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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Ordnung kommt ganz leise mich der Wunsch zum Ausdrucks die evangelischen
Kirchen Deutschlands zu einigen, gleichwie seine Staaten nunmehr im deutschen
Reiche geeinigt sind; die Übereinanderstellung der Behörden ist ähnlich wie
beim Staate. Die Organisation der katholischen Kirche ist eine Nachahmung
der staatlichen Organisation des römischen Kaiserreichs. Aus sich selbst sind
die kirchlichen Einrichtungen einer Fortbildung nicht fähig, und schließen sie
sich nicht dem Fortgange der staatlichen Entwicklung an, so gewinnen sie
allmählich das Aussehen einer Versteinerung. Kirchliche Behörden können
daher staatliche Geschäfte auf längere Zeit nur dann führen, wenn sie geradezu
staatliche Behörden werden, eher schon können die äußern Angelegenheiten der
Kirche von staatlichen Behörden besorgt werden, aber selbstverständlich niemals
der Teil der kirchlichen Geschäfte, der die Einwirkung auf das Gebetsleben
des einzelnen bezweckt. Mit diesen? steht das kirchliche Strafsystem im innigsten
Zusammenhange. In der Gestaltung der Kirchenstrnfen dürfte sich daher die
Kirche weit weniger als Nachahmerin staatlicher Einrichtungen zeigen, als es
namentlich diejenige Kirche thut, die meint, sie sei die kirchlichste von allen.
Denn die Verletzung von Glanbenspflichten ist vornehmlich da zu strafen, wo
sie befohlen sind, nämlich im Gewissen des einzelnen. Die öffentliche kirchliche
Strafe kann daneben nur eine Hilfsstellung einnehmen und, den Zweck der
Kirche schlitzend, namentlich verhindern wollen, daß der schädigende Einfluß
der Verletzung von Glanbenspflichten durch ein Kirchenmitglied sich auch auf
andre erstrecke. Bei der Begründung der kirchlichen Strafe kommt es daher
vor allem auf das Ärgernis an, das die zu bestrafende Handlung verursacht
hat, auf Reue und Besserung; alles dies ist bei der staatlichen Strafe von
viel geringerer Bedeutung.

Wir könnten diese unsre Betrachtung ohne Schwierigkeiten noch weiter
ausdehnen und beispielsweise darlegen, welches die heutige Auffassung eines
großen und wichtigen Teiles des deutschen Volkes über die notwendige Ver¬
bindung zwischen Offenbarung und Glauben und die gegenseitige Unterstützung
ist, die eins an dein andern findet. Wir haben aber für unsern Zweck bereits
genügendes Material gesammelt. Wir wollten zeigen, daß wichtige Fragen
der innern Kirchenthätigkeit lind des Einzelglaubeus in ihren weitern Folge¬
rungen auch Einfluß gewinnen müssen auf die Gesetze, die der Staat über
sein Verhältnis zu den Kirchen seines Gebietes zu geben in der Lage ist, und
daß dieser Einfluß eben in den Gesetzen, die während des preußischen soge¬
nannten Kulturkampfes entstanden sind, nicht zu verkennen ist. Nur eine den
wirklichen Verhältnissen gänzlich abgewendete Einbildung kann gegenüber den
Lehren, die aus diesen Gesetzen zu ziehen sind, behaupten, es könne der Staat
jedes Bekenntnis und jede Glaubenslehre, welche es auch sei, dulden und seinen
eignen Einrichtungen unbeschadet ertragen. Man braucht sich uur einmal
vorzustellen, es bestehe im Gebiete des deutschen Reiches die mohammedanische


Ordnung kommt ganz leise mich der Wunsch zum Ausdrucks die evangelischen
Kirchen Deutschlands zu einigen, gleichwie seine Staaten nunmehr im deutschen
Reiche geeinigt sind; die Übereinanderstellung der Behörden ist ähnlich wie
beim Staate. Die Organisation der katholischen Kirche ist eine Nachahmung
der staatlichen Organisation des römischen Kaiserreichs. Aus sich selbst sind
die kirchlichen Einrichtungen einer Fortbildung nicht fähig, und schließen sie
sich nicht dem Fortgange der staatlichen Entwicklung an, so gewinnen sie
allmählich das Aussehen einer Versteinerung. Kirchliche Behörden können
daher staatliche Geschäfte auf längere Zeit nur dann führen, wenn sie geradezu
staatliche Behörden werden, eher schon können die äußern Angelegenheiten der
Kirche von staatlichen Behörden besorgt werden, aber selbstverständlich niemals
der Teil der kirchlichen Geschäfte, der die Einwirkung auf das Gebetsleben
des einzelnen bezweckt. Mit diesen? steht das kirchliche Strafsystem im innigsten
Zusammenhange. In der Gestaltung der Kirchenstrnfen dürfte sich daher die
Kirche weit weniger als Nachahmerin staatlicher Einrichtungen zeigen, als es
namentlich diejenige Kirche thut, die meint, sie sei die kirchlichste von allen.
Denn die Verletzung von Glanbenspflichten ist vornehmlich da zu strafen, wo
sie befohlen sind, nämlich im Gewissen des einzelnen. Die öffentliche kirchliche
Strafe kann daneben nur eine Hilfsstellung einnehmen und, den Zweck der
Kirche schlitzend, namentlich verhindern wollen, daß der schädigende Einfluß
der Verletzung von Glanbenspflichten durch ein Kirchenmitglied sich auch auf
andre erstrecke. Bei der Begründung der kirchlichen Strafe kommt es daher
vor allem auf das Ärgernis an, das die zu bestrafende Handlung verursacht
hat, auf Reue und Besserung; alles dies ist bei der staatlichen Strafe von
viel geringerer Bedeutung.

Wir könnten diese unsre Betrachtung ohne Schwierigkeiten noch weiter
ausdehnen und beispielsweise darlegen, welches die heutige Auffassung eines
großen und wichtigen Teiles des deutschen Volkes über die notwendige Ver¬
bindung zwischen Offenbarung und Glauben und die gegenseitige Unterstützung
ist, die eins an dein andern findet. Wir haben aber für unsern Zweck bereits
genügendes Material gesammelt. Wir wollten zeigen, daß wichtige Fragen
der innern Kirchenthätigkeit lind des Einzelglaubeus in ihren weitern Folge¬
rungen auch Einfluß gewinnen müssen auf die Gesetze, die der Staat über
sein Verhältnis zu den Kirchen seines Gebietes zu geben in der Lage ist, und
daß dieser Einfluß eben in den Gesetzen, die während des preußischen soge¬
nannten Kulturkampfes entstanden sind, nicht zu verkennen ist. Nur eine den
wirklichen Verhältnissen gänzlich abgewendete Einbildung kann gegenüber den
Lehren, die aus diesen Gesetzen zu ziehen sind, behaupten, es könne der Staat
jedes Bekenntnis und jede Glaubenslehre, welche es auch sei, dulden und seinen
eignen Einrichtungen unbeschadet ertragen. Man braucht sich uur einmal
vorzustellen, es bestehe im Gebiete des deutschen Reiches die mohammedanische


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/356>, abgerufen am 05.02.2025.