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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Die weiinarische Ausgabe von Goethes Briefen

Mitarbeiters, Dr. von der Hellen, umgestellt, der auf der freilich von mir
schon 0or einem Menschenalter bemerkten Uuzuverlüssigkeit der Datirungen
Hegners fußt, Leider ist auch diesem gut geschulten, scharfsinnigen Forscher
ein Mißgriff begegnet, da er bei Lcivater nur immer dessen "Phhsioguomische
Fragmente" im Sinne hat. In Brief 325 geht der Journal nicht auf ein
"bloßes Verzeichnis physiognomischer Aufsätze" Lavaters, sondern ganz offenbar
aus dessen Verteidigung wegen Gnßner, Goethe hatte statt dieser leidenschaftlichen
Abwehr, die der Züricher Freund ihm eingeschickt, eine andre in die Frankfurter
Zeitung einrücken lassen, Lavater selbst bezieht sich darauf in dein Briefe
an Herder vom 31. Mai.

Auch im dritten Bande wird nachträglich eine Neihe von Anstellungen
"is notwendig angezeigt. Das ist keine Annehmlichkeit für den Benutzer der
Sammlung und beweist nur den Mangel rechtzeitiger Sorgfalt. Leidsr ist
hiermit die Zahl der Versehen keineswegs geschlossen; es wären noch manche
andre Briefe umzustellen. Wir wollen hier nur einige dieser Fülle beleuchten.
Wenn man es dein armen Guhrauer, der bei seiner äußersten Bedrängnis fast
vor vierzig Jahren die sehr schwierige Herausgabe des Knebelschen Briefwechseln
übers Knie brechen mußte, Wohl nachsehen darf, daß er die hier unter
369 und 370 abgedruckten Briefe in den November 1775" setzte, so hat der
neuere Herausgeber durchaus keine Entschuldigung, wenn er ihm darin folgt
und die längst nachgewiesene Unmöglichkeit verkennt, wovon sich freilich auch bei
Strehlle keine Spur zeigt. Daß Brief 369 fast neun Jahre später, um
26. September 1784, geschrieben ist, habe ich schon im Jahre 1853 so schlagend
nachgewiesen, daß jeder Zweifel ausgeschlossen scheint. Die "wunderliche
Societät" von siehe" Personen, die Knebel am 27. ans den Hals kommen
wird, waren außer Goethe Fr. Jacobi und dessen Schwester, Claudius, Herder
nebst Gattin und der junge Fritz von Stein. Damals hielt sich Knebel in
Jena auf, während er im November 1775 im nahen Ticfurt weilte und Goethe
am 27. nach Erfurt ging. Ebensowenig kann Brief 370 zwischen den 27. No¬
vember und den 3. Dezember, in die Anwesenheit der Stolbergs, fallen. Damals
herrschte im Kreise des Hofes ein sehr bewegtes Leben, wozu die Äußerung
des Briefes nicht stimmt: "Unser Dichter von der Ostsee ist zu diesen trüben
und kürzen Tagen sehr erwünscht gekommen." Das "sehr erwünscht" paßt so
wenig zu der jubelnden Freude über die Ankunft der Stolbergs wie "unser
Dichter von der Ostsee" zu den beiden gräflichen Dichter", die dänische Kammer¬
herren waren. Der Brief wird in die kürzesten Dezembertage 1778 falle".
Freilich ist, bei der Dürftigkeit unsrer Nachrichten über jene Tage, bis heute
nicht zu sagen, wer jener Dichter von der Ostsee gewesen ist, vielleicht Overbeck,
der Mitarbeiter an Bossens Musenalmanach; unzweifelhaft zeugt es dagegen
von der grösüen Unachtsamkeit, die beiden Briefe von 1778 und 1781 in den
Aufenthalt der Stolberge zu verlegen. Dabei sei bemerkt, daß anch Brief 37l


Die weiinarische Ausgabe von Goethes Briefen

Mitarbeiters, Dr. von der Hellen, umgestellt, der auf der freilich von mir
schon 0or einem Menschenalter bemerkten Uuzuverlüssigkeit der Datirungen
Hegners fußt, Leider ist auch diesem gut geschulten, scharfsinnigen Forscher
ein Mißgriff begegnet, da er bei Lcivater nur immer dessen „Phhsioguomische
Fragmente" im Sinne hat. In Brief 325 geht der Journal nicht auf ein
„bloßes Verzeichnis physiognomischer Aufsätze" Lavaters, sondern ganz offenbar
aus dessen Verteidigung wegen Gnßner, Goethe hatte statt dieser leidenschaftlichen
Abwehr, die der Züricher Freund ihm eingeschickt, eine andre in die Frankfurter
Zeitung einrücken lassen, Lavater selbst bezieht sich darauf in dein Briefe
an Herder vom 31. Mai.

Auch im dritten Bande wird nachträglich eine Neihe von Anstellungen
«is notwendig angezeigt. Das ist keine Annehmlichkeit für den Benutzer der
Sammlung und beweist nur den Mangel rechtzeitiger Sorgfalt. Leidsr ist
hiermit die Zahl der Versehen keineswegs geschlossen; es wären noch manche
andre Briefe umzustellen. Wir wollen hier nur einige dieser Fülle beleuchten.
Wenn man es dein armen Guhrauer, der bei seiner äußersten Bedrängnis fast
vor vierzig Jahren die sehr schwierige Herausgabe des Knebelschen Briefwechseln
übers Knie brechen mußte, Wohl nachsehen darf, daß er die hier unter
369 und 370 abgedruckten Briefe in den November 1775» setzte, so hat der
neuere Herausgeber durchaus keine Entschuldigung, wenn er ihm darin folgt
und die längst nachgewiesene Unmöglichkeit verkennt, wovon sich freilich auch bei
Strehlle keine Spur zeigt. Daß Brief 369 fast neun Jahre später, um
26. September 1784, geschrieben ist, habe ich schon im Jahre 1853 so schlagend
nachgewiesen, daß jeder Zweifel ausgeschlossen scheint. Die „wunderliche
Societät" von siehe» Personen, die Knebel am 27. ans den Hals kommen
wird, waren außer Goethe Fr. Jacobi und dessen Schwester, Claudius, Herder
nebst Gattin und der junge Fritz von Stein. Damals hielt sich Knebel in
Jena auf, während er im November 1775 im nahen Ticfurt weilte und Goethe
am 27. nach Erfurt ging. Ebensowenig kann Brief 370 zwischen den 27. No¬
vember und den 3. Dezember, in die Anwesenheit der Stolbergs, fallen. Damals
herrschte im Kreise des Hofes ein sehr bewegtes Leben, wozu die Äußerung
des Briefes nicht stimmt: „Unser Dichter von der Ostsee ist zu diesen trüben
und kürzen Tagen sehr erwünscht gekommen." Das „sehr erwünscht" paßt so
wenig zu der jubelnden Freude über die Ankunft der Stolbergs wie „unser
Dichter von der Ostsee" zu den beiden gräflichen Dichter», die dänische Kammer¬
herren waren. Der Brief wird in die kürzesten Dezembertage 1778 falle».
Freilich ist, bei der Dürftigkeit unsrer Nachrichten über jene Tage, bis heute
nicht zu sagen, wer jener Dichter von der Ostsee gewesen ist, vielleicht Overbeck,
der Mitarbeiter an Bossens Musenalmanach; unzweifelhaft zeugt es dagegen
von der grösüen Unachtsamkeit, die beiden Briefe von 1778 und 1781 in den
Aufenthalt der Stolberge zu verlegen. Dabei sei bemerkt, daß anch Brief 37l


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[0429] Die weiinarische Ausgabe von Goethes Briefen Mitarbeiters, Dr. von der Hellen, umgestellt, der auf der freilich von mir schon 0or einem Menschenalter bemerkten Uuzuverlüssigkeit der Datirungen Hegners fußt, Leider ist auch diesem gut geschulten, scharfsinnigen Forscher ein Mißgriff begegnet, da er bei Lcivater nur immer dessen „Phhsioguomische Fragmente" im Sinne hat. In Brief 325 geht der Journal nicht auf ein „bloßes Verzeichnis physiognomischer Aufsätze" Lavaters, sondern ganz offenbar aus dessen Verteidigung wegen Gnßner, Goethe hatte statt dieser leidenschaftlichen Abwehr, die der Züricher Freund ihm eingeschickt, eine andre in die Frankfurter Zeitung einrücken lassen, Lavater selbst bezieht sich darauf in dein Briefe an Herder vom 31. Mai. Auch im dritten Bande wird nachträglich eine Neihe von Anstellungen «is notwendig angezeigt. Das ist keine Annehmlichkeit für den Benutzer der Sammlung und beweist nur den Mangel rechtzeitiger Sorgfalt. Leidsr ist hiermit die Zahl der Versehen keineswegs geschlossen; es wären noch manche andre Briefe umzustellen. Wir wollen hier nur einige dieser Fülle beleuchten. Wenn man es dein armen Guhrauer, der bei seiner äußersten Bedrängnis fast vor vierzig Jahren die sehr schwierige Herausgabe des Knebelschen Briefwechseln übers Knie brechen mußte, Wohl nachsehen darf, daß er die hier unter 369 und 370 abgedruckten Briefe in den November 1775» setzte, so hat der neuere Herausgeber durchaus keine Entschuldigung, wenn er ihm darin folgt und die längst nachgewiesene Unmöglichkeit verkennt, wovon sich freilich auch bei Strehlle keine Spur zeigt. Daß Brief 369 fast neun Jahre später, um 26. September 1784, geschrieben ist, habe ich schon im Jahre 1853 so schlagend nachgewiesen, daß jeder Zweifel ausgeschlossen scheint. Die „wunderliche Societät" von siehe» Personen, die Knebel am 27. ans den Hals kommen wird, waren außer Goethe Fr. Jacobi und dessen Schwester, Claudius, Herder nebst Gattin und der junge Fritz von Stein. Damals hielt sich Knebel in Jena auf, während er im November 1775 im nahen Ticfurt weilte und Goethe am 27. nach Erfurt ging. Ebensowenig kann Brief 370 zwischen den 27. No¬ vember und den 3. Dezember, in die Anwesenheit der Stolbergs, fallen. Damals herrschte im Kreise des Hofes ein sehr bewegtes Leben, wozu die Äußerung des Briefes nicht stimmt: „Unser Dichter von der Ostsee ist zu diesen trüben und kürzen Tagen sehr erwünscht gekommen." Das „sehr erwünscht" paßt so wenig zu der jubelnden Freude über die Ankunft der Stolbergs wie „unser Dichter von der Ostsee" zu den beiden gräflichen Dichter», die dänische Kammer¬ herren waren. Der Brief wird in die kürzesten Dezembertage 1778 falle». Freilich ist, bei der Dürftigkeit unsrer Nachrichten über jene Tage, bis heute nicht zu sagen, wer jener Dichter von der Ostsee gewesen ist, vielleicht Overbeck, der Mitarbeiter an Bossens Musenalmanach; unzweifelhaft zeugt es dagegen von der grösüen Unachtsamkeit, die beiden Briefe von 1778 und 1781 in den Aufenthalt der Stolberge zu verlegen. Dabei sei bemerkt, daß anch Brief 37l

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/429>, abgerufen am 05.02.2025.