Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Zum zweiten österreichischen Katholikentage gesetzgebung, die französische Neuordnung des Kultnswesens u. s. w., nur Merkwürdig aber nun, daß die geistigen Leiter der katholischen Bewegung Da thäten nun dem Katholizismus Männer not, die das begreifen Aber die Wortführer des zweiten österreichischen Katholikentages, der zu Grenzboten II 1889 42
Zum zweiten österreichischen Katholikentage gesetzgebung, die französische Neuordnung des Kultnswesens u. s. w., nur Merkwürdig aber nun, daß die geistigen Leiter der katholischen Bewegung Da thäten nun dem Katholizismus Männer not, die das begreifen Aber die Wortführer des zweiten österreichischen Katholikentages, der zu Grenzboten II 1889 42
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Zum zweiten österreichischen Katholikentage
gesetzgebung, die französische Neuordnung des Kultnswesens u. s. w., nur
sehr wenig.
Merkwürdig aber nun, daß die geistigen Leiter der katholischen Bewegung
es gar nicht begreifen oder doch nicht gestehen wollen, daß die Schuld an dem
Rückgange des Katholizismus — dem man in dein zweiten Jahrzehnt des
Jahrhunderts eine neue Blüte mit Fug und Recht hätte prophezeien können,
denn alle Bedingungen hierzu waren gegeben — eben nur, oder doch haupt¬
sächlich, um der Richtung liegt, die diese Bewegung eingeschlagen hat. Aber
noch mehr, sie geben sich auch der ungeheuern Täuschung hin, als sei nun
eine Wendung zum Bessern eingetreten, und als seien die vom Liberalismus ver¬
führten katholischen Völker reuig bereit, in den Schoß des orthodoxen Kirchen-
tnms zurückzukehren. Was insbesondre Österreich betrifft, so meinen sie,
weil dank der Abneigung gegen die Juden hier und da Klerikale, ja Geistliche
in die öffentlichen Vertretungen von Stadt, Land und Reich gewählt worden
sind, Hütten die Wähler damit ihre katholische Gesinnung oezengt. Nichts ist
falscher als dies. Nicht „vereinigte Katholiken," sondern „vereinigte Christen"
haben sich die Antiliberalen in Wien genannt, und von einem Gegensatze gegen
andre christliche Bekenntnisse — doch ein wesentliches Merkmal der römische»?
Orthodoxie — ist nichts in ihrem Programm. Sie nehmen die Klerikalen
heute als Bundesgenossen hin und fragen nicht, was sie sonst erstreben, sie
wollen eine Weile mit ihnen gehen, aber ganz sicher ist, daß sie sich dort von
ihnen trennen werden, wo das Hauptinteresse derselben erst beginnt. Nur
das wirtschaftliche Programm ist thuen gemeinsam, über das Verhältnis der
Kirche zu Haus, Schule und Staat gehen ihre Ansichten gewiß weit aus
einander. Da zeigen sich die einen eben doch als moderne Menschen, die
andern als Vertreter mittelalterlicher Anschauungen, die hente alle Lebens¬
kraft verloren haben.
Da thäten nun dem Katholizismus Männer not, die das begreifen
könnten und ihren Glauben von den Fesseln starrer Orthodoxie zu lösen uuter-
ucihmeu. Mau sage nicht, das sei undenkbar; die katholische Kirche müsse
immer dieselbe sein, ewig gleich und unveränderlich, wenn sie nicht zu Grunde
gehen solle. Sie war bereits anders, war es in dem Menschenalter, das der
Revolution vorausging. Und hat nicht der heilige Vincenz von Lerins gesagt,
daß, wie alles Lebendige, auch der katholische Glaube bildungs- und ver-
äuderuugsfähig sei? Ist der Katholizismus des fünfzehnten Jahrhunderts ganz
derselbe, wie der, der sich uns in den Beschlüssen von Trident darstellt?
Waren die Bonnld und Lnmennais Ketzer? Nein, man wird uns nicht weiß
machen, daß das Heil des Katholizismus in einem vertrockneten Bonzentnm
bestehe.
Aber die Wortführer des zweiten österreichischen Katholikentages, der zu
Anfang diefes Monats in Wien versammelt war, scheinen alle dieser Ansicht
Grenzboten II 1889 42
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