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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Hans Hopfens Theater

des schönen Mädchens gerät in eine arge Not, da sie zwischen dem zierlichen
Pagen und dem wilden, unfrisirten, unrasirten, in der Kleidung ganz vernach¬
lässigten märkischen Vetter wählen soll. Da ereignet sich ein Zwischenfall, der
ihre Wahl entscheidet. Hans Joachim hat sich mit blutendem Herzen endlich
entschlossen, seinen alten Schimmel zu versilbern, um die Gäste bewirten zu
können. Allein die Schimpfreden der enttäuschten Amalia Aurora, die spitzig
kühle Haltung des schonen Väschens, das ihm rundweg erklärt hat, es heirate
den Wilden nicht, läßt ihn seinen Entschluß bereuen. Die zwei Frauenzimmer
sind das Opfer des braven Schlachtrosses nicht wert, und wie Hans Joachim
vom Fenster aus bemerkt, daß sein boshafter Knecht Ruprecht den Schimmel
aus dem Stalle zerrt, ruft er ihm einen Gegenbefehl zu. Ruprecht gehorcht
nicht gleich, darob gerät der jähzornige Husar in eine solche Wut, daß er ihn
ans der Stelle niederzuschießen droht, wenn der Kerl das Pferd nicht in den
Stall zurückführe. Lili ist dabei, und zu Tode geängstigt fällt sie Hans
Joachim in den Arm: "Jesus! Vetter, um Himmels willen! Ein Menschen¬
leben!" Hans Joachim, der den Hahn gespannt hat, die Andringende abwehrt,
indem er sich rund umkehrt: "Der Schimmel ist mehr wert, als ihr allesamt!
(Schlägt auf Ruprecht im Hofe an) Loslassen!" -- Lili (ihn umklammernd):
"Joachim! Vetter! (In höchster Angst): Ich bin dein, dein Weib! Laß ihn
leben, und ich will dein treues gutes Weib sein!" Endlich läßt der Knecht
im Hofe das Roß los, und Joachim senkt die Pistole. Eine prächtige Szene,
weil sie kein einziges äußerliches Wort enthält und den Charakter des noch
halb kindischen Mädchens in Naturlauten aus sich heraustreibt.

Dieser stimmungsvolle erste Akt mit seinem packenden Schlüsse steht zu
den folgenden Akten mehr in dein Verhältnis eines Vorspiels, als einer Ex¬
position; denn wir wissen noch immer nicht, um was es sich handeln wird,
er entläßt uns nur mit der rein epischen Frage: wie werden die also ver¬
lobten, mit einander leben? wie Werdensich die Charaktere in einander finden?
Die Entwicklung kommt demnach nicht ohne Einführung neuer Personen und
Motive vom Fleck.

Haus Joachim heiratet denn auch sein schönes Büschen Lili, aber zur
Verzweiflung der insoweit einverstandener Tante will er um keinen Preis an
den sächsisch-polnischen Hof übersiedeln. Das sündhafte Leben dort widert den
Husaren König Friedrichs an, sein Weib will er für sich allein besitzen und
nicht es bewachen müssen. Um ihn mürbe zu machen, hat die notgedrungen
auf Kittlitz zurückgebliebene Tante eine eigne Taktik eingeführt: sie läßt ihn
nie mit seiner schönen jungen Frau allein; sie läßt ihn fühlen, daß er ihr
nicht bloß Lili, sondern auch sein ganzes, jetzt doch immerhin behagliches Daseui
zu verdanken habe; sie hat das Dach ausbessern, die Bilder neu einrahmen,
die Fenster mit Glasscheiben versehen lassen u. s. w. Aber dafür ist sie auch
Herr im Hause. Nun erscheint ein alter Kamerad Joachims, Luitpold von


Hans Hopfens Theater

des schönen Mädchens gerät in eine arge Not, da sie zwischen dem zierlichen
Pagen und dem wilden, unfrisirten, unrasirten, in der Kleidung ganz vernach¬
lässigten märkischen Vetter wählen soll. Da ereignet sich ein Zwischenfall, der
ihre Wahl entscheidet. Hans Joachim hat sich mit blutendem Herzen endlich
entschlossen, seinen alten Schimmel zu versilbern, um die Gäste bewirten zu
können. Allein die Schimpfreden der enttäuschten Amalia Aurora, die spitzig
kühle Haltung des schonen Väschens, das ihm rundweg erklärt hat, es heirate
den Wilden nicht, läßt ihn seinen Entschluß bereuen. Die zwei Frauenzimmer
sind das Opfer des braven Schlachtrosses nicht wert, und wie Hans Joachim
vom Fenster aus bemerkt, daß sein boshafter Knecht Ruprecht den Schimmel
aus dem Stalle zerrt, ruft er ihm einen Gegenbefehl zu. Ruprecht gehorcht
nicht gleich, darob gerät der jähzornige Husar in eine solche Wut, daß er ihn
ans der Stelle niederzuschießen droht, wenn der Kerl das Pferd nicht in den
Stall zurückführe. Lili ist dabei, und zu Tode geängstigt fällt sie Hans
Joachim in den Arm: „Jesus! Vetter, um Himmels willen! Ein Menschen¬
leben!" Hans Joachim, der den Hahn gespannt hat, die Andringende abwehrt,
indem er sich rund umkehrt: „Der Schimmel ist mehr wert, als ihr allesamt!
(Schlägt auf Ruprecht im Hofe an) Loslassen!" — Lili (ihn umklammernd):
„Joachim! Vetter! (In höchster Angst): Ich bin dein, dein Weib! Laß ihn
leben, und ich will dein treues gutes Weib sein!" Endlich läßt der Knecht
im Hofe das Roß los, und Joachim senkt die Pistole. Eine prächtige Szene,
weil sie kein einziges äußerliches Wort enthält und den Charakter des noch
halb kindischen Mädchens in Naturlauten aus sich heraustreibt.

Dieser stimmungsvolle erste Akt mit seinem packenden Schlüsse steht zu
den folgenden Akten mehr in dein Verhältnis eines Vorspiels, als einer Ex¬
position; denn wir wissen noch immer nicht, um was es sich handeln wird,
er entläßt uns nur mit der rein epischen Frage: wie werden die also ver¬
lobten, mit einander leben? wie Werdensich die Charaktere in einander finden?
Die Entwicklung kommt demnach nicht ohne Einführung neuer Personen und
Motive vom Fleck.

Haus Joachim heiratet denn auch sein schönes Büschen Lili, aber zur
Verzweiflung der insoweit einverstandener Tante will er um keinen Preis an
den sächsisch-polnischen Hof übersiedeln. Das sündhafte Leben dort widert den
Husaren König Friedrichs an, sein Weib will er für sich allein besitzen und
nicht es bewachen müssen. Um ihn mürbe zu machen, hat die notgedrungen
auf Kittlitz zurückgebliebene Tante eine eigne Taktik eingeführt: sie läßt ihn
nie mit seiner schönen jungen Frau allein; sie läßt ihn fühlen, daß er ihr
nicht bloß Lili, sondern auch sein ganzes, jetzt doch immerhin behagliches Daseui
zu verdanken habe; sie hat das Dach ausbessern, die Bilder neu einrahmen,
die Fenster mit Glasscheiben versehen lassen u. s. w. Aber dafür ist sie auch
Herr im Hause. Nun erscheint ein alter Kamerad Joachims, Luitpold von


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[0045] Hans Hopfens Theater des schönen Mädchens gerät in eine arge Not, da sie zwischen dem zierlichen Pagen und dem wilden, unfrisirten, unrasirten, in der Kleidung ganz vernach¬ lässigten märkischen Vetter wählen soll. Da ereignet sich ein Zwischenfall, der ihre Wahl entscheidet. Hans Joachim hat sich mit blutendem Herzen endlich entschlossen, seinen alten Schimmel zu versilbern, um die Gäste bewirten zu können. Allein die Schimpfreden der enttäuschten Amalia Aurora, die spitzig kühle Haltung des schonen Väschens, das ihm rundweg erklärt hat, es heirate den Wilden nicht, läßt ihn seinen Entschluß bereuen. Die zwei Frauenzimmer sind das Opfer des braven Schlachtrosses nicht wert, und wie Hans Joachim vom Fenster aus bemerkt, daß sein boshafter Knecht Ruprecht den Schimmel aus dem Stalle zerrt, ruft er ihm einen Gegenbefehl zu. Ruprecht gehorcht nicht gleich, darob gerät der jähzornige Husar in eine solche Wut, daß er ihn ans der Stelle niederzuschießen droht, wenn der Kerl das Pferd nicht in den Stall zurückführe. Lili ist dabei, und zu Tode geängstigt fällt sie Hans Joachim in den Arm: „Jesus! Vetter, um Himmels willen! Ein Menschen¬ leben!" Hans Joachim, der den Hahn gespannt hat, die Andringende abwehrt, indem er sich rund umkehrt: „Der Schimmel ist mehr wert, als ihr allesamt! (Schlägt auf Ruprecht im Hofe an) Loslassen!" — Lili (ihn umklammernd): „Joachim! Vetter! (In höchster Angst): Ich bin dein, dein Weib! Laß ihn leben, und ich will dein treues gutes Weib sein!" Endlich läßt der Knecht im Hofe das Roß los, und Joachim senkt die Pistole. Eine prächtige Szene, weil sie kein einziges äußerliches Wort enthält und den Charakter des noch halb kindischen Mädchens in Naturlauten aus sich heraustreibt. Dieser stimmungsvolle erste Akt mit seinem packenden Schlüsse steht zu den folgenden Akten mehr in dein Verhältnis eines Vorspiels, als einer Ex¬ position; denn wir wissen noch immer nicht, um was es sich handeln wird, er entläßt uns nur mit der rein epischen Frage: wie werden die also ver¬ lobten, mit einander leben? wie Werdensich die Charaktere in einander finden? Die Entwicklung kommt demnach nicht ohne Einführung neuer Personen und Motive vom Fleck. Haus Joachim heiratet denn auch sein schönes Büschen Lili, aber zur Verzweiflung der insoweit einverstandener Tante will er um keinen Preis an den sächsisch-polnischen Hof übersiedeln. Das sündhafte Leben dort widert den Husaren König Friedrichs an, sein Weib will er für sich allein besitzen und nicht es bewachen müssen. Um ihn mürbe zu machen, hat die notgedrungen auf Kittlitz zurückgebliebene Tante eine eigne Taktik eingeführt: sie läßt ihn nie mit seiner schönen jungen Frau allein; sie läßt ihn fühlen, daß er ihr nicht bloß Lili, sondern auch sein ganzes, jetzt doch immerhin behagliches Daseui zu verdanken habe; sie hat das Dach ausbessern, die Bilder neu einrahmen, die Fenster mit Glasscheiben versehen lassen u. s. w. Aber dafür ist sie auch Herr im Hause. Nun erscheint ein alter Kamerad Joachims, Luitpold von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/45>, abgerufen am 05.02.2025.