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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Zinn Ivettiner-Jubiläum

Am untern Laufe der Saale blickt von einem roten Porphyrfelsen über
dem Städtchen Wettin die Burg Winkel auf den Stromspiegel hinab. Sie ist
als das Stammschloß jeuer Familie das erste Bild, das uns beim jetzigen
Jubiläum vor die Augen tritt, erinnert aber zugleich durch ihre Lage an einen
geschichtlichen Vorgang, der für Ursprung und Zusammensetzung des sächsischen
Volkes von Bedeutung ist. Die Saale war einst der Grenzfluß zwischen Thüringen
und der Ostmark, die Völkerscheide, die im frühen Mittelalter die germanischen
Stämme Mitteldeutschlands von den ihnen bei der großen Wanderung vom
Morgen her nachgerückten slawischen trennte, bis die Wanderung der Deutschen
einen rückläufigen Gang nahm, und die Slawen östlich vom Salzslusse allmäh¬
lich derart mit ihnen verschmolzen, daß sie auch ihre Sprache lind Sitte
annahmen. Mit dem Jubiläum feiern wir also auch die Anfänge dieses Pro¬
zesses. Er hat ein Mischvolk ergeben, das sich neben den andern Stämmen
des Reiches allezeit mit Ehren sehen lassen konnte, und dessen Schuld es uicht
ist, wenn es unter ihnen nicht die Führerrolle gewonnen hat. Das zweite
Bild, auf das uns die Festtage hinweisen, ist der große Reiterzug in Sgraffito,
der die Dresdener Auguftusstraße schmückt, die Ahnengalerie des albertinischen
Zweiges der Wettiner. Begleiten wir sie mit einigen Erinnerungen an den
Charakter und die Leistungen der Hauptpersonen in der stattlichen Reihe. Sie
mögen die Frage beantworte", ob man in allen Jahrhunderten der Entwicklung
Sachsens Ursache gehabt hätte, ein Jubiläum wie das heutige im Sinne eines
Jubelfestes zu feiern. Nachdem die Wettiner unter Kaiser Heinrich dem Vierten die
Mark Meißen erhalten hatten, entwickelten sie sich allmählich zu mächtigen Herren.
Die junge thüringische Kolonie im Wendenlande gedieh unter den rührigen
Händen ihrer Bevölkerung und bei der reichen Erzbente, die man dein Schoße
des Gebirges abgewann, rasch zu wirtschaftlicher Kraft und Bedeutung, und
als das regierende Haus in der Person Heinrichs des Erlauchten die Land¬
grafschaft Thüringen und unter Friedrich dem streitbaren den Kurhut des
zerfallenen alten Herzogtums Sachsen erwarb, schien es einer großen politischen
Zukunft sicher zu sein. Allein es fehlte dem Geschlechte an weitem Blick und
hohem Sinn, und unkluge Teilungen sowie Bruderkriege hemmten wiederholt
das Wachstum des Staates, der, nachdem die Albertiner sich von den Erne-
stinern getrennt und den Kurhut verloren hatten, zunächst in seiner alber¬
tinischen Hälfte alle Bedeutung einbüßte, während die andre die Heimat der
Reformation wurde. Da nahmen die Dinge plötzlich eine andre Wendung.
Herzog Moritz, der größte Geist, den die Dynastie erzeugt hat, tritt auf die
Bühne und erhebt das Land binnen kurzem zur erste" Macht des Protestan¬
tismus. Genial als Krieger wie als Diplomat, erreicht er gewaltige Erfolge,
ist aber und bleibt bis zu seinem frühen Tode doch nur darauf bedacht, seinen
Landbesitz zu wahren, abzurunden und möglichst selbständig zu machen, wozu
ihm jedes Mittel recht ist. Eine nationale Politik liegt ihm ebenso fern wie


Zinn Ivettiner-Jubiläum

Am untern Laufe der Saale blickt von einem roten Porphyrfelsen über
dem Städtchen Wettin die Burg Winkel auf den Stromspiegel hinab. Sie ist
als das Stammschloß jeuer Familie das erste Bild, das uns beim jetzigen
Jubiläum vor die Augen tritt, erinnert aber zugleich durch ihre Lage an einen
geschichtlichen Vorgang, der für Ursprung und Zusammensetzung des sächsischen
Volkes von Bedeutung ist. Die Saale war einst der Grenzfluß zwischen Thüringen
und der Ostmark, die Völkerscheide, die im frühen Mittelalter die germanischen
Stämme Mitteldeutschlands von den ihnen bei der großen Wanderung vom
Morgen her nachgerückten slawischen trennte, bis die Wanderung der Deutschen
einen rückläufigen Gang nahm, und die Slawen östlich vom Salzslusse allmäh¬
lich derart mit ihnen verschmolzen, daß sie auch ihre Sprache lind Sitte
annahmen. Mit dem Jubiläum feiern wir also auch die Anfänge dieses Pro¬
zesses. Er hat ein Mischvolk ergeben, das sich neben den andern Stämmen
des Reiches allezeit mit Ehren sehen lassen konnte, und dessen Schuld es uicht
ist, wenn es unter ihnen nicht die Führerrolle gewonnen hat. Das zweite
Bild, auf das uns die Festtage hinweisen, ist der große Reiterzug in Sgraffito,
der die Dresdener Auguftusstraße schmückt, die Ahnengalerie des albertinischen
Zweiges der Wettiner. Begleiten wir sie mit einigen Erinnerungen an den
Charakter und die Leistungen der Hauptpersonen in der stattlichen Reihe. Sie
mögen die Frage beantworte», ob man in allen Jahrhunderten der Entwicklung
Sachsens Ursache gehabt hätte, ein Jubiläum wie das heutige im Sinne eines
Jubelfestes zu feiern. Nachdem die Wettiner unter Kaiser Heinrich dem Vierten die
Mark Meißen erhalten hatten, entwickelten sie sich allmählich zu mächtigen Herren.
Die junge thüringische Kolonie im Wendenlande gedieh unter den rührigen
Händen ihrer Bevölkerung und bei der reichen Erzbente, die man dein Schoße
des Gebirges abgewann, rasch zu wirtschaftlicher Kraft und Bedeutung, und
als das regierende Haus in der Person Heinrichs des Erlauchten die Land¬
grafschaft Thüringen und unter Friedrich dem streitbaren den Kurhut des
zerfallenen alten Herzogtums Sachsen erwarb, schien es einer großen politischen
Zukunft sicher zu sein. Allein es fehlte dem Geschlechte an weitem Blick und
hohem Sinn, und unkluge Teilungen sowie Bruderkriege hemmten wiederholt
das Wachstum des Staates, der, nachdem die Albertiner sich von den Erne-
stinern getrennt und den Kurhut verloren hatten, zunächst in seiner alber¬
tinischen Hälfte alle Bedeutung einbüßte, während die andre die Heimat der
Reformation wurde. Da nahmen die Dinge plötzlich eine andre Wendung.
Herzog Moritz, der größte Geist, den die Dynastie erzeugt hat, tritt auf die
Bühne und erhebt das Land binnen kurzem zur erste» Macht des Protestan¬
tismus. Genial als Krieger wie als Diplomat, erreicht er gewaltige Erfolge,
ist aber und bleibt bis zu seinem frühen Tode doch nur darauf bedacht, seinen
Landbesitz zu wahren, abzurunden und möglichst selbständig zu machen, wozu
ihm jedes Mittel recht ist. Eine nationale Politik liegt ihm ebenso fern wie


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[0490] Zinn Ivettiner-Jubiläum Am untern Laufe der Saale blickt von einem roten Porphyrfelsen über dem Städtchen Wettin die Burg Winkel auf den Stromspiegel hinab. Sie ist als das Stammschloß jeuer Familie das erste Bild, das uns beim jetzigen Jubiläum vor die Augen tritt, erinnert aber zugleich durch ihre Lage an einen geschichtlichen Vorgang, der für Ursprung und Zusammensetzung des sächsischen Volkes von Bedeutung ist. Die Saale war einst der Grenzfluß zwischen Thüringen und der Ostmark, die Völkerscheide, die im frühen Mittelalter die germanischen Stämme Mitteldeutschlands von den ihnen bei der großen Wanderung vom Morgen her nachgerückten slawischen trennte, bis die Wanderung der Deutschen einen rückläufigen Gang nahm, und die Slawen östlich vom Salzslusse allmäh¬ lich derart mit ihnen verschmolzen, daß sie auch ihre Sprache lind Sitte annahmen. Mit dem Jubiläum feiern wir also auch die Anfänge dieses Pro¬ zesses. Er hat ein Mischvolk ergeben, das sich neben den andern Stämmen des Reiches allezeit mit Ehren sehen lassen konnte, und dessen Schuld es uicht ist, wenn es unter ihnen nicht die Führerrolle gewonnen hat. Das zweite Bild, auf das uns die Festtage hinweisen, ist der große Reiterzug in Sgraffito, der die Dresdener Auguftusstraße schmückt, die Ahnengalerie des albertinischen Zweiges der Wettiner. Begleiten wir sie mit einigen Erinnerungen an den Charakter und die Leistungen der Hauptpersonen in der stattlichen Reihe. Sie mögen die Frage beantworte», ob man in allen Jahrhunderten der Entwicklung Sachsens Ursache gehabt hätte, ein Jubiläum wie das heutige im Sinne eines Jubelfestes zu feiern. Nachdem die Wettiner unter Kaiser Heinrich dem Vierten die Mark Meißen erhalten hatten, entwickelten sie sich allmählich zu mächtigen Herren. Die junge thüringische Kolonie im Wendenlande gedieh unter den rührigen Händen ihrer Bevölkerung und bei der reichen Erzbente, die man dein Schoße des Gebirges abgewann, rasch zu wirtschaftlicher Kraft und Bedeutung, und als das regierende Haus in der Person Heinrichs des Erlauchten die Land¬ grafschaft Thüringen und unter Friedrich dem streitbaren den Kurhut des zerfallenen alten Herzogtums Sachsen erwarb, schien es einer großen politischen Zukunft sicher zu sein. Allein es fehlte dem Geschlechte an weitem Blick und hohem Sinn, und unkluge Teilungen sowie Bruderkriege hemmten wiederholt das Wachstum des Staates, der, nachdem die Albertiner sich von den Erne- stinern getrennt und den Kurhut verloren hatten, zunächst in seiner alber¬ tinischen Hälfte alle Bedeutung einbüßte, während die andre die Heimat der Reformation wurde. Da nahmen die Dinge plötzlich eine andre Wendung. Herzog Moritz, der größte Geist, den die Dynastie erzeugt hat, tritt auf die Bühne und erhebt das Land binnen kurzem zur erste» Macht des Protestan¬ tismus. Genial als Krieger wie als Diplomat, erreicht er gewaltige Erfolge, ist aber und bleibt bis zu seinem frühen Tode doch nur darauf bedacht, seinen Landbesitz zu wahren, abzurunden und möglichst selbständig zu machen, wozu ihm jedes Mittel recht ist. Eine nationale Politik liegt ihm ebenso fern wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/490>, abgerufen am 05.02.2025.