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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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belebten Heerstraßen sitzt der Husarenleutnant Hans Joachim von Kittlitz ans
seinem Hofe in Büchern vergraben. Er hat sein väterliches Vermögen lustig
und geschwind durchgebracht, es war ohnehin nicht viel, dn schon sein Vater
schlecht gewirtschaftet hatte und andre Familienmitglieder mithalfen. Vielleicht
eben wegen dieses allzuflotten Lebens (der Dichter klärt es uicht auf) hat er
unfreiwillig Abschied nehmen müssen,. Und nun sitzt er da, zwar nicht ver¬
zweifelt, nicht hadernd mit der Welt, nicht humorlos, aber doch fatalistisch die
Hände in den Schoß legend. Er steckt so tief in Schulden, daß er seinen Hof
nicht mehr in Stand halten kann. Durchs Dach regnets herein, die Fenster
sind mit Papierschciben verklebt, kein Stuhl ist mehr ganz, die Gvldrahmen
der Familienbilder sind verschwunden, die Fensterrahmen sind morsch geworden,
nur seiue Bücher, sein tapferes altes Schlnchtroß, das ihm dreimal das Leben
gerettet hat, und sein leibeigner Knecht Ruprecht siud ihm geblieben. Von
diesen kann oder will er sich nicht trennen. Der Knecht muß aushalten, dem
treuen Roß muß er im Stalle das Gnadenbrod gewähren, die Bücher haben
keinen Geldwert. Und Hans Joachim thut trotz Ruprechts Schimpfen gar
nichts, um sich aus diesem Elende zu reißen. Selbst die einlaufenden Briefe
liest er uicht, sondern sammelt sie uneröffnet in der Schublade. Denn, sagt
er, wozu lesen? Die Manichäer wollen ihn ja nur ärgern mit ihren Mah¬
nungen; hingegen daß solche, die umgekehrt ihm schuldig geblieben sind, und
es giebt deren auch eine Menge, sich selbst zur Zahlung melden könnten --
das glaubt er nicht. Allein unter den eingelaufenen Briefen sind nicht bloß
Zahlungsforderungen gekommen. Eine Tante, Amalia Aurora, hat ihm aus
Dresden, wo sie am Hofe lebt, geschrieben und angefragt, ob er ihr reiches
Nichtchen Lili, das ihm aus frühern Jahren wohlbekannte schöne Väschen,
heiraten möchte, und Hans Joachim hat auch diesen Brief ungeöffnet in die
Lade geschoben. Amalia Aurora, eine resolute Person, der die höfische Fri¬
volität und Galanterie nur äußerlich süßliche Formen angewöhnen konnten,
ohne ihr gesundes, ehrliches Herz zu verderben, hat des Leutnants Schweigen
für Zustimmung genommen und die Verlobung am Hofe bekannt gemacht,
hauptsächlich wohl auch deswegen, um ihr Nichtchen vor den lüsternen Nach¬
stellungen des galanten Königs zu schützen. Und nun steht sie mit Lili und
zwei Kammerzofen und einer Unzahl von Hutschachteln in der verfallenen Bilde
ihres sonderbaren Neffen. Welche Verlegenheit für den rasch mit dem Plane
einverstandener Junggesellen! Kein Stuhl ist gepolstert, auf dem eine Hof¬
dame bequem in Ohnmacht fallen könnte. Und erst die verwöhnte Lili! Sie
kommt sich wie aus der Welt gestoßen vor, sie ist zu einen: Barbaren ge¬
kommen. Und den soll sie heiraten? Zwischen den Kammerzofen verborgen ist
ohne ihr und der Tante Wissen der Page Konitz mitgefahren, ein verliebter
Junge, aber in der besten Schule-der Galanterie erzogen. Mitten in der Un¬
ordnung macht er ihr eine leidenschaftliche Liebeserklärung, und das junge Herz


belebten Heerstraßen sitzt der Husarenleutnant Hans Joachim von Kittlitz ans
seinem Hofe in Büchern vergraben. Er hat sein väterliches Vermögen lustig
und geschwind durchgebracht, es war ohnehin nicht viel, dn schon sein Vater
schlecht gewirtschaftet hatte und andre Familienmitglieder mithalfen. Vielleicht
eben wegen dieses allzuflotten Lebens (der Dichter klärt es uicht auf) hat er
unfreiwillig Abschied nehmen müssen,. Und nun sitzt er da, zwar nicht ver¬
zweifelt, nicht hadernd mit der Welt, nicht humorlos, aber doch fatalistisch die
Hände in den Schoß legend. Er steckt so tief in Schulden, daß er seinen Hof
nicht mehr in Stand halten kann. Durchs Dach regnets herein, die Fenster
sind mit Papierschciben verklebt, kein Stuhl ist mehr ganz, die Gvldrahmen
der Familienbilder sind verschwunden, die Fensterrahmen sind morsch geworden,
nur seiue Bücher, sein tapferes altes Schlnchtroß, das ihm dreimal das Leben
gerettet hat, und sein leibeigner Knecht Ruprecht siud ihm geblieben. Von
diesen kann oder will er sich nicht trennen. Der Knecht muß aushalten, dem
treuen Roß muß er im Stalle das Gnadenbrod gewähren, die Bücher haben
keinen Geldwert. Und Hans Joachim thut trotz Ruprechts Schimpfen gar
nichts, um sich aus diesem Elende zu reißen. Selbst die einlaufenden Briefe
liest er uicht, sondern sammelt sie uneröffnet in der Schublade. Denn, sagt
er, wozu lesen? Die Manichäer wollen ihn ja nur ärgern mit ihren Mah¬
nungen; hingegen daß solche, die umgekehrt ihm schuldig geblieben sind, und
es giebt deren auch eine Menge, sich selbst zur Zahlung melden könnten —
das glaubt er nicht. Allein unter den eingelaufenen Briefen sind nicht bloß
Zahlungsforderungen gekommen. Eine Tante, Amalia Aurora, hat ihm aus
Dresden, wo sie am Hofe lebt, geschrieben und angefragt, ob er ihr reiches
Nichtchen Lili, das ihm aus frühern Jahren wohlbekannte schöne Väschen,
heiraten möchte, und Hans Joachim hat auch diesen Brief ungeöffnet in die
Lade geschoben. Amalia Aurora, eine resolute Person, der die höfische Fri¬
volität und Galanterie nur äußerlich süßliche Formen angewöhnen konnten,
ohne ihr gesundes, ehrliches Herz zu verderben, hat des Leutnants Schweigen
für Zustimmung genommen und die Verlobung am Hofe bekannt gemacht,
hauptsächlich wohl auch deswegen, um ihr Nichtchen vor den lüsternen Nach¬
stellungen des galanten Königs zu schützen. Und nun steht sie mit Lili und
zwei Kammerzofen und einer Unzahl von Hutschachteln in der verfallenen Bilde
ihres sonderbaren Neffen. Welche Verlegenheit für den rasch mit dem Plane
einverstandener Junggesellen! Kein Stuhl ist gepolstert, auf dem eine Hof¬
dame bequem in Ohnmacht fallen könnte. Und erst die verwöhnte Lili! Sie
kommt sich wie aus der Welt gestoßen vor, sie ist zu einen: Barbaren ge¬
kommen. Und den soll sie heiraten? Zwischen den Kammerzofen verborgen ist
ohne ihr und der Tante Wissen der Page Konitz mitgefahren, ein verliebter
Junge, aber in der besten Schule-der Galanterie erzogen. Mitten in der Un¬
ordnung macht er ihr eine leidenschaftliche Liebeserklärung, und das junge Herz


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/44>, abgerufen am 05.02.2025.