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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Parlamentarische Arbeitsteilung

und die getrennte Tagung der für jedes Gebiet zuständigen beiden Parlamente
Die Vorteile einer solchen Trennung sind schon angedeutet worden. Ich hebe
nur noch einmal hervor! 1. Die kurze Dauer jeder der beiden Tagungen. Sie
würde es auch einem vielbeschäftigte" Privatmanne und einem schwer ab¬
kömmlichen Beamten ermöglichen, ein Mandat zum Reichstage anzunehmen;
der Reichstag wurde daher einen Zuwachs an Männern des praktischen Lebens
und einen Abgang an Nurparlaineutarieru erleiden. 2. Die bessere Information
der einzelnen Mitglieder. Wer ein Mandat zum Reichstage annehme" will,
wurde sich seinen Kenntnissen und Interessen gemäß entweder für die politische
oder für die wirtschaftliche Gesetzgebung entscheiden. Doch stünde auch der
Annahme eines Maubads für beide Reichstage nichts entgegen, da sie nicht
gleichzeitig zu tagen hätten. 3. Eine Reform des Pnrteiwesens. Natürlich
würden im Wirtschaftsparlament ans der einen Seite die Schntzparteien, auf
der andern die Manchesterparteien stehen; in dem andern Reichstage blieben
die konservativen und liberalen Parteien mit nur politischen Gegensätzen. Diese
Neuerung würde vielleicht eine ganz unerwartete Klärung unsers Parteiwesens
zur Folge habe". Es würde z. B. vo" den Nativualliberalen im politischen
Reichstage die große Mehrzahl vollständig in der konservativen Partei auf¬
gehen, weil der wesentlichste Unterschied, der auf wirtschaftlichem Gebiete, dann
wegfiele; dagegen würde wohl -- leider! -- im wirtschaftlichen Reichstage ein
großer Teil der Nationalliberalen der Manchesterpartei beitreten. Das Zentrum
würde hier fast vollzählig zur Schutzpartei gehören, im politischen Parlament
dagegen sich in Liberale und Konservative aufzulösen haben. So würde die
ganze Parteibildung einen freieren Spielraum gewinnen. Denn gegenwärtig
wird, obwohl es el" Prinzip, das gleichzeitig für die politische wie für die
wirtschaftliche Ansicht eines Menschen präjudicirlich wäre, nicht giebt, so doch
allgemein von einem Koiiservativen eme Wirtschaftspolitik des staatlichen Schutzes,
von einem Liberalen die manchesterliche Doktrin erwartet, und im Reichstage be¬
schließt die politische Fraktion, wie der einzelne sich zu den ganz unpolitischen
Fragen der Zölle, der Kolonien, der Versichernngsgesetze n. s. w. zu Verhalten
hat: vio!i.t kraotio, xorvlrt irmmllm. Nach der Teilung zwischen der politischen
und wirtschaftlichen Arbeit würden sich die Parteien in jedem der beide"
Reichstage ""abhängig von einander gruppiren, und ähnlich würde der
Wähler die Freiheit erlange", politisch und wirtschaftlich getrennt, also z. B.,
was jn sehr wohl seiner Überzeugung entsprechen konnte, dort konservativ
und hier sreihäudlerisch zu wählen, und umgekehrt. 4. Endlich würden von
dem wirtschaftlichen Reichstage alle die Vorteile zu erwarten sei", die Fürst
Vismarck einst vo" dem deutschen Volkswirtschnftsrate hoffte. Der Reichs¬
kanzler sagte damals (Sitzung am 1. Dezember 1881), es sei unmöglich, daß
bei der Kürze der Zeit und im Drange der Geschäfte, besonders bei den
Kämpfe" mehr politischer Art, der einzelne Abgeordnete sich die zu den


Grenzboten II. I8L9 "0
Parlamentarische Arbeitsteilung

und die getrennte Tagung der für jedes Gebiet zuständigen beiden Parlamente
Die Vorteile einer solchen Trennung sind schon angedeutet worden. Ich hebe
nur noch einmal hervor! 1. Die kurze Dauer jeder der beiden Tagungen. Sie
würde es auch einem vielbeschäftigte» Privatmanne und einem schwer ab¬
kömmlichen Beamten ermöglichen, ein Mandat zum Reichstage anzunehmen;
der Reichstag wurde daher einen Zuwachs an Männern des praktischen Lebens
und einen Abgang an Nurparlaineutarieru erleiden. 2. Die bessere Information
der einzelnen Mitglieder. Wer ein Mandat zum Reichstage annehme» will,
wurde sich seinen Kenntnissen und Interessen gemäß entweder für die politische
oder für die wirtschaftliche Gesetzgebung entscheiden. Doch stünde auch der
Annahme eines Maubads für beide Reichstage nichts entgegen, da sie nicht
gleichzeitig zu tagen hätten. 3. Eine Reform des Pnrteiwesens. Natürlich
würden im Wirtschaftsparlament ans der einen Seite die Schntzparteien, auf
der andern die Manchesterparteien stehen; in dem andern Reichstage blieben
die konservativen und liberalen Parteien mit nur politischen Gegensätzen. Diese
Neuerung würde vielleicht eine ganz unerwartete Klärung unsers Parteiwesens
zur Folge habe». Es würde z. B. vo» den Nativualliberalen im politischen
Reichstage die große Mehrzahl vollständig in der konservativen Partei auf¬
gehen, weil der wesentlichste Unterschied, der auf wirtschaftlichem Gebiete, dann
wegfiele; dagegen würde wohl — leider! — im wirtschaftlichen Reichstage ein
großer Teil der Nationalliberalen der Manchesterpartei beitreten. Das Zentrum
würde hier fast vollzählig zur Schutzpartei gehören, im politischen Parlament
dagegen sich in Liberale und Konservative aufzulösen haben. So würde die
ganze Parteibildung einen freieren Spielraum gewinnen. Denn gegenwärtig
wird, obwohl es el» Prinzip, das gleichzeitig für die politische wie für die
wirtschaftliche Ansicht eines Menschen präjudicirlich wäre, nicht giebt, so doch
allgemein von einem Koiiservativen eme Wirtschaftspolitik des staatlichen Schutzes,
von einem Liberalen die manchesterliche Doktrin erwartet, und im Reichstage be¬
schließt die politische Fraktion, wie der einzelne sich zu den ganz unpolitischen
Fragen der Zölle, der Kolonien, der Versichernngsgesetze n. s. w. zu Verhalten
hat: vio!i.t kraotio, xorvlrt irmmllm. Nach der Teilung zwischen der politischen
und wirtschaftlichen Arbeit würden sich die Parteien in jedem der beide»
Reichstage »»abhängig von einander gruppiren, und ähnlich würde der
Wähler die Freiheit erlange», politisch und wirtschaftlich getrennt, also z. B.,
was jn sehr wohl seiner Überzeugung entsprechen konnte, dort konservativ
und hier sreihäudlerisch zu wählen, und umgekehrt. 4. Endlich würden von
dem wirtschaftlichen Reichstage alle die Vorteile zu erwarten sei», die Fürst
Vismarck einst vo» dem deutschen Volkswirtschnftsrate hoffte. Der Reichs¬
kanzler sagte damals (Sitzung am 1. Dezember 1881), es sei unmöglich, daß
bei der Kürze der Zeit und im Drange der Geschäfte, besonders bei den
Kämpfe» mehr politischer Art, der einzelne Abgeordnete sich die zu den


Grenzboten II. I8L9 »0
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[0529] Parlamentarische Arbeitsteilung und die getrennte Tagung der für jedes Gebiet zuständigen beiden Parlamente Die Vorteile einer solchen Trennung sind schon angedeutet worden. Ich hebe nur noch einmal hervor! 1. Die kurze Dauer jeder der beiden Tagungen. Sie würde es auch einem vielbeschäftigte» Privatmanne und einem schwer ab¬ kömmlichen Beamten ermöglichen, ein Mandat zum Reichstage anzunehmen; der Reichstag wurde daher einen Zuwachs an Männern des praktischen Lebens und einen Abgang an Nurparlaineutarieru erleiden. 2. Die bessere Information der einzelnen Mitglieder. Wer ein Mandat zum Reichstage annehme» will, wurde sich seinen Kenntnissen und Interessen gemäß entweder für die politische oder für die wirtschaftliche Gesetzgebung entscheiden. Doch stünde auch der Annahme eines Maubads für beide Reichstage nichts entgegen, da sie nicht gleichzeitig zu tagen hätten. 3. Eine Reform des Pnrteiwesens. Natürlich würden im Wirtschaftsparlament ans der einen Seite die Schntzparteien, auf der andern die Manchesterparteien stehen; in dem andern Reichstage blieben die konservativen und liberalen Parteien mit nur politischen Gegensätzen. Diese Neuerung würde vielleicht eine ganz unerwartete Klärung unsers Parteiwesens zur Folge habe». Es würde z. B. vo» den Nativualliberalen im politischen Reichstage die große Mehrzahl vollständig in der konservativen Partei auf¬ gehen, weil der wesentlichste Unterschied, der auf wirtschaftlichem Gebiete, dann wegfiele; dagegen würde wohl — leider! — im wirtschaftlichen Reichstage ein großer Teil der Nationalliberalen der Manchesterpartei beitreten. Das Zentrum würde hier fast vollzählig zur Schutzpartei gehören, im politischen Parlament dagegen sich in Liberale und Konservative aufzulösen haben. So würde die ganze Parteibildung einen freieren Spielraum gewinnen. Denn gegenwärtig wird, obwohl es el» Prinzip, das gleichzeitig für die politische wie für die wirtschaftliche Ansicht eines Menschen präjudicirlich wäre, nicht giebt, so doch allgemein von einem Koiiservativen eme Wirtschaftspolitik des staatlichen Schutzes, von einem Liberalen die manchesterliche Doktrin erwartet, und im Reichstage be¬ schließt die politische Fraktion, wie der einzelne sich zu den ganz unpolitischen Fragen der Zölle, der Kolonien, der Versichernngsgesetze n. s. w. zu Verhalten hat: vio!i.t kraotio, xorvlrt irmmllm. Nach der Teilung zwischen der politischen und wirtschaftlichen Arbeit würden sich die Parteien in jedem der beide» Reichstage »»abhängig von einander gruppiren, und ähnlich würde der Wähler die Freiheit erlange», politisch und wirtschaftlich getrennt, also z. B., was jn sehr wohl seiner Überzeugung entsprechen konnte, dort konservativ und hier sreihäudlerisch zu wählen, und umgekehrt. 4. Endlich würden von dem wirtschaftlichen Reichstage alle die Vorteile zu erwarten sei», die Fürst Vismarck einst vo» dem deutschen Volkswirtschnftsrate hoffte. Der Reichs¬ kanzler sagte damals (Sitzung am 1. Dezember 1881), es sei unmöglich, daß bei der Kürze der Zeit und im Drange der Geschäfte, besonders bei den Kämpfe» mehr politischer Art, der einzelne Abgeordnete sich die zu den Grenzboten II. I8L9 »0

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/529>, abgerufen am 05.02.2025.