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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Gegensätze enthalten. Aber diese Gegensätze, mögen sie sich auch aus
den sozialen Unterschieden entwickelt haben, können im Heere doch mir
ethischer Natur sein. Und wo sie es nicht sind, müssen sie bekämpft
werden, Sie entwickeln sich naturgemäß aus der doppelten Aufgabe des
Heeres: sich neben der friedlichen Arbeit die Kriegstüchtigkeit, deu kriegerischen
Geist zu bewahren.

Wie der menschliche Charakter ans verschiednen Elementen zusammen¬
gesetzt ist, keiner aber alle zugleich enthält, so auch der der Gesellschaft. Die
einzelnen Klassen verkörpern bald mehr, bald weniger bestimmte, aus
gemeinsamen Interessen und Lebensbeziehungen erwachsene Eigenschaften.
Frische, Lebendigkeit, Selbstbewußsein, sorglose Kühnheit und Entschlossen¬
heit, das sind die Eigenschaften des aristokratischen Charakters. Diese wirken
zusammen in dem festen, bestimmten, sich stets gleichbleibenden Willen und
in der stolze", instinktiven Sicherheit des Handelns. Weiter beruht die
Überlegenheit des Aristokraten auch auf dem Zauber der Persönlichkeit.
Die guten Formen einer vornehmen Erziehung geben dabei gleichsam nur
die Schale ab, die den trefflichen Kern durchblicken läßt. Der echte Aristo¬
krat zeigt sich nicht etwa in der stolzen, unnahbaren Exklusivität, sondern
vielmehr in der Leutseligkeit des Umganges, die den scharfen Blick, den
feinen Takt und die innere, allen Lebenslagen gewachsene Sicherheit verrät.
Um mit Menschen umgehen zu können, braucht man kein Gelehrter zu sein.
Ein Virtuose im Umgang und darum auch ein geborener Feldherr war der
doch wahrlich wenig schulgebildcte Blücher. Der Aristokrat verkörpert das
ursprüngliche, elastische, aktive, in sich abgeschlossene Element der Gesell¬
schaft, das weder drangt, noch sich drängen läßt, und das der Grundlage eines
Baues vergleichbar ist. Gerade ans den hier geschilderten Eigenschaften aber
beruht der kriegerische Geist der Armee und die Große des Feldherrn. Sie
sind die Grundeigenschaften derselben.

Dem Aristokraten gegenüber steht der Bürger als Vertreter einer empor¬
strebenden Gesellschaftsklasse, die, durchschnittlich in kleineren, wenigstens ein¬
fachern Verhältnissen lebend, sich als den Träger der Arbeit, der Kunst und
der Wissenschaft ansieht. Es wäre nicht schwer, zu beweisen, daß Strebsam¬
keit, die gezwungen ist, sich allen Lebenslagen anzupassen und Wissenschaft,
sofern sie als Zweck lind nicht als Mittel behandelt wird, die Freiheit des
Ganges beschränkt. Nur wenigen ist es gegönnt, die Wissenschaft so zu
bebeherrscheu, daß sie die Sicherheit des Handelns nie beeinträchtigt,
sondern stärkt und kräftigt. Mag aber der Bürgerliche oft kleinlich und
Pedantisch sein, mag er sich das Ziel oft nicht hoch genug stecken, er ist
dafür strebsam, arbeitsam, genügsam, bescheiden, pflichttreu und weniger
mit Vorurteilen behaftet. Er bringt dem Heere das andre Element ein:
stetige, planvolle, geduldige Arbeit, die sich nicht irre machen läßt und


Gegensätze enthalten. Aber diese Gegensätze, mögen sie sich auch aus
den sozialen Unterschieden entwickelt haben, können im Heere doch mir
ethischer Natur sein. Und wo sie es nicht sind, müssen sie bekämpft
werden, Sie entwickeln sich naturgemäß aus der doppelten Aufgabe des
Heeres: sich neben der friedlichen Arbeit die Kriegstüchtigkeit, deu kriegerischen
Geist zu bewahren.

Wie der menschliche Charakter ans verschiednen Elementen zusammen¬
gesetzt ist, keiner aber alle zugleich enthält, so auch der der Gesellschaft. Die
einzelnen Klassen verkörpern bald mehr, bald weniger bestimmte, aus
gemeinsamen Interessen und Lebensbeziehungen erwachsene Eigenschaften.
Frische, Lebendigkeit, Selbstbewußsein, sorglose Kühnheit und Entschlossen¬
heit, das sind die Eigenschaften des aristokratischen Charakters. Diese wirken
zusammen in dem festen, bestimmten, sich stets gleichbleibenden Willen und
in der stolze», instinktiven Sicherheit des Handelns. Weiter beruht die
Überlegenheit des Aristokraten auch auf dem Zauber der Persönlichkeit.
Die guten Formen einer vornehmen Erziehung geben dabei gleichsam nur
die Schale ab, die den trefflichen Kern durchblicken läßt. Der echte Aristo¬
krat zeigt sich nicht etwa in der stolzen, unnahbaren Exklusivität, sondern
vielmehr in der Leutseligkeit des Umganges, die den scharfen Blick, den
feinen Takt und die innere, allen Lebenslagen gewachsene Sicherheit verrät.
Um mit Menschen umgehen zu können, braucht man kein Gelehrter zu sein.
Ein Virtuose im Umgang und darum auch ein geborener Feldherr war der
doch wahrlich wenig schulgebildcte Blücher. Der Aristokrat verkörpert das
ursprüngliche, elastische, aktive, in sich abgeschlossene Element der Gesell¬
schaft, das weder drangt, noch sich drängen läßt, und das der Grundlage eines
Baues vergleichbar ist. Gerade ans den hier geschilderten Eigenschaften aber
beruht der kriegerische Geist der Armee und die Große des Feldherrn. Sie
sind die Grundeigenschaften derselben.

Dem Aristokraten gegenüber steht der Bürger als Vertreter einer empor¬
strebenden Gesellschaftsklasse, die, durchschnittlich in kleineren, wenigstens ein¬
fachern Verhältnissen lebend, sich als den Träger der Arbeit, der Kunst und
der Wissenschaft ansieht. Es wäre nicht schwer, zu beweisen, daß Strebsam¬
keit, die gezwungen ist, sich allen Lebenslagen anzupassen und Wissenschaft,
sofern sie als Zweck lind nicht als Mittel behandelt wird, die Freiheit des
Ganges beschränkt. Nur wenigen ist es gegönnt, die Wissenschaft so zu
bebeherrscheu, daß sie die Sicherheit des Handelns nie beeinträchtigt,
sondern stärkt und kräftigt. Mag aber der Bürgerliche oft kleinlich und
Pedantisch sein, mag er sich das Ziel oft nicht hoch genug stecken, er ist
dafür strebsam, arbeitsam, genügsam, bescheiden, pflichttreu und weniger
mit Vorurteilen behaftet. Er bringt dem Heere das andre Element ein:
stetige, planvolle, geduldige Arbeit, die sich nicht irre machen läßt und


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[0363] Gegensätze enthalten. Aber diese Gegensätze, mögen sie sich auch aus den sozialen Unterschieden entwickelt haben, können im Heere doch mir ethischer Natur sein. Und wo sie es nicht sind, müssen sie bekämpft werden, Sie entwickeln sich naturgemäß aus der doppelten Aufgabe des Heeres: sich neben der friedlichen Arbeit die Kriegstüchtigkeit, deu kriegerischen Geist zu bewahren. Wie der menschliche Charakter ans verschiednen Elementen zusammen¬ gesetzt ist, keiner aber alle zugleich enthält, so auch der der Gesellschaft. Die einzelnen Klassen verkörpern bald mehr, bald weniger bestimmte, aus gemeinsamen Interessen und Lebensbeziehungen erwachsene Eigenschaften. Frische, Lebendigkeit, Selbstbewußsein, sorglose Kühnheit und Entschlossen¬ heit, das sind die Eigenschaften des aristokratischen Charakters. Diese wirken zusammen in dem festen, bestimmten, sich stets gleichbleibenden Willen und in der stolze», instinktiven Sicherheit des Handelns. Weiter beruht die Überlegenheit des Aristokraten auch auf dem Zauber der Persönlichkeit. Die guten Formen einer vornehmen Erziehung geben dabei gleichsam nur die Schale ab, die den trefflichen Kern durchblicken läßt. Der echte Aristo¬ krat zeigt sich nicht etwa in der stolzen, unnahbaren Exklusivität, sondern vielmehr in der Leutseligkeit des Umganges, die den scharfen Blick, den feinen Takt und die innere, allen Lebenslagen gewachsene Sicherheit verrät. Um mit Menschen umgehen zu können, braucht man kein Gelehrter zu sein. Ein Virtuose im Umgang und darum auch ein geborener Feldherr war der doch wahrlich wenig schulgebildcte Blücher. Der Aristokrat verkörpert das ursprüngliche, elastische, aktive, in sich abgeschlossene Element der Gesell¬ schaft, das weder drangt, noch sich drängen läßt, und das der Grundlage eines Baues vergleichbar ist. Gerade ans den hier geschilderten Eigenschaften aber beruht der kriegerische Geist der Armee und die Große des Feldherrn. Sie sind die Grundeigenschaften derselben. Dem Aristokraten gegenüber steht der Bürger als Vertreter einer empor¬ strebenden Gesellschaftsklasse, die, durchschnittlich in kleineren, wenigstens ein¬ fachern Verhältnissen lebend, sich als den Träger der Arbeit, der Kunst und der Wissenschaft ansieht. Es wäre nicht schwer, zu beweisen, daß Strebsam¬ keit, die gezwungen ist, sich allen Lebenslagen anzupassen und Wissenschaft, sofern sie als Zweck lind nicht als Mittel behandelt wird, die Freiheit des Ganges beschränkt. Nur wenigen ist es gegönnt, die Wissenschaft so zu bebeherrscheu, daß sie die Sicherheit des Handelns nie beeinträchtigt, sondern stärkt und kräftigt. Mag aber der Bürgerliche oft kleinlich und Pedantisch sein, mag er sich das Ziel oft nicht hoch genug stecken, er ist dafür strebsam, arbeitsam, genügsam, bescheiden, pflichttreu und weniger mit Vorurteilen behaftet. Er bringt dem Heere das andre Element ein: stetige, planvolle, geduldige Arbeit, die sich nicht irre machen läßt und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/363>, abgerufen am 05.02.2025.