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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Line Mobilmachung des deutschen Reiches vor 200 Jahren

tapferen Statthalters der Niederlande, Wilhelm von Oranien, am 10. Oktober
in Magdeburg zusammen, und bereits am 12. kam es zum Abschluß des so¬
genannten "Magdeburger Konzerts." Darnach sollten am Mittelrhein 10 00")
Manu Sachsen mit 1500 Brandenburgern, 7400 Hannoveranern und 2000
Hessen, am Niederrhein Brandenburg (etwa 18 000 Manu) für sich allem operiren.
Außerdem übernahm es Kursachsen, Gotha, Weimar und Eisenach zur Stellung
von drei Regimentern zu veranlassen. Zwar kam es wegen der Quartier¬
leistung und Entschüdigungsgelder der "vorder" Kreise," denen man doch
Rettung bringen wollte, zu mancherlei Streitigkeiten, die Hauptsache aber war,
daß den rheinischen Landen in der That Hilfe gebracht wurde und die Fran¬
zosen beim Anmarsch der Verbündeten über den Rhein zurückwichen.

Und was sagte das Reich, was sagte man in Wien und Regensburg
zu diesem selbständigen Vorgehen der "Armirten"? Man verurteilte es aufs
schärfste, ja man befürchtete die Bildung einer protestantischen Union im
Gegensatz zu dem katholischen Österreich und Baiern! Auch von den "vordern
Ständen" ernteten die Verbündeten für ihren selbständigen Patriotismus
wenig Dank.

Die Kreise beklagten sich bitter über die Quartierlasten, die sie uicht tragen
wollten, da sie schon von dem Feinde so arg mitgenommen seien. Diese Ver¬
hältnisse traten den Operationen der Verbündeten überall lähmend in den Weg.
Nur die Autorität des Reiches, so schwach sie an und für fich war, konnte
hier Wandel schaffen, denn das Reich allein konnte den Kreisen die Verpflich¬
tung zur Tragung der Quartierlast auferlegen.

Aber das "Reich," vor allem Österreich und Baiern, ließ noch immer auf
sich warten. Zwar hatte bereits im Oktober dem französischen Kriegs-Mani-
fest eine stolz klingende, wahrscheinlich von dem Philosophen Leibniz verfaßte
kaiserliche Denkschrift geantwortet, doch zu einer Kriegserklärung war es bis
zu Anfang des Jahres 1689 noch nicht gekommen/') Schließlich ließ sich
doch die Angelegenheit nicht länger aufschieben, zumal da sich auch die Aus¬
sicht eröffnete, daß Spanien, England und die Generalstaaten zu einer Koa¬
lition gegen Frankreich zusammentreten würden. Am 11. Dezember wurden
die üblichen Formalitäten, die zur Erklärung eines Neichskrieges yötig waren,
eingeleitet. Die "Moratorien" und "Jnhibitorien" gegen die Krone Frank¬
reich wurden erlassen. Kaiserliche "Kommissionsdekrete" forderten von den
Ständen "Reichsgutachten" über die allgemeine Lage ein. Mitte Januar 1689
liefen die ersten "Vota" ein. Die Ansprüche der "Armirten" auf Quartier¬
entschädigung und die Klagen der nicht armirten Stunde über Quarticrlast



*) Diese Aussicht verwirklichte sich im Mai 1689, nachdem Wilhelm von Oranien seine
bekannte Expedition nach England vollführt hatte, die mit seiner Erhebung zum König von
Großbritannien endete.
Line Mobilmachung des deutschen Reiches vor 200 Jahren

tapferen Statthalters der Niederlande, Wilhelm von Oranien, am 10. Oktober
in Magdeburg zusammen, und bereits am 12. kam es zum Abschluß des so¬
genannten „Magdeburger Konzerts." Darnach sollten am Mittelrhein 10 00«)
Manu Sachsen mit 1500 Brandenburgern, 7400 Hannoveranern und 2000
Hessen, am Niederrhein Brandenburg (etwa 18 000 Manu) für sich allem operiren.
Außerdem übernahm es Kursachsen, Gotha, Weimar und Eisenach zur Stellung
von drei Regimentern zu veranlassen. Zwar kam es wegen der Quartier¬
leistung und Entschüdigungsgelder der „vorder» Kreise," denen man doch
Rettung bringen wollte, zu mancherlei Streitigkeiten, die Hauptsache aber war,
daß den rheinischen Landen in der That Hilfe gebracht wurde und die Fran¬
zosen beim Anmarsch der Verbündeten über den Rhein zurückwichen.

Und was sagte das Reich, was sagte man in Wien und Regensburg
zu diesem selbständigen Vorgehen der „Armirten"? Man verurteilte es aufs
schärfste, ja man befürchtete die Bildung einer protestantischen Union im
Gegensatz zu dem katholischen Österreich und Baiern! Auch von den „vordern
Ständen" ernteten die Verbündeten für ihren selbständigen Patriotismus
wenig Dank.

Die Kreise beklagten sich bitter über die Quartierlasten, die sie uicht tragen
wollten, da sie schon von dem Feinde so arg mitgenommen seien. Diese Ver¬
hältnisse traten den Operationen der Verbündeten überall lähmend in den Weg.
Nur die Autorität des Reiches, so schwach sie an und für fich war, konnte
hier Wandel schaffen, denn das Reich allein konnte den Kreisen die Verpflich¬
tung zur Tragung der Quartierlast auferlegen.

Aber das „Reich," vor allem Österreich und Baiern, ließ noch immer auf
sich warten. Zwar hatte bereits im Oktober dem französischen Kriegs-Mani-
fest eine stolz klingende, wahrscheinlich von dem Philosophen Leibniz verfaßte
kaiserliche Denkschrift geantwortet, doch zu einer Kriegserklärung war es bis
zu Anfang des Jahres 1689 noch nicht gekommen/') Schließlich ließ sich
doch die Angelegenheit nicht länger aufschieben, zumal da sich auch die Aus¬
sicht eröffnete, daß Spanien, England und die Generalstaaten zu einer Koa¬
lition gegen Frankreich zusammentreten würden. Am 11. Dezember wurden
die üblichen Formalitäten, die zur Erklärung eines Neichskrieges yötig waren,
eingeleitet. Die „Moratorien" und „Jnhibitorien" gegen die Krone Frank¬
reich wurden erlassen. Kaiserliche „Kommissionsdekrete" forderten von den
Ständen „Reichsgutachten" über die allgemeine Lage ein. Mitte Januar 1689
liefen die ersten „Vota" ein. Die Ansprüche der „Armirten" auf Quartier¬
entschädigung und die Klagen der nicht armirten Stunde über Quarticrlast



*) Diese Aussicht verwirklichte sich im Mai 1689, nachdem Wilhelm von Oranien seine
bekannte Expedition nach England vollführt hatte, die mit seiner Erhebung zum König von
Großbritannien endete.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/422>, abgerufen am 05.02.2025.