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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Freiheit

sich ein wahrer Bauernstand, obwohl nur durch die Hörigkeit, erhalten. In
Frcieigner verwandelt, waren sie bald von den städtischen Kapitalisten aus¬
gekauft und in ebenso elende Vagabunden und hilflose Jahrespächtcr verwandelt,
wie die Landleute in der Ebene es schon seit dem zwölften und dreizehnten
Jahrhundert geworden waren." Wie weit die Sache in unsern Tagen gediehen
ist, das wurde vor kurzem in diesen Blättern beleuchtet. Die Regierung weis;
vorläufig keinen andern Rat, als die Armen durch gesetzliche Erschwerung der
Auswanderung in ihrer Zwangslage festzuhalten. Nicht gerade vou eingreifender
Bedeutung, aber charakteristisch für den Geist der mittelalterlichen Republiken
^ist der Umstand, daß, während die ländliche Leibeigenschaft bekämpft wurde,
Venedig bis ius sechzehnte Jahrhundert ans dein Orient Sklaven einführte,
die in die vornehmen Bürgerhäuser, namentlich auch von Florenz, verkauft
wurden.

In Deutschland entstanden die Städte durch Zusammenziehung der Dieust-
mannschaften um Königspfalzen, Herrensitze, bischöfliche und Klosterhöfe. K. W.
Nitzsch hat in seiner epochemachenden Untersuchung: "Ministerinlitüt und
Bürgertum." überzeugend nachgewiesen, daß die deutschen Stadtbewohner ohne
Ausnahme ursprünglich unfreie Hofleute gewesen sind. Wie auf dem Lande,
so unterschied man in der Stadt drei Klassen: Hörige, Zinslente und Ministe¬
rialen. Die Handwerker und Krämer waren hörig, die Großhändler teils
Zensualen, teils Ministerialen. Die städtische Zensualität gestaltete sich dahin
aus, daß ihre Angehörigen schließlich nur noch die Heerstener zu zahlen hatten.
Aus den Ministerialen, den höheren Beamten, erwuchsen die ratsfähigen Ge¬
schlechter. Als Hauptmerkmale der Hörigkeit galten: der Mangel eines ordent¬
lichen Gerichtsstandes, die Prügelstrafe und die Heiratsbeschränkungen; letztere
bestanden namentlich in Verboten der Verehelichung mit Hörige" andrer Herr¬
schaften und sollten nicht etwa der llbervölkernng vorbeugen, die damals nicht
zu fürchten war, sondern im Gegenteil verhüten, daß dem Herrn die Kinder
seiner Hörigen verloren gingen. Die Prügelstrafe wurde am Rhein in der
ersten Hälfte des elften Jahrhunderts abgeschafft, als dort die Hörigen einen
ordentlichen Gerichtsstand erlangten und in die Klasse der Zensualen empor¬
stiegen. Etwas später fielen die Heiratsbeschrünkuugen. Das eigentlich be¬
freiende Element bildete der Handel. Je höher mit fortschreitender Kultur und
wachsendem Wohlstande die Bedürfnisse der Hofhaltuugen stiegen, desto unmög¬
licher wurde die Befriedigung auf dem Wege der Naturallieferungen und per¬
sönlichen Dienstleistungen von Hofeleuteu. Mau sah sich genötigt, zur italienischen
Geldwirtschaft überzugehen, die Diener zu besolden und seine Bedürfnisse auf
dem Markte einzukaufen, also die Entstehung eines regsamen und intelligenten
Handelsstandes zu begünstigen. "Insofern läuft die Ausbildung des Geld¬
verkehrs mit der Entwicklung der Persönlichen Freiheit parallel." (Röscher,
System der Volkswirtschaft!, 24t.) Ein solcher Handelsstand aber gedeiht


Freiheit

sich ein wahrer Bauernstand, obwohl nur durch die Hörigkeit, erhalten. In
Frcieigner verwandelt, waren sie bald von den städtischen Kapitalisten aus¬
gekauft und in ebenso elende Vagabunden und hilflose Jahrespächtcr verwandelt,
wie die Landleute in der Ebene es schon seit dem zwölften und dreizehnten
Jahrhundert geworden waren." Wie weit die Sache in unsern Tagen gediehen
ist, das wurde vor kurzem in diesen Blättern beleuchtet. Die Regierung weis;
vorläufig keinen andern Rat, als die Armen durch gesetzliche Erschwerung der
Auswanderung in ihrer Zwangslage festzuhalten. Nicht gerade vou eingreifender
Bedeutung, aber charakteristisch für den Geist der mittelalterlichen Republiken
^ist der Umstand, daß, während die ländliche Leibeigenschaft bekämpft wurde,
Venedig bis ius sechzehnte Jahrhundert ans dein Orient Sklaven einführte,
die in die vornehmen Bürgerhäuser, namentlich auch von Florenz, verkauft
wurden.

In Deutschland entstanden die Städte durch Zusammenziehung der Dieust-
mannschaften um Königspfalzen, Herrensitze, bischöfliche und Klosterhöfe. K. W.
Nitzsch hat in seiner epochemachenden Untersuchung: „Ministerinlitüt und
Bürgertum." überzeugend nachgewiesen, daß die deutschen Stadtbewohner ohne
Ausnahme ursprünglich unfreie Hofleute gewesen sind. Wie auf dem Lande,
so unterschied man in der Stadt drei Klassen: Hörige, Zinslente und Ministe¬
rialen. Die Handwerker und Krämer waren hörig, die Großhändler teils
Zensualen, teils Ministerialen. Die städtische Zensualität gestaltete sich dahin
aus, daß ihre Angehörigen schließlich nur noch die Heerstener zu zahlen hatten.
Aus den Ministerialen, den höheren Beamten, erwuchsen die ratsfähigen Ge¬
schlechter. Als Hauptmerkmale der Hörigkeit galten: der Mangel eines ordent¬
lichen Gerichtsstandes, die Prügelstrafe und die Heiratsbeschränkungen; letztere
bestanden namentlich in Verboten der Verehelichung mit Hörige» andrer Herr¬
schaften und sollten nicht etwa der llbervölkernng vorbeugen, die damals nicht
zu fürchten war, sondern im Gegenteil verhüten, daß dem Herrn die Kinder
seiner Hörigen verloren gingen. Die Prügelstrafe wurde am Rhein in der
ersten Hälfte des elften Jahrhunderts abgeschafft, als dort die Hörigen einen
ordentlichen Gerichtsstand erlangten und in die Klasse der Zensualen empor¬
stiegen. Etwas später fielen die Heiratsbeschrünkuugen. Das eigentlich be¬
freiende Element bildete der Handel. Je höher mit fortschreitender Kultur und
wachsendem Wohlstande die Bedürfnisse der Hofhaltuugen stiegen, desto unmög¬
licher wurde die Befriedigung auf dem Wege der Naturallieferungen und per¬
sönlichen Dienstleistungen von Hofeleuteu. Mau sah sich genötigt, zur italienischen
Geldwirtschaft überzugehen, die Diener zu besolden und seine Bedürfnisse auf
dem Markte einzukaufen, also die Entstehung eines regsamen und intelligenten
Handelsstandes zu begünstigen. „Insofern läuft die Ausbildung des Geld¬
verkehrs mit der Entwicklung der Persönlichen Freiheit parallel." (Röscher,
System der Volkswirtschaft!, 24t.) Ein solcher Handelsstand aber gedeiht


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[0396] Freiheit sich ein wahrer Bauernstand, obwohl nur durch die Hörigkeit, erhalten. In Frcieigner verwandelt, waren sie bald von den städtischen Kapitalisten aus¬ gekauft und in ebenso elende Vagabunden und hilflose Jahrespächtcr verwandelt, wie die Landleute in der Ebene es schon seit dem zwölften und dreizehnten Jahrhundert geworden waren." Wie weit die Sache in unsern Tagen gediehen ist, das wurde vor kurzem in diesen Blättern beleuchtet. Die Regierung weis; vorläufig keinen andern Rat, als die Armen durch gesetzliche Erschwerung der Auswanderung in ihrer Zwangslage festzuhalten. Nicht gerade vou eingreifender Bedeutung, aber charakteristisch für den Geist der mittelalterlichen Republiken ^ist der Umstand, daß, während die ländliche Leibeigenschaft bekämpft wurde, Venedig bis ius sechzehnte Jahrhundert ans dein Orient Sklaven einführte, die in die vornehmen Bürgerhäuser, namentlich auch von Florenz, verkauft wurden. In Deutschland entstanden die Städte durch Zusammenziehung der Dieust- mannschaften um Königspfalzen, Herrensitze, bischöfliche und Klosterhöfe. K. W. Nitzsch hat in seiner epochemachenden Untersuchung: „Ministerinlitüt und Bürgertum." überzeugend nachgewiesen, daß die deutschen Stadtbewohner ohne Ausnahme ursprünglich unfreie Hofleute gewesen sind. Wie auf dem Lande, so unterschied man in der Stadt drei Klassen: Hörige, Zinslente und Ministe¬ rialen. Die Handwerker und Krämer waren hörig, die Großhändler teils Zensualen, teils Ministerialen. Die städtische Zensualität gestaltete sich dahin aus, daß ihre Angehörigen schließlich nur noch die Heerstener zu zahlen hatten. Aus den Ministerialen, den höheren Beamten, erwuchsen die ratsfähigen Ge¬ schlechter. Als Hauptmerkmale der Hörigkeit galten: der Mangel eines ordent¬ lichen Gerichtsstandes, die Prügelstrafe und die Heiratsbeschränkungen; letztere bestanden namentlich in Verboten der Verehelichung mit Hörige» andrer Herr¬ schaften und sollten nicht etwa der llbervölkernng vorbeugen, die damals nicht zu fürchten war, sondern im Gegenteil verhüten, daß dem Herrn die Kinder seiner Hörigen verloren gingen. Die Prügelstrafe wurde am Rhein in der ersten Hälfte des elften Jahrhunderts abgeschafft, als dort die Hörigen einen ordentlichen Gerichtsstand erlangten und in die Klasse der Zensualen empor¬ stiegen. Etwas später fielen die Heiratsbeschrünkuugen. Das eigentlich be¬ freiende Element bildete der Handel. Je höher mit fortschreitender Kultur und wachsendem Wohlstande die Bedürfnisse der Hofhaltuugen stiegen, desto unmög¬ licher wurde die Befriedigung auf dem Wege der Naturallieferungen und per¬ sönlichen Dienstleistungen von Hofeleuteu. Mau sah sich genötigt, zur italienischen Geldwirtschaft überzugehen, die Diener zu besolden und seine Bedürfnisse auf dem Markte einzukaufen, also die Entstehung eines regsamen und intelligenten Handelsstandes zu begünstigen. „Insofern läuft die Ausbildung des Geld¬ verkehrs mit der Entwicklung der Persönlichen Freiheit parallel." (Röscher, System der Volkswirtschaft!, 24t.) Ein solcher Handelsstand aber gedeiht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/396>, abgerufen am 05.02.2025.