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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Rassen- und Alassenhaß

Versicherten sich die Anwesenden gegenseitig, Wien werde niemals so tief sinken,
antisemitisch zu wählen. Als dies trotzdem eintraf, ergingen sich die Zeitungen
in den schwärzesten Schilderungen der Zukunft Wiens, alle Redegewaltigen
wurden zu Hilfe gerufen, und sogar der einstige Minister Herbst mußte öffent¬
lich beweisen, daß er nichts liest, als sein Leibblatt, dem er nacherzählte,
außerhalb Österreichs gebe es gar keinen Antisemitismus, verstehe man ihn
gar nicht. Ein Verein "zur Hebung des Fremdenverkehrs" glaubte im Sinne
seines Programms zu handeln, indem er ausposaunte, Fremde könnten nicht
mehr wagen, nach Wien zu kommen, weil sie befürchten müßten, für Juden
angesehen lind beschimpft zu werden. Den Hauptschlag aber führten die Ge-
treidehäudler. Diese hatten im vorigen Jahre beschlossen, keinen "Saatenmarkt"
mehr in Wien abzuhalten, weil kein genügendes Geschäft gemacht werde; der
eigentliche geheime Grund soll jedoch die Wahrnehmung gewesen sein, daß der
Snatenmarkt die fremden Käufer mit den Produzenten selbst in Berührung
bringe und somit die Zwischenhändler entbehrlich mache. In der Hoffnung,
daß dieser damals allgemein bekannt gewordene Beschluß inzwischen wieder in
Vergessenheit geraten sein werde, faßten sie ihn uoch einmal, doch nun mit der
Begründung, die ja meistens dem auserwählten Volke angehörenden Kvrn-
spekulanten würden in Wien nicht sicher sein. Und richtig meldete der Tele¬
graph aus allen Sitzen des Getreidehandels zustimmende Erklärungen. So
war der Beweis geführt, daß Wien veröden müsse, weil es Antisemiten in
die Gemeindevertretungen abgeordnet hat.

Die Osterzeit brachte allerdings mehrere lästige Erscheinungen. Zuerst
einen außergewöhnlich häßlichen Betrugsprozeß, der sich nicht totschweigen
ließ und Wasser auf die Mühle der Antisemiten war, dann die Krisis in dein
Pferdebahnunternehmeu, dessen Hauptaktionär ein schon von früher her sehr --
populärer jüdischer Bankier ist. Die Gesellschaft beantwortete die äußerst billigen
Forderungen der Kutscher in Hellem Übermute mit dem Versprechen, im Laufe
der nächsten Monate diese Forderungen in Erwägung zu ziehen und dann nach
Möglichkeit zu befriedigen. Es war doch zu durchsichtig, daß sie nur über
den gefährlichen Augenblick hinauskommen und Zeit für Vorkehrungen ge¬
winnen wollte, um bei passender Gelegenheit die Unbotmäßigen davonzu¬
jagen; und hatte von Anfang an die öffentliche Meinung, die wirkliche, auf
Seiten der armen Kutscher gestanden, so wurde nun die Empörung gegen die
Tramway-Gewalthaber allgemein. Leider erinnerte sich das Publikum nicht
daran, daß es vor einer längern Reihe von Jahren dieselbe Gesellschaft durch
Passiver Widerstand sehr schnell gezwungen hatte, eine willkürliche Fahrpreis¬
erhöhung rückgängig zu machen. Dafür ergriff der Pöbel in seiner Art Partei,
bewarf die wenigen Wagen, die trotz des Aufstandes der Kutscher verkehre"
konnten, mit Steinen, kühlte auch an jüdischen Branntweinschänken seinen Mut
und ließ es zu blutigen Zusammenstöße" mit Polizei und Militär kommen.


Grenzboten II 1889 54
Rassen- und Alassenhaß

Versicherten sich die Anwesenden gegenseitig, Wien werde niemals so tief sinken,
antisemitisch zu wählen. Als dies trotzdem eintraf, ergingen sich die Zeitungen
in den schwärzesten Schilderungen der Zukunft Wiens, alle Redegewaltigen
wurden zu Hilfe gerufen, und sogar der einstige Minister Herbst mußte öffent¬
lich beweisen, daß er nichts liest, als sein Leibblatt, dem er nacherzählte,
außerhalb Österreichs gebe es gar keinen Antisemitismus, verstehe man ihn
gar nicht. Ein Verein „zur Hebung des Fremdenverkehrs" glaubte im Sinne
seines Programms zu handeln, indem er ausposaunte, Fremde könnten nicht
mehr wagen, nach Wien zu kommen, weil sie befürchten müßten, für Juden
angesehen lind beschimpft zu werden. Den Hauptschlag aber führten die Ge-
treidehäudler. Diese hatten im vorigen Jahre beschlossen, keinen „Saatenmarkt"
mehr in Wien abzuhalten, weil kein genügendes Geschäft gemacht werde; der
eigentliche geheime Grund soll jedoch die Wahrnehmung gewesen sein, daß der
Snatenmarkt die fremden Käufer mit den Produzenten selbst in Berührung
bringe und somit die Zwischenhändler entbehrlich mache. In der Hoffnung,
daß dieser damals allgemein bekannt gewordene Beschluß inzwischen wieder in
Vergessenheit geraten sein werde, faßten sie ihn uoch einmal, doch nun mit der
Begründung, die ja meistens dem auserwählten Volke angehörenden Kvrn-
spekulanten würden in Wien nicht sicher sein. Und richtig meldete der Tele¬
graph aus allen Sitzen des Getreidehandels zustimmende Erklärungen. So
war der Beweis geführt, daß Wien veröden müsse, weil es Antisemiten in
die Gemeindevertretungen abgeordnet hat.

Die Osterzeit brachte allerdings mehrere lästige Erscheinungen. Zuerst
einen außergewöhnlich häßlichen Betrugsprozeß, der sich nicht totschweigen
ließ und Wasser auf die Mühle der Antisemiten war, dann die Krisis in dein
Pferdebahnunternehmeu, dessen Hauptaktionär ein schon von früher her sehr —
populärer jüdischer Bankier ist. Die Gesellschaft beantwortete die äußerst billigen
Forderungen der Kutscher in Hellem Übermute mit dem Versprechen, im Laufe
der nächsten Monate diese Forderungen in Erwägung zu ziehen und dann nach
Möglichkeit zu befriedigen. Es war doch zu durchsichtig, daß sie nur über
den gefährlichen Augenblick hinauskommen und Zeit für Vorkehrungen ge¬
winnen wollte, um bei passender Gelegenheit die Unbotmäßigen davonzu¬
jagen; und hatte von Anfang an die öffentliche Meinung, die wirkliche, auf
Seiten der armen Kutscher gestanden, so wurde nun die Empörung gegen die
Tramway-Gewalthaber allgemein. Leider erinnerte sich das Publikum nicht
daran, daß es vor einer längern Reihe von Jahren dieselbe Gesellschaft durch
Passiver Widerstand sehr schnell gezwungen hatte, eine willkürliche Fahrpreis¬
erhöhung rückgängig zu machen. Dafür ergriff der Pöbel in seiner Art Partei,
bewarf die wenigen Wagen, die trotz des Aufstandes der Kutscher verkehre»
konnten, mit Steinen, kühlte auch an jüdischen Branntweinschänken seinen Mut
und ließ es zu blutigen Zusammenstöße» mit Polizei und Militär kommen.


Grenzboten II 1889 54
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[0433] Rassen- und Alassenhaß Versicherten sich die Anwesenden gegenseitig, Wien werde niemals so tief sinken, antisemitisch zu wählen. Als dies trotzdem eintraf, ergingen sich die Zeitungen in den schwärzesten Schilderungen der Zukunft Wiens, alle Redegewaltigen wurden zu Hilfe gerufen, und sogar der einstige Minister Herbst mußte öffent¬ lich beweisen, daß er nichts liest, als sein Leibblatt, dem er nacherzählte, außerhalb Österreichs gebe es gar keinen Antisemitismus, verstehe man ihn gar nicht. Ein Verein „zur Hebung des Fremdenverkehrs" glaubte im Sinne seines Programms zu handeln, indem er ausposaunte, Fremde könnten nicht mehr wagen, nach Wien zu kommen, weil sie befürchten müßten, für Juden angesehen lind beschimpft zu werden. Den Hauptschlag aber führten die Ge- treidehäudler. Diese hatten im vorigen Jahre beschlossen, keinen „Saatenmarkt" mehr in Wien abzuhalten, weil kein genügendes Geschäft gemacht werde; der eigentliche geheime Grund soll jedoch die Wahrnehmung gewesen sein, daß der Snatenmarkt die fremden Käufer mit den Produzenten selbst in Berührung bringe und somit die Zwischenhändler entbehrlich mache. In der Hoffnung, daß dieser damals allgemein bekannt gewordene Beschluß inzwischen wieder in Vergessenheit geraten sein werde, faßten sie ihn uoch einmal, doch nun mit der Begründung, die ja meistens dem auserwählten Volke angehörenden Kvrn- spekulanten würden in Wien nicht sicher sein. Und richtig meldete der Tele¬ graph aus allen Sitzen des Getreidehandels zustimmende Erklärungen. So war der Beweis geführt, daß Wien veröden müsse, weil es Antisemiten in die Gemeindevertretungen abgeordnet hat. Die Osterzeit brachte allerdings mehrere lästige Erscheinungen. Zuerst einen außergewöhnlich häßlichen Betrugsprozeß, der sich nicht totschweigen ließ und Wasser auf die Mühle der Antisemiten war, dann die Krisis in dein Pferdebahnunternehmeu, dessen Hauptaktionär ein schon von früher her sehr — populärer jüdischer Bankier ist. Die Gesellschaft beantwortete die äußerst billigen Forderungen der Kutscher in Hellem Übermute mit dem Versprechen, im Laufe der nächsten Monate diese Forderungen in Erwägung zu ziehen und dann nach Möglichkeit zu befriedigen. Es war doch zu durchsichtig, daß sie nur über den gefährlichen Augenblick hinauskommen und Zeit für Vorkehrungen ge¬ winnen wollte, um bei passender Gelegenheit die Unbotmäßigen davonzu¬ jagen; und hatte von Anfang an die öffentliche Meinung, die wirkliche, auf Seiten der armen Kutscher gestanden, so wurde nun die Empörung gegen die Tramway-Gewalthaber allgemein. Leider erinnerte sich das Publikum nicht daran, daß es vor einer längern Reihe von Jahren dieselbe Gesellschaft durch Passiver Widerstand sehr schnell gezwungen hatte, eine willkürliche Fahrpreis¬ erhöhung rückgängig zu machen. Dafür ergriff der Pöbel in seiner Art Partei, bewarf die wenigen Wagen, die trotz des Aufstandes der Kutscher verkehre» konnten, mit Steinen, kühlte auch an jüdischen Branntweinschänken seinen Mut und ließ es zu blutigen Zusammenstöße» mit Polizei und Militär kommen. Grenzboten II 1889 54

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/433>, abgerufen am 05.02.2025.