setzen, die eingeborne Bevölkerung in einer ihren Sitten und Gebräuchen
entsprechenden Weise zu behandeln und gegebenen Falls geeignete Zivil- und
Strafgesetze für sie zu erlassen.

Welchen Wert eine genauere Kenntnis der Sitten und Rechtseiurichtnugeu
der Eingebornen insbesondre auch für die in deu Kolonien thätigen Beamten
hat, bedarf wohl keiner besondern Hervorhebung, denn ohne eine solche Kenntnis
sind bedenkliche Mißgriffe kaum vermeidlich.

Die Erforschung, Feststellung und Sammlung der Nechtsgewohnheiten
und Gebräuche der Eingebornen hat aber auch einen nicht zu unterschätzenden
wissenschaftlichen Wert. Früher war freilich die Ansicht ziemlich verbreitet,
daß ans der Kenntnis der Rechtsanschauungen der sogenannten "barbarischen"
Völker irgend ein Gewinn für die Erkenntnis des Rechts nicht zu erwartet, sei


Die Rechtsverhältnisse der Lingebornen in den deutschen Schutzgebieten

dem Gebiete der vergleichenden Rechtswissenschaft notwendig; sie allein können
den festen Boden geben, von dem aus sichere Beobachtungen über die Rechts¬
einrichtungen fremder Völker gemacht werden können. Von diesem Gesichts¬
punkte aus wird es auch notwendig werden, daß künftig von den in den Schutz¬
gebieten angestellten Richtern und Verwaltungsbeamten, die fortwährend mit
den Eingebornen in Berührung kommen, besondre Vorkenntnisse gerade auf
dem Gebiete der vergleichenden Rechtswissenschaft verlangt werden.

Es wird sich nun kaum behaupten lassen, daß die Missionare und Reisenden,
deren Beobachtungen wir die Mitteilungen über die Rcchtsgewohnheiten, Sitten
und Einrichtungen der eingebornen Völkerschaften unsrer Schutzgebiete ver¬
danken, stets die nötigen rechtlichen Vorkenntnisse besessen Hütten, um die
von. thuen beobachteten Verhältnisse richtig zu erfassen. Es liegt vielmehr
die Annahme nahe, daß vieles von ihnen nicht richtig gesehen und wieder¬
gegeben worden sei. Daher mag es auch kommen, daß die Nachrichten über
die Einrichtungen und Gebräuche stammverwandter, einander benachbarter und
unter gleichen Verhältnissen lebender Völkerschaften so ganz verschieden lauten,
namentlich wenn sie von verschiednen Beobachtern herrühren. In dieser Hinsicht
mag nur z. B. darauf aufmerksam gemacht werdeu, wie schwierig es in der
Regel ist, festzustellen, ob und inwieweit sich bei einer Völkerschaft bereits
Privateigentum an Grund und Boden ausgebildet hat oder noch Gemeinde-
eigcntum besteht. Und doch ist dies für die Regelung der Rechtsverhältnisse
in eiuer Kolonie eine der wichtigsten Fragen. (Vgl. z. B. über die interessanten
Verhältnisse in niederländisch-Ostindien: of I^ootor, HWclloiäiog' tot av Xonnis
v-in llot, LtNits 6ii ^Äinini-ztrÄtik Rsolrt van ^öäerlNiäMÜ-Iiräiö S. 374 ff.)

Für eine gründliche und systematische Erforschung der Rechtsverhältnisse
der Eingebornen der deutschen Kolonie» ist also noch recht viel zu thun.
Eine derartige Erforschung wird der Natur der Sache nach zunächst den prak¬
tischen Zweck zu verfolgen haben, die deutsche Kolonialverwaltung über die
Rechtsverhältnisse der Eingebornen möglichst aufzuklären, um sie in den Stand
zu setzen, die eingeborne Bevölkerung in einer ihren Sitten und Gebräuchen
entsprechenden Weise zu behandeln und gegebenen Falls geeignete Zivil- und
Strafgesetze für sie zu erlassen.

Welchen Wert eine genauere Kenntnis der Sitten und Rechtseiurichtnugeu
der Eingebornen insbesondre auch für die in deu Kolonien thätigen Beamten
hat, bedarf wohl keiner besondern Hervorhebung, denn ohne eine solche Kenntnis
sind bedenkliche Mißgriffe kaum vermeidlich.

Die Erforschung, Feststellung und Sammlung der Nechtsgewohnheiten
und Gebräuche der Eingebornen hat aber auch einen nicht zu unterschätzenden
wissenschaftlichen Wert. Früher war freilich die Ansicht ziemlich verbreitet,
daß ans der Kenntnis der Rechtsanschauungen der sogenannten „barbarischen"
Völker irgend ein Gewinn für die Erkenntnis des Rechts nicht zu erwartet, sei


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[0541] Die Rechtsverhältnisse der Lingebornen in den deutschen Schutzgebieten dem Gebiete der vergleichenden Rechtswissenschaft notwendig; sie allein können den festen Boden geben, von dem aus sichere Beobachtungen über die Rechts¬ einrichtungen fremder Völker gemacht werden können. Von diesem Gesichts¬ punkte aus wird es auch notwendig werden, daß künftig von den in den Schutz¬ gebieten angestellten Richtern und Verwaltungsbeamten, die fortwährend mit den Eingebornen in Berührung kommen, besondre Vorkenntnisse gerade auf dem Gebiete der vergleichenden Rechtswissenschaft verlangt werden. Es wird sich nun kaum behaupten lassen, daß die Missionare und Reisenden, deren Beobachtungen wir die Mitteilungen über die Rcchtsgewohnheiten, Sitten und Einrichtungen der eingebornen Völkerschaften unsrer Schutzgebiete ver¬ danken, stets die nötigen rechtlichen Vorkenntnisse besessen Hütten, um die von. thuen beobachteten Verhältnisse richtig zu erfassen. Es liegt vielmehr die Annahme nahe, daß vieles von ihnen nicht richtig gesehen und wieder¬ gegeben worden sei. Daher mag es auch kommen, daß die Nachrichten über die Einrichtungen und Gebräuche stammverwandter, einander benachbarter und unter gleichen Verhältnissen lebender Völkerschaften so ganz verschieden lauten, namentlich wenn sie von verschiednen Beobachtern herrühren. In dieser Hinsicht mag nur z. B. darauf aufmerksam gemacht werdeu, wie schwierig es in der Regel ist, festzustellen, ob und inwieweit sich bei einer Völkerschaft bereits Privateigentum an Grund und Boden ausgebildet hat oder noch Gemeinde- eigcntum besteht. Und doch ist dies für die Regelung der Rechtsverhältnisse in eiuer Kolonie eine der wichtigsten Fragen. (Vgl. z. B. über die interessanten Verhältnisse in niederländisch-Ostindien: of I^ootor, HWclloiäiog' tot av Xonnis v-in llot, LtNits 6ii ^Äinini-ztrÄtik Rsolrt van ^öäerlNiäMÜ-Iiräiö S. 374 ff.) Für eine gründliche und systematische Erforschung der Rechtsverhältnisse der Eingebornen der deutschen Kolonie» ist also noch recht viel zu thun. Eine derartige Erforschung wird der Natur der Sache nach zunächst den prak¬ tischen Zweck zu verfolgen haben, die deutsche Kolonialverwaltung über die Rechtsverhältnisse der Eingebornen möglichst aufzuklären, um sie in den Stand zu setzen, die eingeborne Bevölkerung in einer ihren Sitten und Gebräuchen entsprechenden Weise zu behandeln und gegebenen Falls geeignete Zivil- und Strafgesetze für sie zu erlassen. Welchen Wert eine genauere Kenntnis der Sitten und Rechtseiurichtnugeu der Eingebornen insbesondre auch für die in deu Kolonien thätigen Beamten hat, bedarf wohl keiner besondern Hervorhebung, denn ohne eine solche Kenntnis sind bedenkliche Mißgriffe kaum vermeidlich. Die Erforschung, Feststellung und Sammlung der Nechtsgewohnheiten und Gebräuche der Eingebornen hat aber auch einen nicht zu unterschätzenden wissenschaftlichen Wert. Früher war freilich die Ansicht ziemlich verbreitet, daß ans der Kenntnis der Rechtsanschauungen der sogenannten „barbarischen" Völker irgend ein Gewinn für die Erkenntnis des Rechts nicht zu erwartet, sei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/541>, abgerufen am 05.02.2025.