Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Ende

Hunderts besaß das Bnuernhans in den meisten Gegenden unsers Vaterlandes
nur eine einzige heizbare Stube, die überdies an manchen Orten, an der Nord¬
seeküste, in den südöstlichen Alpen, der Benutzung bei besondern Gelegenheiten
vorbehalten war, während der eigentliche und regelmäßige Wohnraum auch
für die Winterszeit durch das alte Herdgemach bezeichnet wurde, bei den
Friesen die "Kot," Küche, bei den Niedersachsen das "Flek," in Kürnten und
Steiermark die "Ranchstube." Heute wird zunächst die Trennung des Wohn¬
raumes von der Küche streug durchgeführt. Auch genügt eine Stube uicht
mehr. War die räumliche Abscheidung der von der Wirtschaft zurücktretenden
Eltern, der Altväter, schon in den letztvergangenen Jahrhunderten allgemein ge¬
worden, so kommt heute die Abscheidung des Gesindes an die Reihe, das bis¬
her noch mit der Bnuernfamilie Kost und Tisch geteilt hatte. Das bäuerliche
Gemeingefühl, das in früherer Zeit auch darin seinen Ausdruck und seine Stütze
fand, daß die nachgebornen Kinder des Hofbesitzers anstandslos als Knechte
auf dem Hofe ihrer Väter blieben, schwindet infolge dieser Vorgänge immer
mehr: die sozialen Bande, die den Hof zusammenhielten, lösen sich ebenso sehr,
wie sich infolge der Verkoppelnngen die des Dorfes gelöst haben. Es macht
sich also eine Gesindestube nötig. Ferner eine Prunkstube nach Art der pronlc-
linier der holländischen Bauern, die übrigens dort anßer der Küche oder
voonliÄMsr der einzige Wohnraum war, ein Saal, ein Raum, der sich vor¬
dem nur in Schleswig und Dithmarschen in dem sogenanten Pesel vorfand.
Diese Entwicklung der Wohnräume vollzieht sich bei uns im allgemeinen mit
einem zweiten Stockwerk, das sich übrigens in breiten Strichen vornehmlich des
mittlern Deutschlands schon seit Jahrhunderten eingebürgert hat, wenn es auch
uicht viel mehr begriff, als das sprichwörtlich gewordene "Oberstübchen," einen
Raum ohne Ofen, der das Ehebett des Bauern enthielt und von der untern
Stube aus durch ein in der Decke befindliches, mit einer Klappe zu verschließen¬
des Loch erwärmt wurde.

Eine zweite Veränderung vollzieht sich in Betreff der Lage der Wohn-
räume. Mit Ausnahme der Franken, die das Wohnhaus stets mit dein Giebel
nach der Dorfstraße richten und die Wohnstube so in die Ecke legen, daß die
Fenster zum Teil auf den Hof, zum Teil aber auf die Straße gehen, hat der
deutsche Bauer im allgemeinen keinen Wert ans die Verbindung mit der Straße
gelegt. Im Gebiet des nntteldentschen Hvfbaues wendet der thüringische wie
der baierische Bauer die Wohnstube nur nach dem Hofe und meidet.die Straße
viel mehr, als daß er sie suchte, und bei dem niedersächsischen Hause kommen
die Wohnräume gar auf die Hintere Seite des Gebäudes zu liegen, sodaß sie
plebe nur der Straße, sondern auch dem eigentlichen nach der Straßenfront
gelegenen Hofe deu Rücken kehren. In den alten Zeiten, wo der Bauer noch
in viel höherm Maße in seiner Wirtschaft aufging als jetzt, war ihm eine
solche Abgeschlossenheit gerade recht nach der Erklärung eines thüringer Bauern,


Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Ende

Hunderts besaß das Bnuernhans in den meisten Gegenden unsers Vaterlandes
nur eine einzige heizbare Stube, die überdies an manchen Orten, an der Nord¬
seeküste, in den südöstlichen Alpen, der Benutzung bei besondern Gelegenheiten
vorbehalten war, während der eigentliche und regelmäßige Wohnraum auch
für die Winterszeit durch das alte Herdgemach bezeichnet wurde, bei den
Friesen die „Kot," Küche, bei den Niedersachsen das „Flek," in Kürnten und
Steiermark die „Ranchstube." Heute wird zunächst die Trennung des Wohn¬
raumes von der Küche streug durchgeführt. Auch genügt eine Stube uicht
mehr. War die räumliche Abscheidung der von der Wirtschaft zurücktretenden
Eltern, der Altväter, schon in den letztvergangenen Jahrhunderten allgemein ge¬
worden, so kommt heute die Abscheidung des Gesindes an die Reihe, das bis¬
her noch mit der Bnuernfamilie Kost und Tisch geteilt hatte. Das bäuerliche
Gemeingefühl, das in früherer Zeit auch darin seinen Ausdruck und seine Stütze
fand, daß die nachgebornen Kinder des Hofbesitzers anstandslos als Knechte
auf dem Hofe ihrer Väter blieben, schwindet infolge dieser Vorgänge immer
mehr: die sozialen Bande, die den Hof zusammenhielten, lösen sich ebenso sehr,
wie sich infolge der Verkoppelnngen die des Dorfes gelöst haben. Es macht
sich also eine Gesindestube nötig. Ferner eine Prunkstube nach Art der pronlc-
linier der holländischen Bauern, die übrigens dort anßer der Küche oder
voonliÄMsr der einzige Wohnraum war, ein Saal, ein Raum, der sich vor¬
dem nur in Schleswig und Dithmarschen in dem sogenanten Pesel vorfand.
Diese Entwicklung der Wohnräume vollzieht sich bei uns im allgemeinen mit
einem zweiten Stockwerk, das sich übrigens in breiten Strichen vornehmlich des
mittlern Deutschlands schon seit Jahrhunderten eingebürgert hat, wenn es auch
uicht viel mehr begriff, als das sprichwörtlich gewordene „Oberstübchen," einen
Raum ohne Ofen, der das Ehebett des Bauern enthielt und von der untern
Stube aus durch ein in der Decke befindliches, mit einer Klappe zu verschließen¬
des Loch erwärmt wurde.

Eine zweite Veränderung vollzieht sich in Betreff der Lage der Wohn-
räume. Mit Ausnahme der Franken, die das Wohnhaus stets mit dein Giebel
nach der Dorfstraße richten und die Wohnstube so in die Ecke legen, daß die
Fenster zum Teil auf den Hof, zum Teil aber auf die Straße gehen, hat der
deutsche Bauer im allgemeinen keinen Wert ans die Verbindung mit der Straße
gelegt. Im Gebiet des nntteldentschen Hvfbaues wendet der thüringische wie
der baierische Bauer die Wohnstube nur nach dem Hofe und meidet.die Straße
viel mehr, als daß er sie suchte, und bei dem niedersächsischen Hause kommen
die Wohnräume gar auf die Hintere Seite des Gebäudes zu liegen, sodaß sie
plebe nur der Straße, sondern auch dem eigentlichen nach der Straßenfront
gelegenen Hofe deu Rücken kehren. In den alten Zeiten, wo der Bauer noch
in viel höherm Maße in seiner Wirtschaft aufging als jetzt, war ihm eine
solche Abgeschlossenheit gerade recht nach der Erklärung eines thüringer Bauern,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0463" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205194"/>
            <fw type="header" place="top"> Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Ende</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1291" prev="#ID_1290"> Hunderts besaß das Bnuernhans in den meisten Gegenden unsers Vaterlandes<lb/>
nur eine einzige heizbare Stube, die überdies an manchen Orten, an der Nord¬<lb/>
seeküste, in den südöstlichen Alpen, der Benutzung bei besondern Gelegenheiten<lb/>
vorbehalten war, während der eigentliche und regelmäßige Wohnraum auch<lb/>
für die Winterszeit durch das alte Herdgemach bezeichnet wurde, bei den<lb/>
Friesen die &#x201E;Kot," Küche, bei den Niedersachsen das &#x201E;Flek," in Kürnten und<lb/>
Steiermark die &#x201E;Ranchstube." Heute wird zunächst die Trennung des Wohn¬<lb/>
raumes von der Küche streug durchgeführt. Auch genügt eine Stube uicht<lb/>
mehr. War die räumliche Abscheidung der von der Wirtschaft zurücktretenden<lb/>
Eltern, der Altväter, schon in den letztvergangenen Jahrhunderten allgemein ge¬<lb/>
worden, so kommt heute die Abscheidung des Gesindes an die Reihe, das bis¬<lb/>
her noch mit der Bnuernfamilie Kost und Tisch geteilt hatte. Das bäuerliche<lb/>
Gemeingefühl, das in früherer Zeit auch darin seinen Ausdruck und seine Stütze<lb/>
fand, daß die nachgebornen Kinder des Hofbesitzers anstandslos als Knechte<lb/>
auf dem Hofe ihrer Väter blieben, schwindet infolge dieser Vorgänge immer<lb/>
mehr: die sozialen Bande, die den Hof zusammenhielten, lösen sich ebenso sehr,<lb/>
wie sich infolge der Verkoppelnngen die des Dorfes gelöst haben. Es macht<lb/>
sich also eine Gesindestube nötig. Ferner eine Prunkstube nach Art der pronlc-<lb/>
linier der holländischen Bauern, die übrigens dort anßer der Küche oder<lb/>
voonliÄMsr der einzige Wohnraum war, ein Saal, ein Raum, der sich vor¬<lb/>
dem nur in Schleswig und Dithmarschen in dem sogenanten Pesel vorfand.<lb/>
Diese Entwicklung der Wohnräume vollzieht sich bei uns im allgemeinen mit<lb/>
einem zweiten Stockwerk, das sich übrigens in breiten Strichen vornehmlich des<lb/>
mittlern Deutschlands schon seit Jahrhunderten eingebürgert hat, wenn es auch<lb/>
uicht viel mehr begriff, als das sprichwörtlich gewordene &#x201E;Oberstübchen," einen<lb/>
Raum ohne Ofen, der das Ehebett des Bauern enthielt und von der untern<lb/>
Stube aus durch ein in der Decke befindliches, mit einer Klappe zu verschließen¬<lb/>
des Loch erwärmt wurde.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1292" next="#ID_1293"> Eine zweite Veränderung vollzieht sich in Betreff der Lage der Wohn-<lb/>
räume. Mit Ausnahme der Franken, die das Wohnhaus stets mit dein Giebel<lb/>
nach der Dorfstraße richten und die Wohnstube so in die Ecke legen, daß die<lb/>
Fenster zum Teil auf den Hof, zum Teil aber auf die Straße gehen, hat der<lb/>
deutsche Bauer im allgemeinen keinen Wert ans die Verbindung mit der Straße<lb/>
gelegt. Im Gebiet des nntteldentschen Hvfbaues wendet der thüringische wie<lb/>
der baierische Bauer die Wohnstube nur nach dem Hofe und meidet.die Straße<lb/>
viel mehr, als daß er sie suchte, und bei dem niedersächsischen Hause kommen<lb/>
die Wohnräume gar auf die Hintere Seite des Gebäudes zu liegen, sodaß sie<lb/>
plebe nur der Straße, sondern auch dem eigentlichen nach der Straßenfront<lb/>
gelegenen Hofe deu Rücken kehren. In den alten Zeiten, wo der Bauer noch<lb/>
in viel höherm Maße in seiner Wirtschaft aufging als jetzt, war ihm eine<lb/>
solche Abgeschlossenheit gerade recht nach der Erklärung eines thüringer Bauern,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0463] Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Ende Hunderts besaß das Bnuernhans in den meisten Gegenden unsers Vaterlandes nur eine einzige heizbare Stube, die überdies an manchen Orten, an der Nord¬ seeküste, in den südöstlichen Alpen, der Benutzung bei besondern Gelegenheiten vorbehalten war, während der eigentliche und regelmäßige Wohnraum auch für die Winterszeit durch das alte Herdgemach bezeichnet wurde, bei den Friesen die „Kot," Küche, bei den Niedersachsen das „Flek," in Kürnten und Steiermark die „Ranchstube." Heute wird zunächst die Trennung des Wohn¬ raumes von der Küche streug durchgeführt. Auch genügt eine Stube uicht mehr. War die räumliche Abscheidung der von der Wirtschaft zurücktretenden Eltern, der Altväter, schon in den letztvergangenen Jahrhunderten allgemein ge¬ worden, so kommt heute die Abscheidung des Gesindes an die Reihe, das bis¬ her noch mit der Bnuernfamilie Kost und Tisch geteilt hatte. Das bäuerliche Gemeingefühl, das in früherer Zeit auch darin seinen Ausdruck und seine Stütze fand, daß die nachgebornen Kinder des Hofbesitzers anstandslos als Knechte auf dem Hofe ihrer Väter blieben, schwindet infolge dieser Vorgänge immer mehr: die sozialen Bande, die den Hof zusammenhielten, lösen sich ebenso sehr, wie sich infolge der Verkoppelnngen die des Dorfes gelöst haben. Es macht sich also eine Gesindestube nötig. Ferner eine Prunkstube nach Art der pronlc- linier der holländischen Bauern, die übrigens dort anßer der Küche oder voonliÄMsr der einzige Wohnraum war, ein Saal, ein Raum, der sich vor¬ dem nur in Schleswig und Dithmarschen in dem sogenanten Pesel vorfand. Diese Entwicklung der Wohnräume vollzieht sich bei uns im allgemeinen mit einem zweiten Stockwerk, das sich übrigens in breiten Strichen vornehmlich des mittlern Deutschlands schon seit Jahrhunderten eingebürgert hat, wenn es auch uicht viel mehr begriff, als das sprichwörtlich gewordene „Oberstübchen," einen Raum ohne Ofen, der das Ehebett des Bauern enthielt und von der untern Stube aus durch ein in der Decke befindliches, mit einer Klappe zu verschließen¬ des Loch erwärmt wurde. Eine zweite Veränderung vollzieht sich in Betreff der Lage der Wohn- räume. Mit Ausnahme der Franken, die das Wohnhaus stets mit dein Giebel nach der Dorfstraße richten und die Wohnstube so in die Ecke legen, daß die Fenster zum Teil auf den Hof, zum Teil aber auf die Straße gehen, hat der deutsche Bauer im allgemeinen keinen Wert ans die Verbindung mit der Straße gelegt. Im Gebiet des nntteldentschen Hvfbaues wendet der thüringische wie der baierische Bauer die Wohnstube nur nach dem Hofe und meidet.die Straße viel mehr, als daß er sie suchte, und bei dem niedersächsischen Hause kommen die Wohnräume gar auf die Hintere Seite des Gebäudes zu liegen, sodaß sie plebe nur der Straße, sondern auch dem eigentlichen nach der Straßenfront gelegenen Hofe deu Rücken kehren. In den alten Zeiten, wo der Bauer noch in viel höherm Maße in seiner Wirtschaft aufging als jetzt, war ihm eine solche Abgeschlossenheit gerade recht nach der Erklärung eines thüringer Bauern,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/463
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/463>, abgerufen am 05.02.2025.