Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Religion in einem einigermaßen erheblichen Umfange, Würde sich unser Staat Donald Aeßler Religion in einem einigermaßen erheblichen Umfange, Würde sich unser Staat Donald Aeßler <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0357" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205088"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_981" prev="#ID_980"> Religion in einem einigermaßen erheblichen Umfange, Würde sich unser Staat<lb/> den Lehren von der Zulässigkeit der Vielweiberei und vieler andern mit jener<lb/> Glaubenslehre in unmittelbarem Zusammenhange stehenden Anschauungen an¬<lb/> bequemen können? Es läßt sich eben die Thatsache nicht aus der Welt schaffen,<lb/> daß Staat und Kirche, die beide von verschiedenen Seiten an der Ausgestaltung<lb/> der Pflichtenlehre schassen, auch auf einander mit ihren Einrichtungen und<lb/> Lehren angewiesen sind, und daß daher notwendigerweise von dem einen Teile<lb/> Gegenmaßregeln ergriffen werden müssen, wenn der andre Teil sich allzu sehr<lb/> mit ihm in Widerspruch setzt. Bei diesem Streite aber wird zuletzt die<lb/> Meinung als die letzte auf dem Kampfplatze bleiben, die auch für den anfänglich<lb/> widerstrebenden Teil die heilsamste und ersprießlichste ist. Wir können es uns<lb/> daher gar nicht verhehlen, daß in den Kulturkainpfgesetzen die Reformation<lb/> Luthers einen Streit mit dem römisch-katholischen Papsttum führt, indem<lb/> Preußen in ganz vorzüglichem Maße zu dem, was es ist, durch die reformato¬<lb/> rischen Ideen Luthers angetrieben worden ist. Wir erkennen diesen Zug un¬<lb/> zweifelhaft in dem Verbote der Klöster, in der Zulassung der Wahl katholischer<lb/> Priester durch die Kirchengemeinde, in der Beschränkung des Umfanges der<lb/> kirchlichen Straf- und Zuchtmittel. Freilich gingen die Gefetze vielfach über<lb/> ihr berechtigtes Ziel hinaus, das darin bestand, die kirchlichen Einrichtungen<lb/> zu beseitigen, welche der als richtig und gut erkannten weitern Ausbildung<lb/> der Pflichtenlehre durch den Staat entgegenstanden. Die gesetzlichen Bestim¬<lb/> mungen, die über dieses Ziel hinausgingen, haben wieder fallen müssen. Aber<lb/> es ist genug von ihnen übrig geblieben, um zu sagen: nicht der Staat hat über<lb/> die Kirche im Kulturkampfe eiuen Sieg errungen, noch auch umgekehrt; sondern die<lb/> Ideen der Reformation, die durch einen Erfolg ihrer Arbeit, nämlich die Mithilfe an<lb/> der Ausbildung des preußischem Staates, ihre überlegene Kraft bewiesen haben,<lb/> sind wieder einmal, wie so oft schon früher, dein Gedanken päpstlicher Welt¬<lb/> herrschaft gegenüber siegreich geblieben. Den Männern, denen die Obhut der<lb/> evangelischen Kirche anvertraut ist, und allen, die sonst diesem Glauben an¬<lb/> hängen, liegt es ob, diesen Anstoß auch auf ihrem Gebiete fortwirke» zu lassen<lb/> und von neuem zu zeigen, daß der evangelische Glaube, sich stets verjüngend,<lb/> noch die gleiche Kraft hat, wie in den Zeiten Luthers.</p><lb/> <note type="byline"> Donald Aeßler</note><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0357]
Religion in einem einigermaßen erheblichen Umfange, Würde sich unser Staat
den Lehren von der Zulässigkeit der Vielweiberei und vieler andern mit jener
Glaubenslehre in unmittelbarem Zusammenhange stehenden Anschauungen an¬
bequemen können? Es läßt sich eben die Thatsache nicht aus der Welt schaffen,
daß Staat und Kirche, die beide von verschiedenen Seiten an der Ausgestaltung
der Pflichtenlehre schassen, auch auf einander mit ihren Einrichtungen und
Lehren angewiesen sind, und daß daher notwendigerweise von dem einen Teile
Gegenmaßregeln ergriffen werden müssen, wenn der andre Teil sich allzu sehr
mit ihm in Widerspruch setzt. Bei diesem Streite aber wird zuletzt die
Meinung als die letzte auf dem Kampfplatze bleiben, die auch für den anfänglich
widerstrebenden Teil die heilsamste und ersprießlichste ist. Wir können es uns
daher gar nicht verhehlen, daß in den Kulturkainpfgesetzen die Reformation
Luthers einen Streit mit dem römisch-katholischen Papsttum führt, indem
Preußen in ganz vorzüglichem Maße zu dem, was es ist, durch die reformato¬
rischen Ideen Luthers angetrieben worden ist. Wir erkennen diesen Zug un¬
zweifelhaft in dem Verbote der Klöster, in der Zulassung der Wahl katholischer
Priester durch die Kirchengemeinde, in der Beschränkung des Umfanges der
kirchlichen Straf- und Zuchtmittel. Freilich gingen die Gefetze vielfach über
ihr berechtigtes Ziel hinaus, das darin bestand, die kirchlichen Einrichtungen
zu beseitigen, welche der als richtig und gut erkannten weitern Ausbildung
der Pflichtenlehre durch den Staat entgegenstanden. Die gesetzlichen Bestim¬
mungen, die über dieses Ziel hinausgingen, haben wieder fallen müssen. Aber
es ist genug von ihnen übrig geblieben, um zu sagen: nicht der Staat hat über
die Kirche im Kulturkampfe eiuen Sieg errungen, noch auch umgekehrt; sondern die
Ideen der Reformation, die durch einen Erfolg ihrer Arbeit, nämlich die Mithilfe an
der Ausbildung des preußischem Staates, ihre überlegene Kraft bewiesen haben,
sind wieder einmal, wie so oft schon früher, dein Gedanken päpstlicher Welt¬
herrschaft gegenüber siegreich geblieben. Den Männern, denen die Obhut der
evangelischen Kirche anvertraut ist, und allen, die sonst diesem Glauben an¬
hängen, liegt es ob, diesen Anstoß auch auf ihrem Gebiete fortwirke» zu lassen
und von neuem zu zeigen, daß der evangelische Glaube, sich stets verjüngend,
noch die gleiche Kraft hat, wie in den Zeiten Luthers.
Donald Aeßler
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