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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Zum zweiten österreichischen Katholikentage

zu sein. Was dn geredet und beschlossen wurde, das stand zum großen Teil in
einem so grellen Gegensatze zu den Empfindungen und Meinungen unsrer Zeit,
wie sie in allen Kreisen der Bevölkerung leben, daß mau dreist behaupten kann:
seit langem ist keine Kundgebung des römischen Kirchentums erfolgt, die ihm
unter gebildeten und mindergebildeten Katholiken so geschadet hätte, wie diese.
Nicht die Proteste gegen "die Folgen des Ereignisses vom 20. September 1870,
das dem Oberhaupt der Kirche das mehr als ein Jahrtausend alte Erbe des
Heiligen Vaters geraubt hat," nicht die Klagen über den "ungcsühnten Frevel,
der wie das Blut Abels gen Himmel schreit," nicht die Wünsche zur Wieder¬
herstellung der weltlichen Herrschaft des Papstes, denen ein sächsischer Major
(von Rochow) am kräftigsten Ausdruck gab, nicht diese haben wir dabei im Auge,
obwohl sie gewiß auch nicht dazu beigetragen haben, dein KVUholizismus neue
Anhänger zu gewinnen. Viel bedenklicher ist, daß sich dieser Katholizismus
den: modernen Staate so feindlich entgegenstellt und ihm einen Einfluß auf
sehr wichtige Gebiete des geistigen und sozialen Lebens gar nicht oder in nur
sehr beschränktem Maße gestatten will. Da sind es z. B. die Resolutionen
über die Schule, vor nlleu die von dem Kalksburger Jesuiten Professor?. Abel
vorgeschlagene nud dann angenommene Resolution über die Mittelschule, die
das größte Bedenken erregen müssen. "Da die Religion -- heißt es dort -- doch
die Grundlage der Familie, des Staates und der Wissenschaft, folglich anch
der Erziehung, des Patriotismus und der Bildung ist, so verlangen die ver¬
sammelten Katholiken Österreichs 1. im Prinzip, daß die Mittelschule ebeu so
gut wie die Volksschule eine konfessionelle sei; 2. in der Praxis zunächst,
u) daß der Staat der Errichtung konfessioneller Privat-Mittclschnlen, seien es
Gymnasien, Pädagogien, Real- oder Gewerbeschulen, nicht bloß nicht Schwierig¬
keiten entgegenstelle, sondern dieselbe geradezu begünstige, zumal der Staat
dadurch vielfach entlastet wird; b) in Bezug ans die bereits bestehenden Mittel¬
schulen aber 1. daß der Religionsunterricht an deu obern Klassen aller Real¬
schulen eingeführt und anch auf die den Mittelschulen gleichgestellten öffentlichen
Unterrichtsanstalten, namentlich ans die Gewerbeschulen, ausgedehnt werde;
2. daß im Interesse des Unterrichts nud der Erziehung bei Auswahl und
Anstellung der Lehrer und besonders der Leiter der Mittelschulen auf die
christlich-gläubige und die österreichisch-patriotische Gesinnung der Schüler und
Eltern die gelmhrende Rücksicht genommen werde; 3. daß durch die unter¬
geordnetem Unterrichtsbehörden bei Belassung, respektive Wiedereinführung
christlicher und katholischer Einrichtungen, wie z. B. Kruzifixe, Schulgebete,
Schulmesse, Empfang der Sakramente n. dergl., der überwiegenden Majorität
der katholischen Schüler und Eltern Rechnung getragen werde; 4. daß bei
Abfassung und Approbation der Lehr- und Lesebücher an Stelle der ängstlichen
Ausscheidung aller katholischen Anklänge die Ausscheidung alles Altchristlichen
und damit auch Unwissenschaftlichen trete; 5. daß das in der Schulgesetzgebung


Zum zweiten österreichischen Katholikentage

zu sein. Was dn geredet und beschlossen wurde, das stand zum großen Teil in
einem so grellen Gegensatze zu den Empfindungen und Meinungen unsrer Zeit,
wie sie in allen Kreisen der Bevölkerung leben, daß mau dreist behaupten kann:
seit langem ist keine Kundgebung des römischen Kirchentums erfolgt, die ihm
unter gebildeten und mindergebildeten Katholiken so geschadet hätte, wie diese.
Nicht die Proteste gegen „die Folgen des Ereignisses vom 20. September 1870,
das dem Oberhaupt der Kirche das mehr als ein Jahrtausend alte Erbe des
Heiligen Vaters geraubt hat," nicht die Klagen über den „ungcsühnten Frevel,
der wie das Blut Abels gen Himmel schreit," nicht die Wünsche zur Wieder¬
herstellung der weltlichen Herrschaft des Papstes, denen ein sächsischer Major
(von Rochow) am kräftigsten Ausdruck gab, nicht diese haben wir dabei im Auge,
obwohl sie gewiß auch nicht dazu beigetragen haben, dein KVUholizismus neue
Anhänger zu gewinnen. Viel bedenklicher ist, daß sich dieser Katholizismus
den: modernen Staate so feindlich entgegenstellt und ihm einen Einfluß auf
sehr wichtige Gebiete des geistigen und sozialen Lebens gar nicht oder in nur
sehr beschränktem Maße gestatten will. Da sind es z. B. die Resolutionen
über die Schule, vor nlleu die von dem Kalksburger Jesuiten Professor?. Abel
vorgeschlagene nud dann angenommene Resolution über die Mittelschule, die
das größte Bedenken erregen müssen. „Da die Religion — heißt es dort — doch
die Grundlage der Familie, des Staates und der Wissenschaft, folglich anch
der Erziehung, des Patriotismus und der Bildung ist, so verlangen die ver¬
sammelten Katholiken Österreichs 1. im Prinzip, daß die Mittelschule ebeu so
gut wie die Volksschule eine konfessionelle sei; 2. in der Praxis zunächst,
u) daß der Staat der Errichtung konfessioneller Privat-Mittclschnlen, seien es
Gymnasien, Pädagogien, Real- oder Gewerbeschulen, nicht bloß nicht Schwierig¬
keiten entgegenstelle, sondern dieselbe geradezu begünstige, zumal der Staat
dadurch vielfach entlastet wird; b) in Bezug ans die bereits bestehenden Mittel¬
schulen aber 1. daß der Religionsunterricht an deu obern Klassen aller Real¬
schulen eingeführt und anch auf die den Mittelschulen gleichgestellten öffentlichen
Unterrichtsanstalten, namentlich ans die Gewerbeschulen, ausgedehnt werde;
2. daß im Interesse des Unterrichts nud der Erziehung bei Auswahl und
Anstellung der Lehrer und besonders der Leiter der Mittelschulen auf die
christlich-gläubige und die österreichisch-patriotische Gesinnung der Schüler und
Eltern die gelmhrende Rücksicht genommen werde; 3. daß durch die unter¬
geordnetem Unterrichtsbehörden bei Belassung, respektive Wiedereinführung
christlicher und katholischer Einrichtungen, wie z. B. Kruzifixe, Schulgebete,
Schulmesse, Empfang der Sakramente n. dergl., der überwiegenden Majorität
der katholischen Schüler und Eltern Rechnung getragen werde; 4. daß bei
Abfassung und Approbation der Lehr- und Lesebücher an Stelle der ängstlichen
Ausscheidung aller katholischen Anklänge die Ausscheidung alles Altchristlichen
und damit auch Unwissenschaftlichen trete; 5. daß das in der Schulgesetzgebung


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[0338] Zum zweiten österreichischen Katholikentage zu sein. Was dn geredet und beschlossen wurde, das stand zum großen Teil in einem so grellen Gegensatze zu den Empfindungen und Meinungen unsrer Zeit, wie sie in allen Kreisen der Bevölkerung leben, daß mau dreist behaupten kann: seit langem ist keine Kundgebung des römischen Kirchentums erfolgt, die ihm unter gebildeten und mindergebildeten Katholiken so geschadet hätte, wie diese. Nicht die Proteste gegen „die Folgen des Ereignisses vom 20. September 1870, das dem Oberhaupt der Kirche das mehr als ein Jahrtausend alte Erbe des Heiligen Vaters geraubt hat," nicht die Klagen über den „ungcsühnten Frevel, der wie das Blut Abels gen Himmel schreit," nicht die Wünsche zur Wieder¬ herstellung der weltlichen Herrschaft des Papstes, denen ein sächsischer Major (von Rochow) am kräftigsten Ausdruck gab, nicht diese haben wir dabei im Auge, obwohl sie gewiß auch nicht dazu beigetragen haben, dein KVUholizismus neue Anhänger zu gewinnen. Viel bedenklicher ist, daß sich dieser Katholizismus den: modernen Staate so feindlich entgegenstellt und ihm einen Einfluß auf sehr wichtige Gebiete des geistigen und sozialen Lebens gar nicht oder in nur sehr beschränktem Maße gestatten will. Da sind es z. B. die Resolutionen über die Schule, vor nlleu die von dem Kalksburger Jesuiten Professor?. Abel vorgeschlagene nud dann angenommene Resolution über die Mittelschule, die das größte Bedenken erregen müssen. „Da die Religion — heißt es dort — doch die Grundlage der Familie, des Staates und der Wissenschaft, folglich anch der Erziehung, des Patriotismus und der Bildung ist, so verlangen die ver¬ sammelten Katholiken Österreichs 1. im Prinzip, daß die Mittelschule ebeu so gut wie die Volksschule eine konfessionelle sei; 2. in der Praxis zunächst, u) daß der Staat der Errichtung konfessioneller Privat-Mittclschnlen, seien es Gymnasien, Pädagogien, Real- oder Gewerbeschulen, nicht bloß nicht Schwierig¬ keiten entgegenstelle, sondern dieselbe geradezu begünstige, zumal der Staat dadurch vielfach entlastet wird; b) in Bezug ans die bereits bestehenden Mittel¬ schulen aber 1. daß der Religionsunterricht an deu obern Klassen aller Real¬ schulen eingeführt und anch auf die den Mittelschulen gleichgestellten öffentlichen Unterrichtsanstalten, namentlich ans die Gewerbeschulen, ausgedehnt werde; 2. daß im Interesse des Unterrichts nud der Erziehung bei Auswahl und Anstellung der Lehrer und besonders der Leiter der Mittelschulen auf die christlich-gläubige und die österreichisch-patriotische Gesinnung der Schüler und Eltern die gelmhrende Rücksicht genommen werde; 3. daß durch die unter¬ geordnetem Unterrichtsbehörden bei Belassung, respektive Wiedereinführung christlicher und katholischer Einrichtungen, wie z. B. Kruzifixe, Schulgebete, Schulmesse, Empfang der Sakramente n. dergl., der überwiegenden Majorität der katholischen Schüler und Eltern Rechnung getragen werde; 4. daß bei Abfassung und Approbation der Lehr- und Lesebücher an Stelle der ängstlichen Ausscheidung aller katholischen Anklänge die Ausscheidung alles Altchristlichen und damit auch Unwissenschaftlichen trete; 5. daß das in der Schulgesetzgebung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/338>, abgerufen am 05.02.2025.