Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Sitte stehen, wird in keinem Volke die Bestrebung fehle!:, sich auch zu Es ergiebt sich hieraus der Unterschied zwischen der Bedeutung der kirch¬ Sitte stehen, wird in keinem Volke die Bestrebung fehle!:, sich auch zu Es ergiebt sich hieraus der Unterschied zwischen der Bedeutung der kirch¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0355" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205086"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_977" prev="#ID_976"> Sitte stehen, wird in keinem Volke die Bestrebung fehle!:, sich auch zu<lb/> einem Staate und zu einer Kirche zu vereinigen. Aber gleich wie die Zuge¬<lb/> hörigkeit zu einem Staate nicht durchaus von der Gleichartigkeit der Sprache<lb/> abhängig ist, sondern es genügt, wenn hinreichender gemeinsamer Stoss zur<lb/> Rechtsbildung vorhanden ist, ebenso können auch sehr wohl mehrere Völker und<lb/> Staaten zu einer Kirche vereinigt sein, wenn nur die sonstigen Berührungs-<lb/> stellen hinreichend zahlreich sind. Ebenso können sich in einem Staate oder<lb/> Volke mehrere Kirchen und Religionsgesellschaften neben einander entwickeln;<lb/> aber es ist dabei deutlich, das; wesentliche Verschiedenheiten zwischen ihren<lb/> Glaubenslehren Reibungen ans staatlichem und gesellschaftlichen Gebiete zur<lb/> Folge haben müsse», wie deun auf dieser Grundlage die gesellschaftliche Gegner¬<lb/> schaft gegen die Juden erwachsen ist. Die Verschiedenheit des Glaubens, der<lb/> darauf beruhenden Pflichtenlehre und der hierauf beruhenden Pflichtenansiibuug<lb/> und Handlungsweise ist der Grund dieser Vorgänge, die also mindestens<lb/> erklärlich sind. Man ist daher durchaus berechtigt, den jüdischen Glauben<lb/> zu bekämpfen, wenn man ihn für irrig hält. Denn nicht darin besteht die<lb/> wahre Duldsamkeit, daß mau es für nebensächlich und unerheblich erachtet,<lb/> was einer glaubt, und darin, daß man daher von dem Glanben grundsätzlich<lb/> niemals spricht, sondern darin, daß man dies nicht ohne bedeutende Ursache<lb/> thut, weil mau nur dann ein Recht hat, in das Genüssen des einzelnen einzu¬<lb/> dringen; es aber nnter allen Umständen zu unterlassen, ist ganz dasselbe, wie<lb/> ein Verbrechen nicht zu bestrafen.</p><lb/> <p xml:id="ID_978" next="#ID_979"> Es ergiebt sich hieraus der Unterschied zwischen der Bedeutung der kirch¬<lb/> lichen nud der staatlichen Einrichtungen. Die Gesetze und Einrichtungen des<lb/> Staates entstehen unmittelbar zu denn Zwecke der staatlichen Pflichterfüllung;<lb/> ihre Notwendigkeit leitet sich ans diesem Zweck ab. Anders bei der Kirche,<lb/> wo mau zwischen »»sichtbarer u»d sichtbarer Kirche unterscheidet, während<lb/> beim Staate eine entsprechende Unterscheidung nicht besteht. Bei den Glanbens-<lb/> pflichte» ist das Gewissen des einzelnen die Hauptsache, die Einrichtungen der<lb/> Gesamtheit der Gläubigen, die Kircheueinrichtungen, dienen mir zur Unter-<lb/> stützinig des Gebetes. Die sichtbare Kirche ist Nebeiisache der »»sichtbaren;<lb/> ihre Äußere Erscheinung kann vorübergehend much wohl entbehrt werden, ohne<lb/> daß die Glaubenspflichten Schade» litte». Die staatlichem Pflichte» dagegen<lb/> fallen sogleich in sich zusammen, sobald die staatlichen Orgainsationen vergehen;<lb/> sie sind die Hauptsache und erwachsen aus dem in»ersten Wehe» des Staates;<lb/> bei der Kirche sind sie n»r äußerliche Werke ohne treibendes Lebe». Daher<lb/> rührt es, daß die staatlichen Gesetze und die staatliche Behördenorganisation<lb/> stets von den Kirche» nachgeahmt werden, niemals aber umgekehrt; so kann<lb/> man in der gegenwärtige» Kirchengesetzgebung der evangelischen Landeskirche<lb/> und der evangelischen Kirchen in den neuen Provinzen sogleich die Nachahmung<lb/> der staatlichen Selbstverwaltuugsgesetzgebmig erkennen; in der Generalshnodal-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0355]
Sitte stehen, wird in keinem Volke die Bestrebung fehle!:, sich auch zu
einem Staate und zu einer Kirche zu vereinigen. Aber gleich wie die Zuge¬
hörigkeit zu einem Staate nicht durchaus von der Gleichartigkeit der Sprache
abhängig ist, sondern es genügt, wenn hinreichender gemeinsamer Stoss zur
Rechtsbildung vorhanden ist, ebenso können auch sehr wohl mehrere Völker und
Staaten zu einer Kirche vereinigt sein, wenn nur die sonstigen Berührungs-
stellen hinreichend zahlreich sind. Ebenso können sich in einem Staate oder
Volke mehrere Kirchen und Religionsgesellschaften neben einander entwickeln;
aber es ist dabei deutlich, das; wesentliche Verschiedenheiten zwischen ihren
Glaubenslehren Reibungen ans staatlichem und gesellschaftlichen Gebiete zur
Folge haben müsse», wie deun auf dieser Grundlage die gesellschaftliche Gegner¬
schaft gegen die Juden erwachsen ist. Die Verschiedenheit des Glaubens, der
darauf beruhenden Pflichtenlehre und der hierauf beruhenden Pflichtenansiibuug
und Handlungsweise ist der Grund dieser Vorgänge, die also mindestens
erklärlich sind. Man ist daher durchaus berechtigt, den jüdischen Glauben
zu bekämpfen, wenn man ihn für irrig hält. Denn nicht darin besteht die
wahre Duldsamkeit, daß mau es für nebensächlich und unerheblich erachtet,
was einer glaubt, und darin, daß man daher von dem Glanben grundsätzlich
niemals spricht, sondern darin, daß man dies nicht ohne bedeutende Ursache
thut, weil mau nur dann ein Recht hat, in das Genüssen des einzelnen einzu¬
dringen; es aber nnter allen Umständen zu unterlassen, ist ganz dasselbe, wie
ein Verbrechen nicht zu bestrafen.
Es ergiebt sich hieraus der Unterschied zwischen der Bedeutung der kirch¬
lichen nud der staatlichen Einrichtungen. Die Gesetze und Einrichtungen des
Staates entstehen unmittelbar zu denn Zwecke der staatlichen Pflichterfüllung;
ihre Notwendigkeit leitet sich ans diesem Zweck ab. Anders bei der Kirche,
wo mau zwischen »»sichtbarer u»d sichtbarer Kirche unterscheidet, während
beim Staate eine entsprechende Unterscheidung nicht besteht. Bei den Glanbens-
pflichte» ist das Gewissen des einzelnen die Hauptsache, die Einrichtungen der
Gesamtheit der Gläubigen, die Kircheueinrichtungen, dienen mir zur Unter-
stützinig des Gebetes. Die sichtbare Kirche ist Nebeiisache der »»sichtbaren;
ihre Äußere Erscheinung kann vorübergehend much wohl entbehrt werden, ohne
daß die Glaubenspflichten Schade» litte». Die staatlichem Pflichte» dagegen
fallen sogleich in sich zusammen, sobald die staatlichen Orgainsationen vergehen;
sie sind die Hauptsache und erwachsen aus dem in»ersten Wehe» des Staates;
bei der Kirche sind sie n»r äußerliche Werke ohne treibendes Lebe». Daher
rührt es, daß die staatlichen Gesetze und die staatliche Behördenorganisation
stets von den Kirche» nachgeahmt werden, niemals aber umgekehrt; so kann
man in der gegenwärtige» Kirchengesetzgebung der evangelischen Landeskirche
und der evangelischen Kirchen in den neuen Provinzen sogleich die Nachahmung
der staatlichen Selbstverwaltuugsgesetzgebmig erkennen; in der Generalshnodal-
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