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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Neue Erzählungen

wahrhaft poetische Welt, in die er uns versetzt. Als Meister der novellistischen
Form ist er gegenwärtig schon anerkannt; nur vermögen viele, vom Realis¬
mus erzogen, das märchenhafte Element in seiner Phantasie, die sich zuweilen
auch am rein ästhetischen Spiele mit Menschen und Handlungen ergötzt, ohne
Rücksicht zu nehmen auf die Wahrscheinlichkeit des Erzählten, nicht unbefangen
mitzuempfinden. Daun machen sie dem Dichter größere Vorwürfe, als er
in Wahrheit verdient. Der pedantisch moralisirende Realismus der modernen
Erzähler untergräbt jede Empfänglichkeit für die eigentlich freie Kunst des
Dichters; wenn heute ein Ariost aufträte, diese prosaischen Kritiker würden ihm
den Eingang zum Parnaß mit Kolbenstößen verwehren. Hans Hoffmann ist
nun einer vom Schlage jener Phantasiemenschen, deren einziger Ehrgeiz es ist,
nicht zu belehren, sondern zu ergötzen, deren ganze Poetik in dem Satze:
"Märchen noch so wunderbar -- Dichterkuuste machens wahr" enthalten ist.
So vollgesogen auch Hvffmnnn von zeitgenössischer Bildung ist -- insbesondre
ist Bischers Ästhetik für sein ganzes Schaffen maßgebend geworden --, hierin
unterscheidet er sich gründlich von vielen seiner litterarischen Zeitgenossen, nur
hinter Gottfried Keller steht er zurück.

In allen seinen bisher veröffentlichten Novellen hat Hoffmann noch an
dem Prinzip der idealen Ferne festgehalten. Der Dichter mußte sich Menschen
und Dinge in einen räumlichen und zeitlichen Abstand stellen, um ein rein
ästhetisches Verhältnis zu ihnen zu gewinnen, waS der Gegenwart gegenüber,
in der man wirkt und selbst parteiisch ankämpft, weitaus schwieriger ist. Der
Dichter soll so wenig parteiisch sein wie die Sonne, die ihr Licht gleichmäßig
über Gerechte und Ungerechte leuchten läßt. So suchte Hoffmann in den
phäakisch-korfiotischen Geschichten eine Gegend auf, die dem in Norddeutsch¬
land einheimischen Dichter entfernt genug war. Die paradiesische Schönheit
Kvrfus hat Hoffmann mit dem ganzen Zauber feiner fein gebildeten Prosa
gefeiert. Auch innerlich war der Kontakt mit den Phäaken hergestellt. In
einer freigebigen Natur wachsen die Menschen träumerisch auf; solche Phanta-
siemenschen versteht der Dichter gar Wohl. ' Aber auch die thatkräftigen Indi¬
viduen, die griechisch-italienische Schlauheit, versteht der unermüdlich erfinde¬
rische Erzähler vollauf zu würdigem Der großartige weltgeschichtliche
Hintergrund KvrfuS endlich berauschte den klassisch gebildeten Philologen, der
Hoffmann von Haus aus ist. Eine Perspektive bis zur Tragödie der phäa-
kischen .Königstochter Nausikaa mit dein vielgeprüften Odhsseus eröffnete sich
ihm, wenn er in die Vergangenheit des gesegneten Ländchens zurückblickt. Und
wo er hintrat, stieß er ans poetisch nicht minder bedeutsame Spuren der Antike,
der Renaissance, byzantinischer Kunst, venezianischer Herrschaft, türkischer Bar¬
barei, neugriechischer Freiheitskämpfe. Er ließ sich diese künstlerisch dankbaren
Motive nicht entgehen und verwebte sie mit seltenen: Geschick in seine Novellen.
So hat er in seinen Korfugeschichten eine Welt geschildert, die einzig in der


Neue Erzählungen

wahrhaft poetische Welt, in die er uns versetzt. Als Meister der novellistischen
Form ist er gegenwärtig schon anerkannt; nur vermögen viele, vom Realis¬
mus erzogen, das märchenhafte Element in seiner Phantasie, die sich zuweilen
auch am rein ästhetischen Spiele mit Menschen und Handlungen ergötzt, ohne
Rücksicht zu nehmen auf die Wahrscheinlichkeit des Erzählten, nicht unbefangen
mitzuempfinden. Daun machen sie dem Dichter größere Vorwürfe, als er
in Wahrheit verdient. Der pedantisch moralisirende Realismus der modernen
Erzähler untergräbt jede Empfänglichkeit für die eigentlich freie Kunst des
Dichters; wenn heute ein Ariost aufträte, diese prosaischen Kritiker würden ihm
den Eingang zum Parnaß mit Kolbenstößen verwehren. Hans Hoffmann ist
nun einer vom Schlage jener Phantasiemenschen, deren einziger Ehrgeiz es ist,
nicht zu belehren, sondern zu ergötzen, deren ganze Poetik in dem Satze:
„Märchen noch so wunderbar — Dichterkuuste machens wahr" enthalten ist.
So vollgesogen auch Hvffmnnn von zeitgenössischer Bildung ist — insbesondre
ist Bischers Ästhetik für sein ganzes Schaffen maßgebend geworden —, hierin
unterscheidet er sich gründlich von vielen seiner litterarischen Zeitgenossen, nur
hinter Gottfried Keller steht er zurück.

In allen seinen bisher veröffentlichten Novellen hat Hoffmann noch an
dem Prinzip der idealen Ferne festgehalten. Der Dichter mußte sich Menschen
und Dinge in einen räumlichen und zeitlichen Abstand stellen, um ein rein
ästhetisches Verhältnis zu ihnen zu gewinnen, waS der Gegenwart gegenüber,
in der man wirkt und selbst parteiisch ankämpft, weitaus schwieriger ist. Der
Dichter soll so wenig parteiisch sein wie die Sonne, die ihr Licht gleichmäßig
über Gerechte und Ungerechte leuchten läßt. So suchte Hoffmann in den
phäakisch-korfiotischen Geschichten eine Gegend auf, die dem in Norddeutsch¬
land einheimischen Dichter entfernt genug war. Die paradiesische Schönheit
Kvrfus hat Hoffmann mit dem ganzen Zauber feiner fein gebildeten Prosa
gefeiert. Auch innerlich war der Kontakt mit den Phäaken hergestellt. In
einer freigebigen Natur wachsen die Menschen träumerisch auf; solche Phanta-
siemenschen versteht der Dichter gar Wohl. ' Aber auch die thatkräftigen Indi¬
viduen, die griechisch-italienische Schlauheit, versteht der unermüdlich erfinde¬
rische Erzähler vollauf zu würdigem Der großartige weltgeschichtliche
Hintergrund KvrfuS endlich berauschte den klassisch gebildeten Philologen, der
Hoffmann von Haus aus ist. Eine Perspektive bis zur Tragödie der phäa-
kischen .Königstochter Nausikaa mit dein vielgeprüften Odhsseus eröffnete sich
ihm, wenn er in die Vergangenheit des gesegneten Ländchens zurückblickt. Und
wo er hintrat, stieß er ans poetisch nicht minder bedeutsame Spuren der Antike,
der Renaissance, byzantinischer Kunst, venezianischer Herrschaft, türkischer Bar¬
barei, neugriechischer Freiheitskämpfe. Er ließ sich diese künstlerisch dankbaren
Motive nicht entgehen und verwebte sie mit seltenen: Geschick in seine Novellen.
So hat er in seinen Korfugeschichten eine Welt geschildert, die einzig in der


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[0469] Neue Erzählungen wahrhaft poetische Welt, in die er uns versetzt. Als Meister der novellistischen Form ist er gegenwärtig schon anerkannt; nur vermögen viele, vom Realis¬ mus erzogen, das märchenhafte Element in seiner Phantasie, die sich zuweilen auch am rein ästhetischen Spiele mit Menschen und Handlungen ergötzt, ohne Rücksicht zu nehmen auf die Wahrscheinlichkeit des Erzählten, nicht unbefangen mitzuempfinden. Daun machen sie dem Dichter größere Vorwürfe, als er in Wahrheit verdient. Der pedantisch moralisirende Realismus der modernen Erzähler untergräbt jede Empfänglichkeit für die eigentlich freie Kunst des Dichters; wenn heute ein Ariost aufträte, diese prosaischen Kritiker würden ihm den Eingang zum Parnaß mit Kolbenstößen verwehren. Hans Hoffmann ist nun einer vom Schlage jener Phantasiemenschen, deren einziger Ehrgeiz es ist, nicht zu belehren, sondern zu ergötzen, deren ganze Poetik in dem Satze: „Märchen noch so wunderbar — Dichterkuuste machens wahr" enthalten ist. So vollgesogen auch Hvffmnnn von zeitgenössischer Bildung ist — insbesondre ist Bischers Ästhetik für sein ganzes Schaffen maßgebend geworden —, hierin unterscheidet er sich gründlich von vielen seiner litterarischen Zeitgenossen, nur hinter Gottfried Keller steht er zurück. In allen seinen bisher veröffentlichten Novellen hat Hoffmann noch an dem Prinzip der idealen Ferne festgehalten. Der Dichter mußte sich Menschen und Dinge in einen räumlichen und zeitlichen Abstand stellen, um ein rein ästhetisches Verhältnis zu ihnen zu gewinnen, waS der Gegenwart gegenüber, in der man wirkt und selbst parteiisch ankämpft, weitaus schwieriger ist. Der Dichter soll so wenig parteiisch sein wie die Sonne, die ihr Licht gleichmäßig über Gerechte und Ungerechte leuchten läßt. So suchte Hoffmann in den phäakisch-korfiotischen Geschichten eine Gegend auf, die dem in Norddeutsch¬ land einheimischen Dichter entfernt genug war. Die paradiesische Schönheit Kvrfus hat Hoffmann mit dem ganzen Zauber feiner fein gebildeten Prosa gefeiert. Auch innerlich war der Kontakt mit den Phäaken hergestellt. In einer freigebigen Natur wachsen die Menschen träumerisch auf; solche Phanta- siemenschen versteht der Dichter gar Wohl. ' Aber auch die thatkräftigen Indi¬ viduen, die griechisch-italienische Schlauheit, versteht der unermüdlich erfinde¬ rische Erzähler vollauf zu würdigem Der großartige weltgeschichtliche Hintergrund KvrfuS endlich berauschte den klassisch gebildeten Philologen, der Hoffmann von Haus aus ist. Eine Perspektive bis zur Tragödie der phäa- kischen .Königstochter Nausikaa mit dein vielgeprüften Odhsseus eröffnete sich ihm, wenn er in die Vergangenheit des gesegneten Ländchens zurückblickt. Und wo er hintrat, stieß er ans poetisch nicht minder bedeutsame Spuren der Antike, der Renaissance, byzantinischer Kunst, venezianischer Herrschaft, türkischer Bar¬ barei, neugriechischer Freiheitskämpfe. Er ließ sich diese künstlerisch dankbaren Motive nicht entgehen und verwebte sie mit seltenen: Geschick in seine Novellen. So hat er in seinen Korfugeschichten eine Welt geschildert, die einzig in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/469>, abgerufen am 05.02.2025.