Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Rassen- und Klassenhaß mich die "Finanzbarone" verstehen, Ländereien und Waldungen aus Bauern- Dieser Vertreter eines sogenannten Bürgertums würde kaum noch durch Der Ministerpräsident war zu dein Ausspruche, daß gegen Krankheiten Gleich nach den letzten Gemeindewahlen in Wien war zu bemerken, daß Rassen- und Klassenhaß mich die „Finanzbarone" verstehen, Ländereien und Waldungen aus Bauern- Dieser Vertreter eines sogenannten Bürgertums würde kaum noch durch Der Ministerpräsident war zu dein Ausspruche, daß gegen Krankheiten Gleich nach den letzten Gemeindewahlen in Wien war zu bemerken, daß <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0432" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205163"/> <fw type="header" place="top"> Rassen- und Klassenhaß</fw><lb/> <p xml:id="ID_1202" prev="#ID_1201"> mich die „Finanzbarone" verstehen, Ländereien und Waldungen aus Bauern-<lb/> Händen zu erwerben und zusammenzulegen, davon weiß der Mann nichts,<lb/> oder er findet eben, daß das ganz was andres sei. Wenigstens brachte er für<lb/> einen von andrer Seite erwähnten jüdischen Leuteschinder die köstliche Ent¬<lb/> schuldigung vor, der sei zu seiner Handlungsweise durch unbillige Pachtbe-<lb/> dinguugen genötigt. Da wird jemand, der vielleicht andre Pachtbewerber durch<lb/> das Anbieten von Bedingungen, bei denen er nicht bestehen könnte, aus dem<lb/> Felde geschlagen hat, zu dem bedauernswerten Opfer aristokratischer Habsucht,<lb/> und muß, gewiß mit blutendem Herzen, sich an den Arbeitern schadlos halten!</p><lb/> <p xml:id="ID_1203"> Dieser Vertreter eines sogenannten Bürgertums würde kaum noch durch<lb/> die Behauptung Verwunderung erregt haben, daß der Qualm in den Städten<lb/> nicht vou den Fabrikschloten, sondern vou deu Cigarretten aristokratischer Tage¬<lb/> diebe herrühre; und Herr von Pierer hätte ohne Zweifel die Mühe, jenen ab¬<lb/> zuthun, den ministeriellen Rednern überlassen, wenn er nicht ein geschätztes<lb/> Mitglied der Partei wäre, die sich gern etwas auf ihre Mäßigung zugute thut.<lb/> So hielt er denn dem hitzigen Freund Bourgeois eine förmliche Strafpredigt<lb/> und entwickelte dabei Anschauungen, die manchen Parteigenossen stark verblüfft<lb/> haben mögen. Er erkannte die Berechtigung und Notwendigkeit des Adels im<lb/> Staate an, pries aber die englischen Einrichtungen, die einerseits deu Rücktritt<lb/> der jüngern Söhne in die bürgerliche Welt und bürgerliche Vernfsarten, ander¬<lb/> seits das Aufsteigen ausgezeichneter Bürger in die Peerage ermöglichen. Das<lb/> ist sehr schön, doch was werden zu dem ersten Satze seine politischen Freunde<lb/> sagen, die eben denselben Satz in seiner Anwendung auf bäuerliche Verhält¬<lb/> nisse für das größte Unheil, die schreiendste Ungerechtigkeit erklären? lind was<lb/> den zweiten Punkt betrifft, so wird sich der Redner wohl nicht verhehlen, daß<lb/> der Zuführung frischen, guten Blutes in die^Adelskaste in Österreich nichts so<lb/> sehr im Wege steht, als die besonders nnter deu Bürgerministerien massenhaft<lb/> erfolgten Verleihungen des erblichen Adels.</p><lb/> <p xml:id="ID_1204"> Der Ministerpräsident war zu dein Ausspruche, daß gegen Krankheiten<lb/> der Gesellschaft diese selbst „Remedur" finden und mit gegenseitiger Achtung<lb/> der Überzeugungen den Anfang machen müsse, durch mehrere Interpellationen<lb/> veranlaßt worden, die, obwohl von verschiednen Seiten und in ganz entgegen¬<lb/> gesetzter Absicht eingebracht, doch in ursächlichen Zusammenhange standen. Zu<lb/> ihrer Erklärung muß etwas weiter ausgeholt werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1205" next="#ID_1206"> Gleich nach den letzten Gemeindewahlen in Wien war zu bemerken, daß<lb/> der Kampf gegen die antisemitische Bewegung mit viel größerm Kraftaufwands<lb/> als bisher aufgenommen wurde. Sichtlich war ein allgemeines Aufgebot<lb/> ergangen, um deu Feind von allen Seiten zugleich und mit allen Waffen an¬<lb/> zugreifen. Bis dahin hatte man geglaubt, ihn durch Spott, Verachtung und<lb/> sittliche Entrüstung vernichten zu können, und in einer Wählervcrsammlung, zu<lb/> der nur sogenannte Waschechte sstnnigerweise in die Börse) geladen worden Ware»,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0432]
Rassen- und Klassenhaß
mich die „Finanzbarone" verstehen, Ländereien und Waldungen aus Bauern-
Händen zu erwerben und zusammenzulegen, davon weiß der Mann nichts,
oder er findet eben, daß das ganz was andres sei. Wenigstens brachte er für
einen von andrer Seite erwähnten jüdischen Leuteschinder die köstliche Ent¬
schuldigung vor, der sei zu seiner Handlungsweise durch unbillige Pachtbe-
dinguugen genötigt. Da wird jemand, der vielleicht andre Pachtbewerber durch
das Anbieten von Bedingungen, bei denen er nicht bestehen könnte, aus dem
Felde geschlagen hat, zu dem bedauernswerten Opfer aristokratischer Habsucht,
und muß, gewiß mit blutendem Herzen, sich an den Arbeitern schadlos halten!
Dieser Vertreter eines sogenannten Bürgertums würde kaum noch durch
die Behauptung Verwunderung erregt haben, daß der Qualm in den Städten
nicht vou den Fabrikschloten, sondern vou deu Cigarretten aristokratischer Tage¬
diebe herrühre; und Herr von Pierer hätte ohne Zweifel die Mühe, jenen ab¬
zuthun, den ministeriellen Rednern überlassen, wenn er nicht ein geschätztes
Mitglied der Partei wäre, die sich gern etwas auf ihre Mäßigung zugute thut.
So hielt er denn dem hitzigen Freund Bourgeois eine förmliche Strafpredigt
und entwickelte dabei Anschauungen, die manchen Parteigenossen stark verblüfft
haben mögen. Er erkannte die Berechtigung und Notwendigkeit des Adels im
Staate an, pries aber die englischen Einrichtungen, die einerseits deu Rücktritt
der jüngern Söhne in die bürgerliche Welt und bürgerliche Vernfsarten, ander¬
seits das Aufsteigen ausgezeichneter Bürger in die Peerage ermöglichen. Das
ist sehr schön, doch was werden zu dem ersten Satze seine politischen Freunde
sagen, die eben denselben Satz in seiner Anwendung auf bäuerliche Verhält¬
nisse für das größte Unheil, die schreiendste Ungerechtigkeit erklären? lind was
den zweiten Punkt betrifft, so wird sich der Redner wohl nicht verhehlen, daß
der Zuführung frischen, guten Blutes in die^Adelskaste in Österreich nichts so
sehr im Wege steht, als die besonders nnter deu Bürgerministerien massenhaft
erfolgten Verleihungen des erblichen Adels.
Der Ministerpräsident war zu dein Ausspruche, daß gegen Krankheiten
der Gesellschaft diese selbst „Remedur" finden und mit gegenseitiger Achtung
der Überzeugungen den Anfang machen müsse, durch mehrere Interpellationen
veranlaßt worden, die, obwohl von verschiednen Seiten und in ganz entgegen¬
gesetzter Absicht eingebracht, doch in ursächlichen Zusammenhange standen. Zu
ihrer Erklärung muß etwas weiter ausgeholt werden.
Gleich nach den letzten Gemeindewahlen in Wien war zu bemerken, daß
der Kampf gegen die antisemitische Bewegung mit viel größerm Kraftaufwands
als bisher aufgenommen wurde. Sichtlich war ein allgemeines Aufgebot
ergangen, um deu Feind von allen Seiten zugleich und mit allen Waffen an¬
zugreifen. Bis dahin hatte man geglaubt, ihn durch Spott, Verachtung und
sittliche Entrüstung vernichten zu können, und in einer Wählervcrsammlung, zu
der nur sogenannte Waschechte sstnnigerweise in die Börse) geladen worden Ware»,
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