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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Da>s alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Lüde

um senkrechte Stäbe geschlungenes mit Strohlehm bekleidetes Geflecht, hente
ausnahmslos dnrch Manerwerk von Bruch- oder Backsteinen bewerkstelligt wird.
Innerhalb dieses weiten Gebietes entfaltet der Riegelbau eine weite Mannich-
faltigkeit: bald ist er ein-, bald zweistöckig, bald diente sein Holzwerk nnr dein
Bedarf und der Zweckmäßigkeit, bald dem Zierrat und der Belebung der Wände:
bald trägt es Naturfarbe, bald ist es bemalt n. s. w. Der Bvllständigkeit
halber sei bemerkt, daß an der Saale lind mittleren Elbe und von da nach
Osten zu der Riegelban für den untern Stock sehr allgemein durch eine reine
Erd- oder Lehmwand vertreten wird, und daß in den baumlosen Kiistenstrichen
der Nordsee schon mindestens seit einem Jahrhundert der reine Backsteinbau
sich Eingang verschafft hat; doch auch in Ostfriesland und auf den Nordsee¬
inseln zeigen die ältesten Bauernhäuser deu Holzbau.

Diesen ganzen Reichtum lassen wir hinter uns, wenn wir nach Osten oder
Westen das deutsche Gebiet verlassen. Die alten Länder der Slawen kennen
"och hente nur den reinen Blockban, der in einigen Gegenden Rußlands, dank
der großen und allgemeinen Fertigkeit des russischen Bauern in der Hand¬
habung von Beil und Messer ohne Dazwischenkunft des Zimmermanns, einige
Anfänge künstlerischer Behandlung aufweist. Bemerkenswert ist, daß der Russe
selbst für seine Kirchenbauten das natürliche Rundholz dem behauenen vorzieht
und daß es der Bewohner des kleinrussischen Südwestens liebt, das Valken-
gefüge seines Hauses dem Anblick durch einen stets neu im Anstrich gehaltenen
Lehmbewnrf zu verdecken. Ans der romanischen Seite umgekehrt stoßen
wir überall auf deu Steinbau, mögen wir die Greuzen des germanischen
Sprachgebietes überschreiten, wo wir wollen: ob in Belgien, vom Elsaß
aus, in der Schweiz nach der französische" oder in Tirol nach der italienischen
Seite, es ist immer das gleiche: der deutsche Bauer baut aus Holz, der welsche
aus Stein.

Bei der Betrachtung des engen Berhältuisfes, das sich das deutsche Bauern-
haus zum Holze gewahrt hat, wollen wir nicht vergessen, der nahen Beziehungen
zu gedenken, die der deutsche Hos zum Bauern unterhält. Der deutsche
Bauer hat, um Raum für seineu Anbau zu gewinnen, den Wald zurückgedrängt,
aber er hat ihn dnrch die Hinterthür wieder eingelassen und hoffähig gemacht.
I" dem größten Teile unsers Vaterlandes liegt das Dorf in einem, förmlichen
Hain von Obstbäumen förmlich versteckt, und auch das Gehöft selber findet
sich häusig mit einer oder mehreren alten Linden geschmückt, die ihre weite
Krone schirmend über das Heim der Bewohner strecken. Und was der Bcium-
gnrten für das mittlere Deutschland ist, das ist für den niedersächsischen Norden
der Eichenkamp, ein kleines Gehölz von Eichen und andern Waldbäumen, das
den stimmungsvollen Hintergrund sür das mächtige Strohdach des alten Ein¬
baues abgiebt und gewöhnlich ebenfalls durch einige besonders alte und hoch¬
stämmige Bäume auf dein vorder" Teile des Hofes vertreten ist. Auch der


Da>s alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Lüde

um senkrechte Stäbe geschlungenes mit Strohlehm bekleidetes Geflecht, hente
ausnahmslos dnrch Manerwerk von Bruch- oder Backsteinen bewerkstelligt wird.
Innerhalb dieses weiten Gebietes entfaltet der Riegelbau eine weite Mannich-
faltigkeit: bald ist er ein-, bald zweistöckig, bald diente sein Holzwerk nnr dein
Bedarf und der Zweckmäßigkeit, bald dem Zierrat und der Belebung der Wände:
bald trägt es Naturfarbe, bald ist es bemalt n. s. w. Der Bvllständigkeit
halber sei bemerkt, daß an der Saale lind mittleren Elbe und von da nach
Osten zu der Riegelban für den untern Stock sehr allgemein durch eine reine
Erd- oder Lehmwand vertreten wird, und daß in den baumlosen Kiistenstrichen
der Nordsee schon mindestens seit einem Jahrhundert der reine Backsteinbau
sich Eingang verschafft hat; doch auch in Ostfriesland und auf den Nordsee¬
inseln zeigen die ältesten Bauernhäuser deu Holzbau.

Diesen ganzen Reichtum lassen wir hinter uns, wenn wir nach Osten oder
Westen das deutsche Gebiet verlassen. Die alten Länder der Slawen kennen
»och hente nur den reinen Blockban, der in einigen Gegenden Rußlands, dank
der großen und allgemeinen Fertigkeit des russischen Bauern in der Hand¬
habung von Beil und Messer ohne Dazwischenkunft des Zimmermanns, einige
Anfänge künstlerischer Behandlung aufweist. Bemerkenswert ist, daß der Russe
selbst für seine Kirchenbauten das natürliche Rundholz dem behauenen vorzieht
und daß es der Bewohner des kleinrussischen Südwestens liebt, das Valken-
gefüge seines Hauses dem Anblick durch einen stets neu im Anstrich gehaltenen
Lehmbewnrf zu verdecken. Ans der romanischen Seite umgekehrt stoßen
wir überall auf deu Steinbau, mögen wir die Greuzen des germanischen
Sprachgebietes überschreiten, wo wir wollen: ob in Belgien, vom Elsaß
aus, in der Schweiz nach der französische» oder in Tirol nach der italienischen
Seite, es ist immer das gleiche: der deutsche Bauer baut aus Holz, der welsche
aus Stein.

Bei der Betrachtung des engen Berhältuisfes, das sich das deutsche Bauern-
haus zum Holze gewahrt hat, wollen wir nicht vergessen, der nahen Beziehungen
zu gedenken, die der deutsche Hos zum Bauern unterhält. Der deutsche
Bauer hat, um Raum für seineu Anbau zu gewinnen, den Wald zurückgedrängt,
aber er hat ihn dnrch die Hinterthür wieder eingelassen und hoffähig gemacht.
I» dem größten Teile unsers Vaterlandes liegt das Dorf in einem, förmlichen
Hain von Obstbäumen förmlich versteckt, und auch das Gehöft selber findet
sich häusig mit einer oder mehreren alten Linden geschmückt, die ihre weite
Krone schirmend über das Heim der Bewohner strecken. Und was der Bcium-
gnrten für das mittlere Deutschland ist, das ist für den niedersächsischen Norden
der Eichenkamp, ein kleines Gehölz von Eichen und andern Waldbäumen, das
den stimmungsvollen Hintergrund sür das mächtige Strohdach des alten Ein¬
baues abgiebt und gewöhnlich ebenfalls durch einige besonders alte und hoch¬
stämmige Bäume auf dein vorder» Teile des Hofes vertreten ist. Auch der


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[0367] Da>s alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Lüde um senkrechte Stäbe geschlungenes mit Strohlehm bekleidetes Geflecht, hente ausnahmslos dnrch Manerwerk von Bruch- oder Backsteinen bewerkstelligt wird. Innerhalb dieses weiten Gebietes entfaltet der Riegelbau eine weite Mannich- faltigkeit: bald ist er ein-, bald zweistöckig, bald diente sein Holzwerk nnr dein Bedarf und der Zweckmäßigkeit, bald dem Zierrat und der Belebung der Wände: bald trägt es Naturfarbe, bald ist es bemalt n. s. w. Der Bvllständigkeit halber sei bemerkt, daß an der Saale lind mittleren Elbe und von da nach Osten zu der Riegelban für den untern Stock sehr allgemein durch eine reine Erd- oder Lehmwand vertreten wird, und daß in den baumlosen Kiistenstrichen der Nordsee schon mindestens seit einem Jahrhundert der reine Backsteinbau sich Eingang verschafft hat; doch auch in Ostfriesland und auf den Nordsee¬ inseln zeigen die ältesten Bauernhäuser deu Holzbau. Diesen ganzen Reichtum lassen wir hinter uns, wenn wir nach Osten oder Westen das deutsche Gebiet verlassen. Die alten Länder der Slawen kennen »och hente nur den reinen Blockban, der in einigen Gegenden Rußlands, dank der großen und allgemeinen Fertigkeit des russischen Bauern in der Hand¬ habung von Beil und Messer ohne Dazwischenkunft des Zimmermanns, einige Anfänge künstlerischer Behandlung aufweist. Bemerkenswert ist, daß der Russe selbst für seine Kirchenbauten das natürliche Rundholz dem behauenen vorzieht und daß es der Bewohner des kleinrussischen Südwestens liebt, das Valken- gefüge seines Hauses dem Anblick durch einen stets neu im Anstrich gehaltenen Lehmbewnrf zu verdecken. Ans der romanischen Seite umgekehrt stoßen wir überall auf deu Steinbau, mögen wir die Greuzen des germanischen Sprachgebietes überschreiten, wo wir wollen: ob in Belgien, vom Elsaß aus, in der Schweiz nach der französische» oder in Tirol nach der italienischen Seite, es ist immer das gleiche: der deutsche Bauer baut aus Holz, der welsche aus Stein. Bei der Betrachtung des engen Berhältuisfes, das sich das deutsche Bauern- haus zum Holze gewahrt hat, wollen wir nicht vergessen, der nahen Beziehungen zu gedenken, die der deutsche Hos zum Bauern unterhält. Der deutsche Bauer hat, um Raum für seineu Anbau zu gewinnen, den Wald zurückgedrängt, aber er hat ihn dnrch die Hinterthür wieder eingelassen und hoffähig gemacht. I» dem größten Teile unsers Vaterlandes liegt das Dorf in einem, förmlichen Hain von Obstbäumen förmlich versteckt, und auch das Gehöft selber findet sich häusig mit einer oder mehreren alten Linden geschmückt, die ihre weite Krone schirmend über das Heim der Bewohner strecken. Und was der Bcium- gnrten für das mittlere Deutschland ist, das ist für den niedersächsischen Norden der Eichenkamp, ein kleines Gehölz von Eichen und andern Waldbäumen, das den stimmungsvollen Hintergrund sür das mächtige Strohdach des alten Ein¬ baues abgiebt und gewöhnlich ebenfalls durch einige besonders alte und hoch¬ stämmige Bäume auf dein vorder» Teile des Hofes vertreten ist. Auch der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/367>, abgerufen am 05.02.2025.