Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Das Lüde des preußischen Kulturkampfes gewöhnlichen Fähigkeiten verlangen, muß einem das Amt, in höherem Maße Es ist nicht notwendig, daß alle, die zu eiuer sichtbaren Kirche gehören Grenzboten II 1839 44
Das Lüde des preußischen Kulturkampfes gewöhnlichen Fähigkeiten verlangen, muß einem das Amt, in höherem Maße Es ist nicht notwendig, daß alle, die zu eiuer sichtbaren Kirche gehören Grenzboten II 1839 44
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0353" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205084"/> <fw type="header" place="top"> Das Lüde des preußischen Kulturkampfes</fw><lb/> <p xml:id="ID_972" prev="#ID_971"> gewöhnlichen Fähigkeiten verlangen, muß einem das Amt, in höherem Maße<lb/> Priester zu sein als die andern, übertragen sein, damit er die Gesamtheit durch<lb/> sich vorstelle und den Gottesdienst leite. Die trotzdem vorhandene Priesterschaft<lb/> aller Kirchenangehörigen kommt zum Ausdruck in dem gemeinsamen Gesang<lb/> der Gemeinde, in der thätigen Teilnahme um der Liturgie und endlich in der<lb/> für alle gleichmäßigen Feier des Abendmahles. In der Forderung des Kelches<lb/> auch für die Laien ist also vorbildlich und sinnbildlich die Priesterschaft für<lb/> alle gefordert. Gebet und gemeinsamen Gottesdienst kann niemand völlig ent¬<lb/> behren; meint er es, so übt er sicherlich unter andern abergläubischen Formen<lb/> etwas ähnliches aus.</p><lb/> <p xml:id="ID_973" next="#ID_974"> Es ist nicht notwendig, daß alle, die zu eiuer sichtbaren Kirche gehören<lb/> wollen, ganz dasselbe glauben, sondern es genügt, wenn ihr Glaube so weit<lb/> übereinstimmt, daß ein gemeinsamer Gottesdienst stattfinden kann. Gemeinsamer<lb/> Gottesdienst aber einigt den Glanben der einzelnen, und wenn er Jahre und<lb/> Jahrhunderte hindurch auf gleiche Weise geleitet wird, so erbt sich auch der¬<lb/> selbe Glaube von Geschlecht zu Geschlecht fort. Jedes Zeitalter fügt von seinen<lb/> höchsten Gedanken hinzu, und der Glaubensschatz wächst an. Das Alte um¬<lb/> kleidet sich allmählich mit dichterischem Beiwerk, das das Abgestorbene verdeckt<lb/> und das, was nicht mehr verständlich ist, dennoch traulich macht und den<lb/> Zeitgenossen nahe bringt. Aus diesen Gleichnissen und heiligen Geschichten<lb/> schöpfst der einzelne, was er für sein Leben braucht, und hält sie für fast ebenso<lb/> unantastbar wie seine eignen notwendigen Gedanken von Gott, Christus und<lb/> der Unsterblichkeit seiner Seele, an denen er nicht rütteln darf, wenn er zu<lb/> Gott beten will. Er wird umso unverbrüchlicher daran festhalten, je länger<lb/> er sich schon darin eingelebt hat, je älter er ist und je mehr er sich daher<lb/> mit Selbstverleugnung gemeinsamen Rücksichten unterwirft. Wer in die ehr¬<lb/> würdige Lehre aber erst gerade eingeweiht ist, der thut gern von seinen frischen<lb/> Gedanken hinzu; ihm ist das Gebet mehr als die sichtbare Kirche und der<lb/> eigne Glauben mehr als das gemeinsame Bekenntnis. Dies ist der heilsame<lb/> Gegensatz zwischen freiem Glauben und geschlossener Kirchenlehre, zwischen dem¬<lb/> jenigen Luther, der seinen feurigen Aufruf an den christlichen Adel deutscher<lb/> Nation ergehen ließ, und dein Luther, der die Kirchen Verfassung in Sachsen<lb/> schuf, der Gegensatz zwischen Alt und Jung, zwischen Geschichte und Gegen¬<lb/> wart; denn auch der Glaube und die Kirche sind menschliche Einrichtungen<lb/> und haben hierin nichts vor allen andern voraus. Aber man zerstört nichts<lb/> edles damit, wenn man dieser Ansicht ist. An Christus wird noch geglaubt<lb/> werden, wenn auch an die Wunder nicht mehr geglaubt wird. Die dichterische<lb/> Darstellung erhabener Wahrheiten ist heute eine andre als zu Zeiten der Römer;<lb/> aber jene großen Wahrheiten bestehen darum doch in anderm Gewände ewig<lb/> fort. An Christus würde geglaubt werdeu, auch wenn kein Buch von ihm<lb/> Kunde gäbe, denn jedem ist es notwendig, an ihn zu glauben, weil er sonst</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1839 44</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0353]
Das Lüde des preußischen Kulturkampfes
gewöhnlichen Fähigkeiten verlangen, muß einem das Amt, in höherem Maße
Priester zu sein als die andern, übertragen sein, damit er die Gesamtheit durch
sich vorstelle und den Gottesdienst leite. Die trotzdem vorhandene Priesterschaft
aller Kirchenangehörigen kommt zum Ausdruck in dem gemeinsamen Gesang
der Gemeinde, in der thätigen Teilnahme um der Liturgie und endlich in der
für alle gleichmäßigen Feier des Abendmahles. In der Forderung des Kelches
auch für die Laien ist also vorbildlich und sinnbildlich die Priesterschaft für
alle gefordert. Gebet und gemeinsamen Gottesdienst kann niemand völlig ent¬
behren; meint er es, so übt er sicherlich unter andern abergläubischen Formen
etwas ähnliches aus.
Es ist nicht notwendig, daß alle, die zu eiuer sichtbaren Kirche gehören
wollen, ganz dasselbe glauben, sondern es genügt, wenn ihr Glaube so weit
übereinstimmt, daß ein gemeinsamer Gottesdienst stattfinden kann. Gemeinsamer
Gottesdienst aber einigt den Glanben der einzelnen, und wenn er Jahre und
Jahrhunderte hindurch auf gleiche Weise geleitet wird, so erbt sich auch der¬
selbe Glaube von Geschlecht zu Geschlecht fort. Jedes Zeitalter fügt von seinen
höchsten Gedanken hinzu, und der Glaubensschatz wächst an. Das Alte um¬
kleidet sich allmählich mit dichterischem Beiwerk, das das Abgestorbene verdeckt
und das, was nicht mehr verständlich ist, dennoch traulich macht und den
Zeitgenossen nahe bringt. Aus diesen Gleichnissen und heiligen Geschichten
schöpfst der einzelne, was er für sein Leben braucht, und hält sie für fast ebenso
unantastbar wie seine eignen notwendigen Gedanken von Gott, Christus und
der Unsterblichkeit seiner Seele, an denen er nicht rütteln darf, wenn er zu
Gott beten will. Er wird umso unverbrüchlicher daran festhalten, je länger
er sich schon darin eingelebt hat, je älter er ist und je mehr er sich daher
mit Selbstverleugnung gemeinsamen Rücksichten unterwirft. Wer in die ehr¬
würdige Lehre aber erst gerade eingeweiht ist, der thut gern von seinen frischen
Gedanken hinzu; ihm ist das Gebet mehr als die sichtbare Kirche und der
eigne Glauben mehr als das gemeinsame Bekenntnis. Dies ist der heilsame
Gegensatz zwischen freiem Glauben und geschlossener Kirchenlehre, zwischen dem¬
jenigen Luther, der seinen feurigen Aufruf an den christlichen Adel deutscher
Nation ergehen ließ, und dein Luther, der die Kirchen Verfassung in Sachsen
schuf, der Gegensatz zwischen Alt und Jung, zwischen Geschichte und Gegen¬
wart; denn auch der Glaube und die Kirche sind menschliche Einrichtungen
und haben hierin nichts vor allen andern voraus. Aber man zerstört nichts
edles damit, wenn man dieser Ansicht ist. An Christus wird noch geglaubt
werden, wenn auch an die Wunder nicht mehr geglaubt wird. Die dichterische
Darstellung erhabener Wahrheiten ist heute eine andre als zu Zeiten der Römer;
aber jene großen Wahrheiten bestehen darum doch in anderm Gewände ewig
fort. An Christus würde geglaubt werdeu, auch wenn kein Buch von ihm
Kunde gäbe, denn jedem ist es notwendig, an ihn zu glauben, weil er sonst
Grenzboten II 1839 44
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