Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Freiheit dienen, daß sie vom Überschuß auch uoch den Winter hindurch leben könnten, Wir sehen: von einer Annäherung an das sozialistische Ideal läßt sich Daß der Fortschritt der Technik den Menschen von der Natur unabhängig Freiheit dienen, daß sie vom Überschuß auch uoch den Winter hindurch leben könnten, Wir sehen: von einer Annäherung an das sozialistische Ideal läßt sich Daß der Fortschritt der Technik den Menschen von der Natur unabhängig <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0405" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205136"/> <fw type="header" place="top"> Freiheit</fw><lb/> <p xml:id="ID_1131" prev="#ID_1130"> dienen, daß sie vom Überschuß auch uoch den Winter hindurch leben könnten,<lb/> so sind sie gezwungen, entweder in die Industrie zu flüchten und so die<lb/> industriellen Arbeitslöhne noch weiter herabzudrücken, oder als landwirtschaft¬<lb/> liche „Saisonarbeiter" (schlesische Sachsengänger!) den Sommer über in Gegenden<lb/> zu arbeiten, wo sie ihren Unterhalt für den Winter mit verdienen. Die daraus<lb/> den Landwirten der ärmern Provinzen erwachsende Not gehört nicht zu unserm<lb/> Gegenstande. Eine (in sittlicher Beziehung nicht ganz unbedenkliche) Freiheit<lb/> liegt ja ohne Frage in diesen Arbeiterwanderungen; aber doch nur für die<lb/> jüngern Leute; die ältern können meistens nicht daran teilnehmen und haben<lb/> von dem Herumziehen ihrer Kinder nur Kummer und Plage.</p><lb/> <p xml:id="ID_1132"> Wir sehen: von einer Annäherung an das sozialistische Ideal läßt sich<lb/> nichts spüren; durch das Maschinenwesen sind alle Verhältnisse verschoben und<lb/> verwickelt worden, aber man kann nicht sagen, daß wir dadurch der Freiheit<lb/> näher gekommen wären. Ebensowenig allerdings, wenn wir den Durchschnitt<lb/> ansehen, daß wir uns von ihr entfernten, denn im einzelnen hat uns ja die<lb/> Maschine so manche Mühe abgenommen, auch den Verkehr erleichtert, was<lb/> ebenfalls eine Befreiung bedeutet: ohne Eisenbahn (und Telegraphen) könnte<lb/> der Ärmere weder seinen entfernt wohnenden, plötzlich erkrankten Vater besuchen,<lb/> noch eine Arbeitsgelegenheit benutzen, die sich an einem fernen Orte aufthut.<lb/> Röscher meint (n. a. O. I, 221): ,,Das höchste, freilich unerreichbare Ideal<lb/> ödes technischen Fortschritts! würde darin bestehen, daß alle Produkte ohne<lb/> Kosten erzeugt würden. Alsdann wäre jeder unendlich reich, und alle Güter<lb/> wären freie Güter, wie Luft und Sonnenlicht." Er führt auch noch den Aus¬<lb/> spruch Schmitthenners um: „Der vollständige Sieg der Menschheit über die<lb/> Natur würde darin bestehen, daß alle Menschen frei und alle Kräfte der Natur<lb/> Knechte wären." Ich mochte lieber sagen, daß dies gar kein Ideal für Menschen<lb/> sei. Ohne Ringen mit freiheitbeschränkenden Widerständen keine Kraftbethätigung,<lb/> ohne körperliche, geistige, sittliche Kraftbethätigung kein echt menschliches Leben,<lb/> kein Charakter, keine sittliche Schönheit, keine Glückseligkeit. Menschliches Ideal<lb/> kann nur sein eine nach Maß und Art so geregelte Arbeit, daß allen Menschen<lb/> die Entfaltung ihrer guten Kräfte, die sittliche Vollendung und ein bescheidner<lb/> Lebensgenuß — die drei bedingen einander gegenseitig — ermöglicht wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_1133" next="#ID_1134"> Daß der Fortschritt der Technik den Menschen von der Natur unabhängig<lb/> macht, ist richtig; durch ihn erst wird die Entstehung von Viermillionenstädteu<lb/> und überhaupt eine dichtere Bevölkerung der nördlichen Lander ermöglicht.<lb/> Und so weit muß man E. v. Hartmann beistimmen, der das ebenfalls aner¬<lb/> kennt. Nicht aber, wenn er behauptet, daß der Kulturfortschritt in demselben<lb/> Maße, als er von der Natur befreit, die Abhängigkeit von Menschen vermehre.<lb/> Wie aus dem Vorstehenden hervorgeht, ist es nicht der Kulturfortschritt an<lb/> sich, was die Freiheit beschränkt, sondern die durch ihn allerdings beförderte,<lb/> aber auch ohne ihn eintretende Anhäufung und Zusammendrüngung der Menschen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0405]
Freiheit
dienen, daß sie vom Überschuß auch uoch den Winter hindurch leben könnten,
so sind sie gezwungen, entweder in die Industrie zu flüchten und so die
industriellen Arbeitslöhne noch weiter herabzudrücken, oder als landwirtschaft¬
liche „Saisonarbeiter" (schlesische Sachsengänger!) den Sommer über in Gegenden
zu arbeiten, wo sie ihren Unterhalt für den Winter mit verdienen. Die daraus
den Landwirten der ärmern Provinzen erwachsende Not gehört nicht zu unserm
Gegenstande. Eine (in sittlicher Beziehung nicht ganz unbedenkliche) Freiheit
liegt ja ohne Frage in diesen Arbeiterwanderungen; aber doch nur für die
jüngern Leute; die ältern können meistens nicht daran teilnehmen und haben
von dem Herumziehen ihrer Kinder nur Kummer und Plage.
Wir sehen: von einer Annäherung an das sozialistische Ideal läßt sich
nichts spüren; durch das Maschinenwesen sind alle Verhältnisse verschoben und
verwickelt worden, aber man kann nicht sagen, daß wir dadurch der Freiheit
näher gekommen wären. Ebensowenig allerdings, wenn wir den Durchschnitt
ansehen, daß wir uns von ihr entfernten, denn im einzelnen hat uns ja die
Maschine so manche Mühe abgenommen, auch den Verkehr erleichtert, was
ebenfalls eine Befreiung bedeutet: ohne Eisenbahn (und Telegraphen) könnte
der Ärmere weder seinen entfernt wohnenden, plötzlich erkrankten Vater besuchen,
noch eine Arbeitsgelegenheit benutzen, die sich an einem fernen Orte aufthut.
Röscher meint (n. a. O. I, 221): ,,Das höchste, freilich unerreichbare Ideal
ödes technischen Fortschritts! würde darin bestehen, daß alle Produkte ohne
Kosten erzeugt würden. Alsdann wäre jeder unendlich reich, und alle Güter
wären freie Güter, wie Luft und Sonnenlicht." Er führt auch noch den Aus¬
spruch Schmitthenners um: „Der vollständige Sieg der Menschheit über die
Natur würde darin bestehen, daß alle Menschen frei und alle Kräfte der Natur
Knechte wären." Ich mochte lieber sagen, daß dies gar kein Ideal für Menschen
sei. Ohne Ringen mit freiheitbeschränkenden Widerständen keine Kraftbethätigung,
ohne körperliche, geistige, sittliche Kraftbethätigung kein echt menschliches Leben,
kein Charakter, keine sittliche Schönheit, keine Glückseligkeit. Menschliches Ideal
kann nur sein eine nach Maß und Art so geregelte Arbeit, daß allen Menschen
die Entfaltung ihrer guten Kräfte, die sittliche Vollendung und ein bescheidner
Lebensgenuß — die drei bedingen einander gegenseitig — ermöglicht wird.
Daß der Fortschritt der Technik den Menschen von der Natur unabhängig
macht, ist richtig; durch ihn erst wird die Entstehung von Viermillionenstädteu
und überhaupt eine dichtere Bevölkerung der nördlichen Lander ermöglicht.
Und so weit muß man E. v. Hartmann beistimmen, der das ebenfalls aner¬
kennt. Nicht aber, wenn er behauptet, daß der Kulturfortschritt in demselben
Maße, als er von der Natur befreit, die Abhängigkeit von Menschen vermehre.
Wie aus dem Vorstehenden hervorgeht, ist es nicht der Kulturfortschritt an
sich, was die Freiheit beschränkt, sondern die durch ihn allerdings beförderte,
aber auch ohne ihn eintretende Anhäufung und Zusammendrüngung der Menschen
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