Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Historische Ausstellung deutscher Grabstichelarbeiten im Berliner Aupferstichkabinet

auch der "Meister der Hi.stvri.LN des Boccaccio" thätig, voll dem eine Darstellung
ausgestellt ist, die als eine Variation der seit dem vierzehnten Jahrhundert
beliebten Totentänze von sittengeschichtlichem Interesse ist. Das "Schachspiel
mit dem Tode" zeigt uns Papst und König umgeben von großem Gefolge
beim Schachspiel, während der Sensenmann hinzutritt und dnrch seinen Eingriff
das Spiel entscheidet. Bon gleichzeitiger Hand sind nnserm Exemplar dieses
Tvdesbildes einige Reime hinzugefügt des Inhalts, daß Jung und Alt, Reich
und Arm, Bornehm und Gering im Bann des Todes stehen, der ihr am Lebens¬
spiel ein Ende setzt.

Die oberdeutschen Stecher des fünfzehnten Jahrhunderts, wie Mair von
Landshut, die Meister M. Z., B. S. und A. G., bleiben technisch hinter der
niederrheinischen Schule zurück, zeigen dagegen eine größere Selbständigkeit der
Erfindung. Das gleiche gilt auch von dein als Bildschnitzer allgemein bekannten
Beit Stoß, dessen Auferweckung des Lazarus nun es doch recht sehr anmerkt,
daß der Meister das Schnitzmesser besser als den Grabstichel zu führe" ver¬
stand. Die Zahl der mit seiner Werkstattmarke bezeichneten Kupferstiche ist
auch nur klein, und wir begreifen, daß die reiche, dnrch so viele Werke be¬
zeugte Thätigkeit des Bildschnitzers für andre Beschäftigung in einer fremden
Technik wenig Zeit übrig ließ. Seinem Nürnberger Mitbürger Wohlgemuth
jedoch, dessen zahlreiche Gemälde ohnehin schon zu der Vermutung geführt
haben, daß die Mehrzahl derselben unter weitgehender Mithilfe der Wert-
stattgenvssen entstanden ist, hat man auch noch die stattliche Anzahl von
Stichen zuschreiben wolle", die das Zeiche" trage", und da sich uuter
diesen viele Kopie" "ach Dürer finde", hat mau das Verhältnis umgekehrt und
Albrecht Dürer als Kopisten seines Lehrers Wohlgemut!) hingestellt, dem in
seinem hohen Lebensalter dann noch der Ruhm der Errungenschaften zufallen
würde, die wir unserm Albrecht Dürer zu verdanke" gewohnt waren. Das
Unnatürliche dieser Annahme hat dazu geführt, sie zu Gunsten einer andern falle"
zu lassen, die freilich trotz der Bestimmtheit, mit der sie ausgesprochen wird,
doch much nur eine -- Annahme bleibt: darnach wäre" die sogenannten W.¬
Stiche sämtlich dem sonst ganz unbekannten Goldschmied Wenzel von Olmütz
zuzuschreiben, dessen einziges mit vollem Namen bezeichnetes Blatt, der Tod
Mariä, eine Kopie nach der gleichen Darstellung Schvugauers, ebenfalls aus¬
gestellt ist.

Damit haben wir die Schwelle des sechzehnten Jahrhunderts bereits
überschritten und sind in diejenige Periode eingetreten, die den Höhepunkt in
der Entwicklung des deutschen Kupferstichs bezeichnet. Die Versuche und
Leistungen des fünfzehnten Jahrhunderts haben gewiß vollen Anspruch auf
unser Interesse, lind dem i" der Ausstellung ihnen eingeräumten Platz ent¬
sprach auch der Umfang unsrer Betrachtung im Rahmen dieser an sich not¬
wendigerweise knappen Schilderung; mit dem sechzehnten Jahrhundert aber, vor


Historische Ausstellung deutscher Grabstichelarbeiten im Berliner Aupferstichkabinet

auch der „Meister der Hi.stvri.LN des Boccaccio" thätig, voll dem eine Darstellung
ausgestellt ist, die als eine Variation der seit dem vierzehnten Jahrhundert
beliebten Totentänze von sittengeschichtlichem Interesse ist. Das „Schachspiel
mit dem Tode" zeigt uns Papst und König umgeben von großem Gefolge
beim Schachspiel, während der Sensenmann hinzutritt und dnrch seinen Eingriff
das Spiel entscheidet. Bon gleichzeitiger Hand sind nnserm Exemplar dieses
Tvdesbildes einige Reime hinzugefügt des Inhalts, daß Jung und Alt, Reich
und Arm, Bornehm und Gering im Bann des Todes stehen, der ihr am Lebens¬
spiel ein Ende setzt.

Die oberdeutschen Stecher des fünfzehnten Jahrhunderts, wie Mair von
Landshut, die Meister M. Z., B. S. und A. G., bleiben technisch hinter der
niederrheinischen Schule zurück, zeigen dagegen eine größere Selbständigkeit der
Erfindung. Das gleiche gilt auch von dein als Bildschnitzer allgemein bekannten
Beit Stoß, dessen Auferweckung des Lazarus nun es doch recht sehr anmerkt,
daß der Meister das Schnitzmesser besser als den Grabstichel zu führe» ver¬
stand. Die Zahl der mit seiner Werkstattmarke bezeichneten Kupferstiche ist
auch nur klein, und wir begreifen, daß die reiche, dnrch so viele Werke be¬
zeugte Thätigkeit des Bildschnitzers für andre Beschäftigung in einer fremden
Technik wenig Zeit übrig ließ. Seinem Nürnberger Mitbürger Wohlgemuth
jedoch, dessen zahlreiche Gemälde ohnehin schon zu der Vermutung geführt
haben, daß die Mehrzahl derselben unter weitgehender Mithilfe der Wert-
stattgenvssen entstanden ist, hat man auch noch die stattliche Anzahl von
Stichen zuschreiben wolle», die das Zeiche» trage», und da sich uuter
diesen viele Kopie» »ach Dürer finde», hat mau das Verhältnis umgekehrt und
Albrecht Dürer als Kopisten seines Lehrers Wohlgemut!) hingestellt, dem in
seinem hohen Lebensalter dann noch der Ruhm der Errungenschaften zufallen
würde, die wir unserm Albrecht Dürer zu verdanke» gewohnt waren. Das
Unnatürliche dieser Annahme hat dazu geführt, sie zu Gunsten einer andern falle»
zu lassen, die freilich trotz der Bestimmtheit, mit der sie ausgesprochen wird,
doch much nur eine — Annahme bleibt: darnach wäre» die sogenannten W.¬
Stiche sämtlich dem sonst ganz unbekannten Goldschmied Wenzel von Olmütz
zuzuschreiben, dessen einziges mit vollem Namen bezeichnetes Blatt, der Tod
Mariä, eine Kopie nach der gleichen Darstellung Schvugauers, ebenfalls aus¬
gestellt ist.

Damit haben wir die Schwelle des sechzehnten Jahrhunderts bereits
überschritten und sind in diejenige Periode eingetreten, die den Höhepunkt in
der Entwicklung des deutschen Kupferstichs bezeichnet. Die Versuche und
Leistungen des fünfzehnten Jahrhunderts haben gewiß vollen Anspruch auf
unser Interesse, lind dem i» der Ausstellung ihnen eingeräumten Platz ent¬
sprach auch der Umfang unsrer Betrachtung im Rahmen dieser an sich not¬
wendigerweise knappen Schilderung; mit dem sechzehnten Jahrhundert aber, vor


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0524" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205255"/>
          <fw type="header" place="top"> Historische Ausstellung deutscher Grabstichelarbeiten im Berliner Aupferstichkabinet</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1460" prev="#ID_1459"> auch der &#x201E;Meister der Hi.stvri.LN des Boccaccio" thätig, voll dem eine Darstellung<lb/>
ausgestellt ist, die als eine Variation der seit dem vierzehnten Jahrhundert<lb/>
beliebten Totentänze von sittengeschichtlichem Interesse ist. Das &#x201E;Schachspiel<lb/>
mit dem Tode" zeigt uns Papst und König umgeben von großem Gefolge<lb/>
beim Schachspiel, während der Sensenmann hinzutritt und dnrch seinen Eingriff<lb/>
das Spiel entscheidet. Bon gleichzeitiger Hand sind nnserm Exemplar dieses<lb/>
Tvdesbildes einige Reime hinzugefügt des Inhalts, daß Jung und Alt, Reich<lb/>
und Arm, Bornehm und Gering im Bann des Todes stehen, der ihr am Lebens¬<lb/>
spiel ein Ende setzt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1461"> Die oberdeutschen Stecher des fünfzehnten Jahrhunderts, wie Mair von<lb/>
Landshut, die Meister M. Z., B. S. und A. G., bleiben technisch hinter der<lb/>
niederrheinischen Schule zurück, zeigen dagegen eine größere Selbständigkeit der<lb/>
Erfindung. Das gleiche gilt auch von dein als Bildschnitzer allgemein bekannten<lb/>
Beit Stoß, dessen Auferweckung des Lazarus nun es doch recht sehr anmerkt,<lb/>
daß der Meister das Schnitzmesser besser als den Grabstichel zu führe» ver¬<lb/>
stand. Die Zahl der mit seiner Werkstattmarke bezeichneten Kupferstiche ist<lb/>
auch nur klein, und wir begreifen, daß die reiche, dnrch so viele Werke be¬<lb/>
zeugte Thätigkeit des Bildschnitzers für andre Beschäftigung in einer fremden<lb/>
Technik wenig Zeit übrig ließ. Seinem Nürnberger Mitbürger Wohlgemuth<lb/>
jedoch, dessen zahlreiche Gemälde ohnehin schon zu der Vermutung geführt<lb/>
haben, daß die Mehrzahl derselben unter weitgehender Mithilfe der Wert-<lb/>
stattgenvssen entstanden ist, hat man auch noch die stattliche Anzahl von<lb/>
Stichen zuschreiben wolle», die das Zeiche» trage», und da sich uuter<lb/>
diesen viele Kopie» »ach Dürer finde», hat mau das Verhältnis umgekehrt und<lb/>
Albrecht Dürer als Kopisten seines Lehrers Wohlgemut!) hingestellt, dem in<lb/>
seinem hohen Lebensalter dann noch der Ruhm der Errungenschaften zufallen<lb/>
würde, die wir unserm Albrecht Dürer zu verdanke» gewohnt waren. Das<lb/>
Unnatürliche dieser Annahme hat dazu geführt, sie zu Gunsten einer andern falle»<lb/>
zu lassen, die freilich trotz der Bestimmtheit, mit der sie ausgesprochen wird,<lb/>
doch much nur eine &#x2014; Annahme bleibt: darnach wäre» die sogenannten W.¬<lb/>
Stiche sämtlich dem sonst ganz unbekannten Goldschmied Wenzel von Olmütz<lb/>
zuzuschreiben, dessen einziges mit vollem Namen bezeichnetes Blatt, der Tod<lb/>
Mariä, eine Kopie nach der gleichen Darstellung Schvugauers, ebenfalls aus¬<lb/>
gestellt ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1462" next="#ID_1463"> Damit haben wir die Schwelle des sechzehnten Jahrhunderts bereits<lb/>
überschritten und sind in diejenige Periode eingetreten, die den Höhepunkt in<lb/>
der Entwicklung des deutschen Kupferstichs bezeichnet. Die Versuche und<lb/>
Leistungen des fünfzehnten Jahrhunderts haben gewiß vollen Anspruch auf<lb/>
unser Interesse, lind dem i» der Ausstellung ihnen eingeräumten Platz ent¬<lb/>
sprach auch der Umfang unsrer Betrachtung im Rahmen dieser an sich not¬<lb/>
wendigerweise knappen Schilderung; mit dem sechzehnten Jahrhundert aber, vor</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0524] Historische Ausstellung deutscher Grabstichelarbeiten im Berliner Aupferstichkabinet auch der „Meister der Hi.stvri.LN des Boccaccio" thätig, voll dem eine Darstellung ausgestellt ist, die als eine Variation der seit dem vierzehnten Jahrhundert beliebten Totentänze von sittengeschichtlichem Interesse ist. Das „Schachspiel mit dem Tode" zeigt uns Papst und König umgeben von großem Gefolge beim Schachspiel, während der Sensenmann hinzutritt und dnrch seinen Eingriff das Spiel entscheidet. Bon gleichzeitiger Hand sind nnserm Exemplar dieses Tvdesbildes einige Reime hinzugefügt des Inhalts, daß Jung und Alt, Reich und Arm, Bornehm und Gering im Bann des Todes stehen, der ihr am Lebens¬ spiel ein Ende setzt. Die oberdeutschen Stecher des fünfzehnten Jahrhunderts, wie Mair von Landshut, die Meister M. Z., B. S. und A. G., bleiben technisch hinter der niederrheinischen Schule zurück, zeigen dagegen eine größere Selbständigkeit der Erfindung. Das gleiche gilt auch von dein als Bildschnitzer allgemein bekannten Beit Stoß, dessen Auferweckung des Lazarus nun es doch recht sehr anmerkt, daß der Meister das Schnitzmesser besser als den Grabstichel zu führe» ver¬ stand. Die Zahl der mit seiner Werkstattmarke bezeichneten Kupferstiche ist auch nur klein, und wir begreifen, daß die reiche, dnrch so viele Werke be¬ zeugte Thätigkeit des Bildschnitzers für andre Beschäftigung in einer fremden Technik wenig Zeit übrig ließ. Seinem Nürnberger Mitbürger Wohlgemuth jedoch, dessen zahlreiche Gemälde ohnehin schon zu der Vermutung geführt haben, daß die Mehrzahl derselben unter weitgehender Mithilfe der Wert- stattgenvssen entstanden ist, hat man auch noch die stattliche Anzahl von Stichen zuschreiben wolle», die das Zeiche» trage», und da sich uuter diesen viele Kopie» »ach Dürer finde», hat mau das Verhältnis umgekehrt und Albrecht Dürer als Kopisten seines Lehrers Wohlgemut!) hingestellt, dem in seinem hohen Lebensalter dann noch der Ruhm der Errungenschaften zufallen würde, die wir unserm Albrecht Dürer zu verdanke» gewohnt waren. Das Unnatürliche dieser Annahme hat dazu geführt, sie zu Gunsten einer andern falle» zu lassen, die freilich trotz der Bestimmtheit, mit der sie ausgesprochen wird, doch much nur eine — Annahme bleibt: darnach wäre» die sogenannten W.¬ Stiche sämtlich dem sonst ganz unbekannten Goldschmied Wenzel von Olmütz zuzuschreiben, dessen einziges mit vollem Namen bezeichnetes Blatt, der Tod Mariä, eine Kopie nach der gleichen Darstellung Schvugauers, ebenfalls aus¬ gestellt ist. Damit haben wir die Schwelle des sechzehnten Jahrhunderts bereits überschritten und sind in diejenige Periode eingetreten, die den Höhepunkt in der Entwicklung des deutschen Kupferstichs bezeichnet. Die Versuche und Leistungen des fünfzehnten Jahrhunderts haben gewiß vollen Anspruch auf unser Interesse, lind dem i» der Ausstellung ihnen eingeräumten Platz ent¬ sprach auch der Umfang unsrer Betrachtung im Rahmen dieser an sich not¬ wendigerweise knappen Schilderung; mit dem sechzehnten Jahrhundert aber, vor

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/524
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/524>, abgerufen am 05.02.2025.