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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Ende

"Schöpf" von Tannen, der im steirischen Gebirge gern den Hort des Bauern,
den oben erwähnten Feldkasten, beschattet, gehört hierher. Endlich sei noch
der Linden des Dorfplatzes gedacht, die die nltgeheiligte Stätte der Gemeinde
bezeichnen und um die sich noch heute, wiewohl immer seltener, der Ländler
schlingt -- eine Erinnerung an eine einfachere, fröhlichere Zeit, wo der Sommer
und die Sonne ihr Recht auf Fest und Freude noch nicht an den kalten Winter
und das tote Gas abgetreten hatten. Möglich, daß die einzelnen Bäume
auf dem Hofplatze selbst einst eine ähnliche Bedeutung für das Geschlecht hatten,
wie jene Linden sür das Dorf, daß sie das deutsche Seitenstück stellen zu dem
schwedischen Vo-rätiM, dem heiligen Baume des Geschlechts, der für den
Liebhaber von Wald und Feld noch ein besondres Interesse durch den Um¬
stand gewinnen muß, daß der Begründer der botanischen Wissenschaft, Linnäus,
einer Familie angehört, die sich nach einer solchen heiligen Linde benannt hat.")


3

Eilte weitere Eigenschaft, die das deutsche Dorf auszeichnet, ist seine Wirk¬
lichkeit. Wir verstehen darunter nicht etwa den Umstand, daß der Wanderer
in jedem, auch dem kleinsten Dorf ein Gasthaus, eine Schenke und darin eine,
wenn auch bescheidene Unterkunft und Zehrung findet, wenn anch ein solcher
Vorzug für das Behagen desselben nicht gering ins Gewicht fällt und er der
ganzen Wanderlust wenigstens unsrer gebildeten Jugend als unentbehrliche
Unterlage dient. Noch weniger kann unter der Wirklichkeit des deutschen
Bauers die Reinlichkeit verstanden werden, denn der deutsche Bauer, überhaupt
der Deutsche von Haus aus, ist nicht reinlich, und wenn nach einer oft zu
lesenden Behauptung die Höhe der Kultur nach dem Verbrauch von Seife ge¬
messen werden soll, so kommt z. B. der schwäbische Bauer sehr schlecht weg.
Im Gegenteil, der deutsche Bauer ist unreinlich angelegt, und zwar gilt dies
ganz allgemein ohne Unterschied, ob Sachse, Franke, Schwabe oder Baier, ja
in einigen Gegenden, ich meine nur Althessen, Unterfranken, Schwaben, kann
man nicht umhin, ihn geradezu schmutzig zu nennen, und es wirft ein eigen¬
tümliches Licht auf die oben erwähnte Behauptung, wenn sich die größte Un-
sauberkeit gerade in denjenigen Strichen des mittleren Deutschlands breit
macht, die vom frühen Mittelalter an am meisten unter der Einwirkung und
Befruchtung städtischer Kultur gestanden haben. Von dieser Regel giebt es
meines Wissens nur zwei Ausnahme::, und diese lassen sich vielleicht darauf
zurückführen, daß die beiden betreffenden Bevölkerungen dem deutschen Volke
nicht im eigentlichen Sinne angehören: nämlich die Friesen an der Nordsee¬
küste, denen auch die berühmte holländische Reinlichkeit zu gute zu schreiben
ist, denn der gemeine Holländer ist nur da reinlich, wo er friesischer Abkunft



*) Hyltsn-CcwMus, Viu-ma voll ViiMrns, Stockholm, 1864. Teil II, S. 144.
Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Ende

„Schöpf" von Tannen, der im steirischen Gebirge gern den Hort des Bauern,
den oben erwähnten Feldkasten, beschattet, gehört hierher. Endlich sei noch
der Linden des Dorfplatzes gedacht, die die nltgeheiligte Stätte der Gemeinde
bezeichnen und um die sich noch heute, wiewohl immer seltener, der Ländler
schlingt — eine Erinnerung an eine einfachere, fröhlichere Zeit, wo der Sommer
und die Sonne ihr Recht auf Fest und Freude noch nicht an den kalten Winter
und das tote Gas abgetreten hatten. Möglich, daß die einzelnen Bäume
auf dem Hofplatze selbst einst eine ähnliche Bedeutung für das Geschlecht hatten,
wie jene Linden sür das Dorf, daß sie das deutsche Seitenstück stellen zu dem
schwedischen Vo-rätiM, dem heiligen Baume des Geschlechts, der für den
Liebhaber von Wald und Feld noch ein besondres Interesse durch den Um¬
stand gewinnen muß, daß der Begründer der botanischen Wissenschaft, Linnäus,
einer Familie angehört, die sich nach einer solchen heiligen Linde benannt hat.")


3

Eilte weitere Eigenschaft, die das deutsche Dorf auszeichnet, ist seine Wirk¬
lichkeit. Wir verstehen darunter nicht etwa den Umstand, daß der Wanderer
in jedem, auch dem kleinsten Dorf ein Gasthaus, eine Schenke und darin eine,
wenn auch bescheidene Unterkunft und Zehrung findet, wenn anch ein solcher
Vorzug für das Behagen desselben nicht gering ins Gewicht fällt und er der
ganzen Wanderlust wenigstens unsrer gebildeten Jugend als unentbehrliche
Unterlage dient. Noch weniger kann unter der Wirklichkeit des deutschen
Bauers die Reinlichkeit verstanden werden, denn der deutsche Bauer, überhaupt
der Deutsche von Haus aus, ist nicht reinlich, und wenn nach einer oft zu
lesenden Behauptung die Höhe der Kultur nach dem Verbrauch von Seife ge¬
messen werden soll, so kommt z. B. der schwäbische Bauer sehr schlecht weg.
Im Gegenteil, der deutsche Bauer ist unreinlich angelegt, und zwar gilt dies
ganz allgemein ohne Unterschied, ob Sachse, Franke, Schwabe oder Baier, ja
in einigen Gegenden, ich meine nur Althessen, Unterfranken, Schwaben, kann
man nicht umhin, ihn geradezu schmutzig zu nennen, und es wirft ein eigen¬
tümliches Licht auf die oben erwähnte Behauptung, wenn sich die größte Un-
sauberkeit gerade in denjenigen Strichen des mittleren Deutschlands breit
macht, die vom frühen Mittelalter an am meisten unter der Einwirkung und
Befruchtung städtischer Kultur gestanden haben. Von dieser Regel giebt es
meines Wissens nur zwei Ausnahme::, und diese lassen sich vielleicht darauf
zurückführen, daß die beiden betreffenden Bevölkerungen dem deutschen Volke
nicht im eigentlichen Sinne angehören: nämlich die Friesen an der Nordsee¬
küste, denen auch die berühmte holländische Reinlichkeit zu gute zu schreiben
ist, denn der gemeine Holländer ist nur da reinlich, wo er friesischer Abkunft



*) Hyltsn-CcwMus, Viu-ma voll ViiMrns, Stockholm, 1864. Teil II, S. 144.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/368>, abgerufen am 05.02.2025.