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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Adel und Bürgertum im deutschen Heere

in den Händen bürgerlicher Offiziere sind. Von einem Antagonismus beider
Elemente kann nicht die Rede sein: beide üben auf einander eine gedeihliche
Wechselwirkung aus. Der bürgerliche Offizier ist genötigt, sich die Denkungsart
und die Umgangsformen anzueignen, die durch das adliche Offizierkorps
Friedrichs des Großen und früherer Regenten in die Armee eingeführt worden
sind. Dadurch, daß jeder der beiden Teile die Vorzüge des ander" sich
aneignet, wird die Ausgleichung zwischen beide" beschleunigt werden. Die<'
etwa der Inhalt des besagten Aufsatzes.

Der Verfasser geht davon aus, daß im Heere Friedrichs des Großen das
adliche Element ausschließlich vorgeherrscht habe. Der große König traute den
Bürgerlichen nicht die unbedingte, rückhaltlose, todesmutige Ergebung für die
Person des obersten Kriegsherrn zu. Das ist vollkommen richtig; aber daß
dies so war, ist für den großen König im hohen Grade charakteristisch, denn
die Verdrängung des bürgerlichen Elements aus der preußischen Armee ist erst
durch ihn durchgeführt worden und lag nicht in der Konsequenz der frühern
Entwicklung des Heeres. Dem Verfasser wird diese Thatsache ohne Zweifel uicht
unbekannt sein; sie ist aber von so allgemeinem Interesse und dient so sehr zur
Beleuchtung der ganze" Zeit von Roßbach bis Jena sowie zur objektiven Be¬
urteilung des ganzen Themas, daß es zweckmüßig erscheint, sie an dieser Stelle
eingehend zu betrachten. Max Lehman" hat i" seinem vortrefflichen Buche
über Schnrnhvrst das Verhältnis von Adliche" und Bürgerlichen ausführlich
besprochen. Mit dem Verfall des Ritter- und Lehnswcsens war der Nieder¬
gang der militärische" Tüchtigkeit und des kriegerischen Geistes des Adels Hand
in Hand gegangen. Die Kurfürsten der Mark klagten, daß der Adel lieber
den Wagen als das Pferd besteige. Im sechzeh"te" Jahrhundert wurden die
Kriege durch geworbene Soldheere geführt, die, wenn auch die höchsten Führerstelleu
vom Adel besetzt waren, durchaus bäuerlicher und bürgerlicher Natur waren.
Der große Kurfürst sah ein, daß auf den Adel infolge seines Lehnsverhältnisses
nicht mehr zu rechnen sei. Als er im Jahre 1663 Wege" der Türkengefahr
ein Aufgebot der Ritterschaft erließ und diese zum großen Teile sich uuter
mancherlei Vorwälide" ihrer Verpflichtung zu entziehe" suchte, ließ er die
Ablösung des Dienstes für jedes Ritterpferd gegen Entrichtung von 40 Thalern
nach. Unter solche" Unistände" konnte er schwerlich den,. Adel allein das
zu de" Vorrecht Führerstelle" des Heeres zugestehe". Nach dein Bericht
der Militärrevrgaiusativnskvniinission vom 25. September 1^07 (vergl. Leh-
mann, Scharnhorst Band II, Seite 644) bestand die Hälfte seiner Offiziere
ans Unadlichen. Darüber mögen nun indeß Zweifel bestehen, da es in
Folge der Ungenauigkeit der Listen jeuer Zeit sehr schwer ist, zu einem
sichern Ergebnis zu gelangen. Jedenfalls war der Feldmarschall Derfflinger
keine Ausnahme. Unter ihm kämpften bei Fehrbellin der Generalmajor
Lütke und der spätere Generalmajor Hennigs (von Treffenfeld), beides


Adel und Bürgertum im deutschen Heere

in den Händen bürgerlicher Offiziere sind. Von einem Antagonismus beider
Elemente kann nicht die Rede sein: beide üben auf einander eine gedeihliche
Wechselwirkung aus. Der bürgerliche Offizier ist genötigt, sich die Denkungsart
und die Umgangsformen anzueignen, die durch das adliche Offizierkorps
Friedrichs des Großen und früherer Regenten in die Armee eingeführt worden
sind. Dadurch, daß jeder der beiden Teile die Vorzüge des ander» sich
aneignet, wird die Ausgleichung zwischen beide» beschleunigt werden. Die<'
etwa der Inhalt des besagten Aufsatzes.

Der Verfasser geht davon aus, daß im Heere Friedrichs des Großen das
adliche Element ausschließlich vorgeherrscht habe. Der große König traute den
Bürgerlichen nicht die unbedingte, rückhaltlose, todesmutige Ergebung für die
Person des obersten Kriegsherrn zu. Das ist vollkommen richtig; aber daß
dies so war, ist für den großen König im hohen Grade charakteristisch, denn
die Verdrängung des bürgerlichen Elements aus der preußischen Armee ist erst
durch ihn durchgeführt worden und lag nicht in der Konsequenz der frühern
Entwicklung des Heeres. Dem Verfasser wird diese Thatsache ohne Zweifel uicht
unbekannt sein; sie ist aber von so allgemeinem Interesse und dient so sehr zur
Beleuchtung der ganze» Zeit von Roßbach bis Jena sowie zur objektiven Be¬
urteilung des ganzen Themas, daß es zweckmüßig erscheint, sie an dieser Stelle
eingehend zu betrachten. Max Lehman» hat i» seinem vortrefflichen Buche
über Schnrnhvrst das Verhältnis von Adliche» und Bürgerlichen ausführlich
besprochen. Mit dem Verfall des Ritter- und Lehnswcsens war der Nieder¬
gang der militärische» Tüchtigkeit und des kriegerischen Geistes des Adels Hand
in Hand gegangen. Die Kurfürsten der Mark klagten, daß der Adel lieber
den Wagen als das Pferd besteige. Im sechzeh»te» Jahrhundert wurden die
Kriege durch geworbene Soldheere geführt, die, wenn auch die höchsten Führerstelleu
vom Adel besetzt waren, durchaus bäuerlicher und bürgerlicher Natur waren.
Der große Kurfürst sah ein, daß auf den Adel infolge seines Lehnsverhältnisses
nicht mehr zu rechnen sei. Als er im Jahre 1663 Wege» der Türkengefahr
ein Aufgebot der Ritterschaft erließ und diese zum großen Teile sich uuter
mancherlei Vorwälide» ihrer Verpflichtung zu entziehe» suchte, ließ er die
Ablösung des Dienstes für jedes Ritterpferd gegen Entrichtung von 40 Thalern
nach. Unter solche» Unistände» konnte er schwerlich den,. Adel allein das
zu de» Vorrecht Führerstelle» des Heeres zugestehe». Nach dein Bericht
der Militärrevrgaiusativnskvniinission vom 25. September 1^07 (vergl. Leh-
mann, Scharnhorst Band II, Seite 644) bestand die Hälfte seiner Offiziere
ans Unadlichen. Darüber mögen nun indeß Zweifel bestehen, da es in
Folge der Ungenauigkeit der Listen jeuer Zeit sehr schwer ist, zu einem
sichern Ergebnis zu gelangen. Jedenfalls war der Feldmarschall Derfflinger
keine Ausnahme. Unter ihm kämpften bei Fehrbellin der Generalmajor
Lütke und der spätere Generalmajor Hennigs (von Treffenfeld), beides


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[0359] Adel und Bürgertum im deutschen Heere in den Händen bürgerlicher Offiziere sind. Von einem Antagonismus beider Elemente kann nicht die Rede sein: beide üben auf einander eine gedeihliche Wechselwirkung aus. Der bürgerliche Offizier ist genötigt, sich die Denkungsart und die Umgangsformen anzueignen, die durch das adliche Offizierkorps Friedrichs des Großen und früherer Regenten in die Armee eingeführt worden sind. Dadurch, daß jeder der beiden Teile die Vorzüge des ander» sich aneignet, wird die Ausgleichung zwischen beide» beschleunigt werden. Die<' etwa der Inhalt des besagten Aufsatzes. Der Verfasser geht davon aus, daß im Heere Friedrichs des Großen das adliche Element ausschließlich vorgeherrscht habe. Der große König traute den Bürgerlichen nicht die unbedingte, rückhaltlose, todesmutige Ergebung für die Person des obersten Kriegsherrn zu. Das ist vollkommen richtig; aber daß dies so war, ist für den großen König im hohen Grade charakteristisch, denn die Verdrängung des bürgerlichen Elements aus der preußischen Armee ist erst durch ihn durchgeführt worden und lag nicht in der Konsequenz der frühern Entwicklung des Heeres. Dem Verfasser wird diese Thatsache ohne Zweifel uicht unbekannt sein; sie ist aber von so allgemeinem Interesse und dient so sehr zur Beleuchtung der ganze» Zeit von Roßbach bis Jena sowie zur objektiven Be¬ urteilung des ganzen Themas, daß es zweckmüßig erscheint, sie an dieser Stelle eingehend zu betrachten. Max Lehman» hat i» seinem vortrefflichen Buche über Schnrnhvrst das Verhältnis von Adliche» und Bürgerlichen ausführlich besprochen. Mit dem Verfall des Ritter- und Lehnswcsens war der Nieder¬ gang der militärische» Tüchtigkeit und des kriegerischen Geistes des Adels Hand in Hand gegangen. Die Kurfürsten der Mark klagten, daß der Adel lieber den Wagen als das Pferd besteige. Im sechzeh»te» Jahrhundert wurden die Kriege durch geworbene Soldheere geführt, die, wenn auch die höchsten Führerstelleu vom Adel besetzt waren, durchaus bäuerlicher und bürgerlicher Natur waren. Der große Kurfürst sah ein, daß auf den Adel infolge seines Lehnsverhältnisses nicht mehr zu rechnen sei. Als er im Jahre 1663 Wege» der Türkengefahr ein Aufgebot der Ritterschaft erließ und diese zum großen Teile sich uuter mancherlei Vorwälide» ihrer Verpflichtung zu entziehe» suchte, ließ er die Ablösung des Dienstes für jedes Ritterpferd gegen Entrichtung von 40 Thalern nach. Unter solche» Unistände» konnte er schwerlich den,. Adel allein das zu de» Vorrecht Führerstelle» des Heeres zugestehe». Nach dein Bericht der Militärrevrgaiusativnskvniinission vom 25. September 1^07 (vergl. Leh- mann, Scharnhorst Band II, Seite 644) bestand die Hälfte seiner Offiziere ans Unadlichen. Darüber mögen nun indeß Zweifel bestehen, da es in Folge der Ungenauigkeit der Listen jeuer Zeit sehr schwer ist, zu einem sichern Ergebnis zu gelangen. Jedenfalls war der Feldmarschall Derfflinger keine Ausnahme. Unter ihm kämpften bei Fehrbellin der Generalmajor Lütke und der spätere Generalmajor Hennigs (von Treffenfeld), beides

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/359>, abgerufen am 05.02.2025.