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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Rassen- und Klassenhaß

das schon durch den Umstand widerlegt, daß viele Menschen um ganz andern
Krankheiten gestorben sind.

Nachdem so alle Anschuldigungen, die von Antisemiten gegen Juden er¬
hoben werden, glänzend widerlegt sind, kann der Spieß umgekehrt werden.
Die Staatsgrundgesetze gewähren jedem Staatsbürger gleiche Rechte, die Anti¬
semiten sehen die Juden nicht als gleichberechtigt an, folglich verletzen sie die
Staatsgrundgesetze. Es giebt Vereine, die keine Juden aufnehmen wollen --
das ist gegen die Stantsgrnndgesetze. Umgekehrt darf kein Antisemit Ge¬
schworner werden, "da sich gewiß nicht behaupten läßt, daß Antisemiten,
notorische Antisemitenhäuptlinge zu jenen Personen gehören, die sich wegen
ihrer Verständigkeit, rechtlichen Gesinnung, Ehrenhaftigkeit und Charakter¬
festigkeit für das Amt eiues Geschwornen vorzüglich eignen." Allerdings
wäre es das einfachste, wenn jeder Angeklagte das Recht hätte, die Personen
zu bestimmen, von denen er abgeurteilt zu werden wünscht.

Und leider läßt sich die Lehrmeinung nicht mehr aufrecht erhalten, daß
nur die urteilslose Meuge, die Besitzlosen und Ungebildeten, jenen "Antisemiten¬
häuptlingen" Heeresfolge leisteten. "Ist es nicht merkwürdig," fragt die Denk¬
schrift naiv, "daß bei den Gemeinderatswahlen des Jahres 1888 gerade die
Wahl des zweiten Wahlkörpers, die Wahl der Intelligenz auf Antisemiten
fiel?" Gegenüber von Manifestationen wie diese Denkschrift Hort das wohl
uns, eine "Merkwürdigkeit" zu sein. Sie selbst aber findet einen andern Grund.
Unter den Juden ist allgemein die Meinung verbreitet, "es gewähre die hohe
k. k. österreichische Regierung die (!) Duldung der hier herrschenden (!) anti¬
semitischen Bewegung, welche allgemein verbreitete Meinung -- mag dieselbe
auch irrig sein diese Bewegung offenbar mächtig fördert, so daß heute die
Abwicklung der Angelegenheit gefahrdrohend über unsern Glaubensgenossen
schwebt." Ans den köstlichen Stil dieser Sätze braucht nicht besonders auf¬
merksam gemacht zu werden. Aber diese Behauptung wird wenigstens nicht
beweislvs hingestellt, nur sind die Beweise wieder darnach. Nämlich: Versamm¬
lungen, in denen die Juden ein eigner fremder Volksstamm genannt und jüdische
Ausbeuter für die ungünstigen Erwerbsverhältnisfe verantwortlich gemacht
werden, wohnt der Polizeikommissär "in seiner Amtstracht als der Stellver¬
treter der hohen Regierung bei und giebt durch sein Stillschweigen zu erkennen,
daß nach Auffassung der hohen Staatsregierung die Verbreitung von Haß
und Feindseligkeiten gegen eine Religionsgenossenschaft -- wenn diese die
jüdische ist -- als gesetzlich zulässig angesehen wird." Feruer: Beamte und
Lehrer nehmen vielfach an Vereinen und Versammlungen mit antisemitischer
Tendenz teil, was ihnen die Regierung natürlich verbieten müßte. Ferner:
der Landesausschuß von Salzburg untersteht sich, gewisse Lieferungen nur
christlichen Bewerbern geben zu wollen, und stellt sogar für die Besetzung der
Stelle des Handelskammersekretärs die Bedingung der christlichen Konfession


Rassen- und Klassenhaß

das schon durch den Umstand widerlegt, daß viele Menschen um ganz andern
Krankheiten gestorben sind.

Nachdem so alle Anschuldigungen, die von Antisemiten gegen Juden er¬
hoben werden, glänzend widerlegt sind, kann der Spieß umgekehrt werden.
Die Staatsgrundgesetze gewähren jedem Staatsbürger gleiche Rechte, die Anti¬
semiten sehen die Juden nicht als gleichberechtigt an, folglich verletzen sie die
Staatsgrundgesetze. Es giebt Vereine, die keine Juden aufnehmen wollen —
das ist gegen die Stantsgrnndgesetze. Umgekehrt darf kein Antisemit Ge¬
schworner werden, „da sich gewiß nicht behaupten läßt, daß Antisemiten,
notorische Antisemitenhäuptlinge zu jenen Personen gehören, die sich wegen
ihrer Verständigkeit, rechtlichen Gesinnung, Ehrenhaftigkeit und Charakter¬
festigkeit für das Amt eiues Geschwornen vorzüglich eignen." Allerdings
wäre es das einfachste, wenn jeder Angeklagte das Recht hätte, die Personen
zu bestimmen, von denen er abgeurteilt zu werden wünscht.

Und leider läßt sich die Lehrmeinung nicht mehr aufrecht erhalten, daß
nur die urteilslose Meuge, die Besitzlosen und Ungebildeten, jenen „Antisemiten¬
häuptlingen" Heeresfolge leisteten. „Ist es nicht merkwürdig," fragt die Denk¬
schrift naiv, „daß bei den Gemeinderatswahlen des Jahres 1888 gerade die
Wahl des zweiten Wahlkörpers, die Wahl der Intelligenz auf Antisemiten
fiel?" Gegenüber von Manifestationen wie diese Denkschrift Hort das wohl
uns, eine „Merkwürdigkeit" zu sein. Sie selbst aber findet einen andern Grund.
Unter den Juden ist allgemein die Meinung verbreitet, „es gewähre die hohe
k. k. österreichische Regierung die (!) Duldung der hier herrschenden (!) anti¬
semitischen Bewegung, welche allgemein verbreitete Meinung — mag dieselbe
auch irrig sein diese Bewegung offenbar mächtig fördert, so daß heute die
Abwicklung der Angelegenheit gefahrdrohend über unsern Glaubensgenossen
schwebt." Ans den köstlichen Stil dieser Sätze braucht nicht besonders auf¬
merksam gemacht zu werden. Aber diese Behauptung wird wenigstens nicht
beweislvs hingestellt, nur sind die Beweise wieder darnach. Nämlich: Versamm¬
lungen, in denen die Juden ein eigner fremder Volksstamm genannt und jüdische
Ausbeuter für die ungünstigen Erwerbsverhältnisfe verantwortlich gemacht
werden, wohnt der Polizeikommissär „in seiner Amtstracht als der Stellver¬
treter der hohen Regierung bei und giebt durch sein Stillschweigen zu erkennen,
daß nach Auffassung der hohen Staatsregierung die Verbreitung von Haß
und Feindseligkeiten gegen eine Religionsgenossenschaft — wenn diese die
jüdische ist — als gesetzlich zulässig angesehen wird." Feruer: Beamte und
Lehrer nehmen vielfach an Vereinen und Versammlungen mit antisemitischer
Tendenz teil, was ihnen die Regierung natürlich verbieten müßte. Ferner:
der Landesausschuß von Salzburg untersteht sich, gewisse Lieferungen nur
christlichen Bewerbern geben zu wollen, und stellt sogar für die Besetzung der
Stelle des Handelskammersekretärs die Bedingung der christlichen Konfession


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[0437] Rassen- und Klassenhaß das schon durch den Umstand widerlegt, daß viele Menschen um ganz andern Krankheiten gestorben sind. Nachdem so alle Anschuldigungen, die von Antisemiten gegen Juden er¬ hoben werden, glänzend widerlegt sind, kann der Spieß umgekehrt werden. Die Staatsgrundgesetze gewähren jedem Staatsbürger gleiche Rechte, die Anti¬ semiten sehen die Juden nicht als gleichberechtigt an, folglich verletzen sie die Staatsgrundgesetze. Es giebt Vereine, die keine Juden aufnehmen wollen — das ist gegen die Stantsgrnndgesetze. Umgekehrt darf kein Antisemit Ge¬ schworner werden, „da sich gewiß nicht behaupten läßt, daß Antisemiten, notorische Antisemitenhäuptlinge zu jenen Personen gehören, die sich wegen ihrer Verständigkeit, rechtlichen Gesinnung, Ehrenhaftigkeit und Charakter¬ festigkeit für das Amt eiues Geschwornen vorzüglich eignen." Allerdings wäre es das einfachste, wenn jeder Angeklagte das Recht hätte, die Personen zu bestimmen, von denen er abgeurteilt zu werden wünscht. Und leider läßt sich die Lehrmeinung nicht mehr aufrecht erhalten, daß nur die urteilslose Meuge, die Besitzlosen und Ungebildeten, jenen „Antisemiten¬ häuptlingen" Heeresfolge leisteten. „Ist es nicht merkwürdig," fragt die Denk¬ schrift naiv, „daß bei den Gemeinderatswahlen des Jahres 1888 gerade die Wahl des zweiten Wahlkörpers, die Wahl der Intelligenz auf Antisemiten fiel?" Gegenüber von Manifestationen wie diese Denkschrift Hort das wohl uns, eine „Merkwürdigkeit" zu sein. Sie selbst aber findet einen andern Grund. Unter den Juden ist allgemein die Meinung verbreitet, „es gewähre die hohe k. k. österreichische Regierung die (!) Duldung der hier herrschenden (!) anti¬ semitischen Bewegung, welche allgemein verbreitete Meinung — mag dieselbe auch irrig sein diese Bewegung offenbar mächtig fördert, so daß heute die Abwicklung der Angelegenheit gefahrdrohend über unsern Glaubensgenossen schwebt." Ans den köstlichen Stil dieser Sätze braucht nicht besonders auf¬ merksam gemacht zu werden. Aber diese Behauptung wird wenigstens nicht beweislvs hingestellt, nur sind die Beweise wieder darnach. Nämlich: Versamm¬ lungen, in denen die Juden ein eigner fremder Volksstamm genannt und jüdische Ausbeuter für die ungünstigen Erwerbsverhältnisfe verantwortlich gemacht werden, wohnt der Polizeikommissär „in seiner Amtstracht als der Stellver¬ treter der hohen Regierung bei und giebt durch sein Stillschweigen zu erkennen, daß nach Auffassung der hohen Staatsregierung die Verbreitung von Haß und Feindseligkeiten gegen eine Religionsgenossenschaft — wenn diese die jüdische ist — als gesetzlich zulässig angesehen wird." Feruer: Beamte und Lehrer nehmen vielfach an Vereinen und Versammlungen mit antisemitischer Tendenz teil, was ihnen die Regierung natürlich verbieten müßte. Ferner: der Landesausschuß von Salzburg untersteht sich, gewisse Lieferungen nur christlichen Bewerbern geben zu wollen, und stellt sogar für die Besetzung der Stelle des Handelskammersekretärs die Bedingung der christlichen Konfession

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/437>, abgerufen am 05.02.2025.