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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Jordans Gddaiibersetzuug

anzutreffen nicht vermuten sollte. Um Reimstübe zu gewinnen, hat der Über¬
setzer eine beträchtliche Anzahl veralteter oder dialektischer Ausdrücke verwendet,
die der Mehrzahl seiner Leser durchaus unverständlich sein werden. Daß er
für Ring das alte Wort "Baug" gebraucht, mag noch angehn (es haben das
andre schon vor ihm gethan); wenn man es aber wieder lebendig macht, so
sollte man ihm wenigstens sein richtiges Geschlecht und seine richtige Dekli¬
nation lassen (Jordan behandelt es stets als Femininum und bildet den
schwachen Plural: "die Bangen"). Welcher uicht sprachkundige Leser weiß
aber, was eine "Querne" ist, ans der Jordan der Alliteration zuliebe
das Mehl "quirlen" läßt; wie vielen ist wohl das wetternuische "Walz" für
Eber bekannt oder "Jause" für Vesper, ein slawisches Lehnwort der l>airischen
Mundart, das in Norddeutschland niemals ein Mensch gehört hat; oder "rnhkzen"
(mittelhochdeutsch ruelcvMn), wodurch das Geschnatter gewisser Vögel onomato¬
poetisch bezeichnet wird? Um einen Neun auf t zu erhalten, wird einmal das
niederdeutsche "trecken" gebraucht. Der niedrigsten Sphäre der Umgangssprache
entstammen Wörter wie "bestechen," "flecken" (flink bei der Hand sein steckt
die Hälfte), "ergattern" u. n. Jemand "einen Tort anthun" ist der Sprache der
Dichtung ebenfalls unangemessen. Daneben stehen Wörter aus Jordans eigner
Fabrik, die hoffentlich kein "Ergänzungswörterbuch der deutschen Sprache" ver¬
zeichnen wird: Arc für Ahnfrau, Schnappkost für Köder, Arglistkastell, Ans-
bruchspalt, Genasführ, manustollgemnt, Schöuheitsansbund, Gierpest u. s. w.
Dabei sei bemerkt, daß zu diesen schönen Wortbildungen das Original kein
Vorbild gab. Die Zusätze, durch die Jordan den Text erweitert, verraten sich
gewöhnlich ebenfalls durch ihren Ungeschmack. So wird z. B. die UolWenmt,
die schon in der Urschrift an Derbheit nichts zu wünschen übrig läßt, von ihm
noch vergröbert, so z. B. in Strophe 4 seiner Übersetzung:


Sei gefaßt, wenn dn vorhast
das Fest zu schauen,
um die gütigen Götter
mit galligen Späßen
und Spott zu begeifern,
daß sie an dir
den Dung sich abwischen.

Den "Dung" hat Jordan hinzugethan.

Eine Übersetzung der Edda sollte auch versuchen, dem dentschen Leser von
der metrischen Technik der alten Alliterntiouspoesie eine Vorstellung zu geben,
also die Gesetze derselben (die erst vor kurzem, namentlich durch die bahn-
brechendeli Untersuchitngen von Siepers, aufgedeckt worden sind), soweit es sich
thun läßt, beobachten. Bekanntlich sind in der Edda die rein epischen Gedichte
in einem andern Metrum abgefaßt als die dialogischen und didaktischen.
Die in den erstern übliche Strophe (das sogenannte de>r"^rälck8l!r8) besteht aus


Jordans Gddaiibersetzuug

anzutreffen nicht vermuten sollte. Um Reimstübe zu gewinnen, hat der Über¬
setzer eine beträchtliche Anzahl veralteter oder dialektischer Ausdrücke verwendet,
die der Mehrzahl seiner Leser durchaus unverständlich sein werden. Daß er
für Ring das alte Wort „Baug" gebraucht, mag noch angehn (es haben das
andre schon vor ihm gethan); wenn man es aber wieder lebendig macht, so
sollte man ihm wenigstens sein richtiges Geschlecht und seine richtige Dekli¬
nation lassen (Jordan behandelt es stets als Femininum und bildet den
schwachen Plural: „die Bangen"). Welcher uicht sprachkundige Leser weiß
aber, was eine „Querne" ist, ans der Jordan der Alliteration zuliebe
das Mehl „quirlen" läßt; wie vielen ist wohl das wetternuische „Walz" für
Eber bekannt oder „Jause" für Vesper, ein slawisches Lehnwort der l>airischen
Mundart, das in Norddeutschland niemals ein Mensch gehört hat; oder „rnhkzen"
(mittelhochdeutsch ruelcvMn), wodurch das Geschnatter gewisser Vögel onomato¬
poetisch bezeichnet wird? Um einen Neun auf t zu erhalten, wird einmal das
niederdeutsche „trecken" gebraucht. Der niedrigsten Sphäre der Umgangssprache
entstammen Wörter wie „bestechen," „flecken" (flink bei der Hand sein steckt
die Hälfte), „ergattern" u. n. Jemand „einen Tort anthun" ist der Sprache der
Dichtung ebenfalls unangemessen. Daneben stehen Wörter aus Jordans eigner
Fabrik, die hoffentlich kein „Ergänzungswörterbuch der deutschen Sprache" ver¬
zeichnen wird: Arc für Ahnfrau, Schnappkost für Köder, Arglistkastell, Ans-
bruchspalt, Genasführ, manustollgemnt, Schöuheitsansbund, Gierpest u. s. w.
Dabei sei bemerkt, daß zu diesen schönen Wortbildungen das Original kein
Vorbild gab. Die Zusätze, durch die Jordan den Text erweitert, verraten sich
gewöhnlich ebenfalls durch ihren Ungeschmack. So wird z. B. die UolWenmt,
die schon in der Urschrift an Derbheit nichts zu wünschen übrig läßt, von ihm
noch vergröbert, so z. B. in Strophe 4 seiner Übersetzung:


Sei gefaßt, wenn dn vorhast
das Fest zu schauen,
um die gütigen Götter
mit galligen Späßen
und Spott zu begeifern,
daß sie an dir
den Dung sich abwischen.

Den „Dung" hat Jordan hinzugethan.

Eine Übersetzung der Edda sollte auch versuchen, dem dentschen Leser von
der metrischen Technik der alten Alliterntiouspoesie eine Vorstellung zu geben,
also die Gesetze derselben (die erst vor kurzem, namentlich durch die bahn-
brechendeli Untersuchitngen von Siepers, aufgedeckt worden sind), soweit es sich
thun läßt, beobachten. Bekanntlich sind in der Edda die rein epischen Gedichte
in einem andern Metrum abgefaßt als die dialogischen und didaktischen.
Die in den erstern übliche Strophe (das sogenannte de>r»^rälck8l!r8) besteht aus


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[0378] Jordans Gddaiibersetzuug anzutreffen nicht vermuten sollte. Um Reimstübe zu gewinnen, hat der Über¬ setzer eine beträchtliche Anzahl veralteter oder dialektischer Ausdrücke verwendet, die der Mehrzahl seiner Leser durchaus unverständlich sein werden. Daß er für Ring das alte Wort „Baug" gebraucht, mag noch angehn (es haben das andre schon vor ihm gethan); wenn man es aber wieder lebendig macht, so sollte man ihm wenigstens sein richtiges Geschlecht und seine richtige Dekli¬ nation lassen (Jordan behandelt es stets als Femininum und bildet den schwachen Plural: „die Bangen"). Welcher uicht sprachkundige Leser weiß aber, was eine „Querne" ist, ans der Jordan der Alliteration zuliebe das Mehl „quirlen" läßt; wie vielen ist wohl das wetternuische „Walz" für Eber bekannt oder „Jause" für Vesper, ein slawisches Lehnwort der l>airischen Mundart, das in Norddeutschland niemals ein Mensch gehört hat; oder „rnhkzen" (mittelhochdeutsch ruelcvMn), wodurch das Geschnatter gewisser Vögel onomato¬ poetisch bezeichnet wird? Um einen Neun auf t zu erhalten, wird einmal das niederdeutsche „trecken" gebraucht. Der niedrigsten Sphäre der Umgangssprache entstammen Wörter wie „bestechen," „flecken" (flink bei der Hand sein steckt die Hälfte), „ergattern" u. n. Jemand „einen Tort anthun" ist der Sprache der Dichtung ebenfalls unangemessen. Daneben stehen Wörter aus Jordans eigner Fabrik, die hoffentlich kein „Ergänzungswörterbuch der deutschen Sprache" ver¬ zeichnen wird: Arc für Ahnfrau, Schnappkost für Köder, Arglistkastell, Ans- bruchspalt, Genasführ, manustollgemnt, Schöuheitsansbund, Gierpest u. s. w. Dabei sei bemerkt, daß zu diesen schönen Wortbildungen das Original kein Vorbild gab. Die Zusätze, durch die Jordan den Text erweitert, verraten sich gewöhnlich ebenfalls durch ihren Ungeschmack. So wird z. B. die UolWenmt, die schon in der Urschrift an Derbheit nichts zu wünschen übrig läßt, von ihm noch vergröbert, so z. B. in Strophe 4 seiner Übersetzung: Sei gefaßt, wenn dn vorhast das Fest zu schauen, um die gütigen Götter mit galligen Späßen und Spott zu begeifern, daß sie an dir den Dung sich abwischen. Den „Dung" hat Jordan hinzugethan. Eine Übersetzung der Edda sollte auch versuchen, dem dentschen Leser von der metrischen Technik der alten Alliterntiouspoesie eine Vorstellung zu geben, also die Gesetze derselben (die erst vor kurzem, namentlich durch die bahn- brechendeli Untersuchitngen von Siepers, aufgedeckt worden sind), soweit es sich thun läßt, beobachten. Bekanntlich sind in der Edda die rein epischen Gedichte in einem andern Metrum abgefaßt als die dialogischen und didaktischen. Die in den erstern übliche Strophe (das sogenannte de>r»^rälck8l!r8) besteht aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/378>, abgerufen am 05.02.2025.