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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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sich in Anspruch nehmen. So wurde unlängst die Mitgliederliste eines "deutsch-
österreichischen Turnvereines" veröffentlicht; die begann "Abeles, Abeles, Abeles,
Abeles, Abraham, Adler" und schloß mit "Znckermann, Zwack, Zwicker", und
sie wies unter je hundert Mitgliedern nnr vier Nichtsemiten auf. Dem entsprechend
hat die deutschösterreichische oder liberale oder Bürgerpartei im dritten Wnhl-
körper den glänzendsten Sieg in dem Bezirke Leopoldstadt errungen, dein ehe¬
maligen Jndenviertel. Wenn die wirklichen Deutsch österre ich er aus allen diesen
Ergebnissen durchaus keine Lehre ziehen Wollen, so werde" sie vielleicht noch
mehr erleben.

Eine ergötzliche Wendung nahm die Beziehung auf das Tagesereignis in
dem Munde des Abgeordneten Grafen Wnrmbrand, eines Mannes, der stets
völlig uunbhäugige Ansichten bekundet hat, und dessen Steckenpferd die vor¬
geschichtliche Nltertninsknnde ist. Er bemerkte, daß zwischen Russen und West¬
slawen keine Nassengemeinschaft bestehe, umgekehrt zwischen Jndogermmien und
Semiten kein Nasseuunterschied. Das vernahm die Linke mit großer Befrie-
digung, machte aber ziemlich lange Gesichter, als der Redner fortfuhr: "Der Anta¬
gonismus gegen den Juden ist gerade so berechtigt, oder ebenso unberechtigt,
wie es der Kampf gegen den Adel war, der doch von derselben Nasse des
Volkes war, aber durch seine Machtstellung und durch seine rücksichtslos ge¬
brauchte Machtstellung manchmal den Haß des Volkes, den Krieg des Bund¬
schuh oder die französische Revolution hervorrief, die jeden Adlichen, und wenn
er auch der beste war, zum Schaffot brachte; es war der Kampf gegen die
übermächtige Gewalt, die in den Händen einzelner Weniger rücksichtslos ge¬
braucht wurde. Nennen wir die Kämpfe beim Namen, und wir werde" sie
ethnographisch begreifen, wenn mich nicht billigen." Es wäre merkwürdig,
wenn die Antisemiten diesen bittern Schluß sich uicht ebenso zunutze machen
würden, wie Grazicmv den "weisen und gerechten Richter!"

Diese nach Inhalt und Form ruhige und gemessene Rede bildete fast eine
Ausnahme in den parlamentarischem Verhandlungen der letzten Woche. In
der Form vorsichtig war auch Prinz Liechtenstein, der Verfasser des Antrags
auf Einführung der konfessionellen Volksschule, aber den Pferdefuß konnte er
doch nicht verbergen. Der Syllabus soll wirklich für alle Unterrichtsgegenstünde
maßgebend sein, und dadurch erhalten auch sonst unverfängliche Äußerungen,
z. B. daß die Realien nicht in prosessorenhafter Weise vorgetragen, sondern im
Lesebuch abgethan werden sollen, ihre charakteristische Beleuchtung. Es brach
denn auch ein Sturm gegen ihn los, um dem sich der Jungtscheche Gregr aufs
leidenschaftlichste beteiligte, worüber uun wieder die Alttfchecheu außer Rand und
Band geraten sind. Die Linke forderte von dem Minister Ganthas in ge¬
bieterischen Töne eine Erklärung, wie er sich zu dem Liechtensteinschen Antrage
stelle, und da der Minister ausweichend auf die Zeit vertröstete, wo dieser
Antrag zur Verhandlung stehen werde, hagelten die heftigsten Angriffe auf ihn


sich in Anspruch nehmen. So wurde unlängst die Mitgliederliste eines „deutsch-
österreichischen Turnvereines" veröffentlicht; die begann „Abeles, Abeles, Abeles,
Abeles, Abraham, Adler" und schloß mit „Znckermann, Zwack, Zwicker", und
sie wies unter je hundert Mitgliedern nnr vier Nichtsemiten auf. Dem entsprechend
hat die deutschösterreichische oder liberale oder Bürgerpartei im dritten Wnhl-
körper den glänzendsten Sieg in dem Bezirke Leopoldstadt errungen, dein ehe¬
maligen Jndenviertel. Wenn die wirklichen Deutsch österre ich er aus allen diesen
Ergebnissen durchaus keine Lehre ziehen Wollen, so werde» sie vielleicht noch
mehr erleben.

Eine ergötzliche Wendung nahm die Beziehung auf das Tagesereignis in
dem Munde des Abgeordneten Grafen Wnrmbrand, eines Mannes, der stets
völlig uunbhäugige Ansichten bekundet hat, und dessen Steckenpferd die vor¬
geschichtliche Nltertninsknnde ist. Er bemerkte, daß zwischen Russen und West¬
slawen keine Nassengemeinschaft bestehe, umgekehrt zwischen Jndogermmien und
Semiten kein Nasseuunterschied. Das vernahm die Linke mit großer Befrie-
digung, machte aber ziemlich lange Gesichter, als der Redner fortfuhr: „Der Anta¬
gonismus gegen den Juden ist gerade so berechtigt, oder ebenso unberechtigt,
wie es der Kampf gegen den Adel war, der doch von derselben Nasse des
Volkes war, aber durch seine Machtstellung und durch seine rücksichtslos ge¬
brauchte Machtstellung manchmal den Haß des Volkes, den Krieg des Bund¬
schuh oder die französische Revolution hervorrief, die jeden Adlichen, und wenn
er auch der beste war, zum Schaffot brachte; es war der Kampf gegen die
übermächtige Gewalt, die in den Händen einzelner Weniger rücksichtslos ge¬
braucht wurde. Nennen wir die Kämpfe beim Namen, und wir werde« sie
ethnographisch begreifen, wenn mich nicht billigen." Es wäre merkwürdig,
wenn die Antisemiten diesen bittern Schluß sich uicht ebenso zunutze machen
würden, wie Grazicmv den „weisen und gerechten Richter!"

Diese nach Inhalt und Form ruhige und gemessene Rede bildete fast eine
Ausnahme in den parlamentarischem Verhandlungen der letzten Woche. In
der Form vorsichtig war auch Prinz Liechtenstein, der Verfasser des Antrags
auf Einführung der konfessionellen Volksschule, aber den Pferdefuß konnte er
doch nicht verbergen. Der Syllabus soll wirklich für alle Unterrichtsgegenstünde
maßgebend sein, und dadurch erhalten auch sonst unverfängliche Äußerungen,
z. B. daß die Realien nicht in prosessorenhafter Weise vorgetragen, sondern im
Lesebuch abgethan werden sollen, ihre charakteristische Beleuchtung. Es brach
denn auch ein Sturm gegen ihn los, um dem sich der Jungtscheche Gregr aufs
leidenschaftlichste beteiligte, worüber uun wieder die Alttfchecheu außer Rand und
Band geraten sind. Die Linke forderte von dem Minister Ganthas in ge¬
bieterischen Töne eine Erklärung, wie er sich zu dem Liechtensteinschen Antrage
stelle, und da der Minister ausweichend auf die Zeit vertröstete, wo dieser
Antrag zur Verhandlung stehen werde, hagelten die heftigsten Angriffe auf ihn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/52>, abgerufen am 05.02.2025.