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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Augsburgs Schmalzdriefe

Fehler unter: in Rom war man in der Geographie doch nicht unwissend genng,
um sich durch dergleichen handgreifliche Unwahrheiten täuschen zu lassen.
Der Kardinal spielte aber den Unkundigen und stellte sich in harmlosester
Weise, als nähme er alles als baare Münze, Er meinte leutselig,
Not kenne kein Gebot, und wenn sich alles wirklich so verhalte, wie man ihm
sage, so müsse dn allerdings Abhilfe geschaffen werden. In der That sandte
er am 3. Juni 1479 ein Vreve an den Bischof von Augsburg, worin dieser
im Namen und Auftrag des Papstes für alle Zukunft ermächtigt wurde, sämt¬
lichen Einwohnern der Stadt an Fasttagen den Genuß vou Butter statt des
Oich, arme", schwächlichen und kranken Leuten aber auch sonstige Milchspeisen
und ebenso, mit Ausnahme der Freitage in den Fasten und einiger andern
Tage, Eier und Eierspeisen zu erlauben.

Wenn man genauer zusieht, so bedeuteten diese Vergünstigungen freilich
eher eine Verschlechterung als eine Verbesserung des bisherigen Zustandes.
Bisher hatte mau sich in Augsburg um jene strengern Fastenvorschriften sehr
wenig gekümmert: sie hatten, ohne daß darüber weiter nachgegrübelt worden
wäre, einfach als unverbindlich gegolten und waren deshalb nicht als sonderlich
drückend empfunden worden, wenn auch im einzelnen vielleicht manchem Be¬
denken und Gewissensskrupel daraus erwachsen sein mochten.

Nun aber hatte die höchste kirchliche Autorität sich über die Sache aus¬
gesprochen, und wiewohl gemäß dieses Spruches der Genuß von Butter in
Zukunft gestattet sein sollte, so waren im übrigen doch die Zugeständnisse
derart mit Beschränkungen versetzt, daß sie, wenigstens für die wohlhabendern
und mittlern Teile der Bürgerschaft, sast einem Verbote gleichkamen. Und
was das schlimmste war: das Schreiben des Kardinals enthielt eine Klausel,
derzufolge der Bischof den Dispens erteilen sollte, je nachdem es ihm sür
das Seelenheil der Bittsteller zuträglich erschiene; es lag also in der Willkür
des jeweiligen Bischofs, ob er dispensiren wollte oder nicht. Zwischen diesem
und dem Rate aber war selten große Freundschaft. Der Bischof war in der
Regel bestrebt, von dein Einflüsse, den er früher in der Stadt besessen hatte,
möglichst viel zurückzugewinnen, die städtische Regierung dagegen trachtete, die
wenigen Rechte, die ihm noch geblieben waren, immer mehr zu beschneiden;
und aus dieser Lage der Dinge entstanden aller Augenblicke Händel, die oft zu
großer gegenseitiger Erbitterung führten. Erst nach der Reformation bahnten
sich allmählich dauernd friedliche Beziehungen zwischen beiden Gewalten an.
Jene Klausel nun gab dem Bischof eine bequeme Handhabe zur Ausübung
vieler kleinen Chikanen, wodurch er seineu Widersachern seine Macht fühlbar
machen konnte, und er hat sich die Gelegenheit Wohl nicht entgehen lassen.

Mit ihrem ersten Schmalzbriefe hatten die Augsburger also kein Glück,
es war ein Gut von sehr zweifelhaftem Werte, was sie sich da erworben hatten.
Allerdings war auch der Preis nicht hoch gewesen. Auf dem Rücken einer


Augsburgs Schmalzdriefe

Fehler unter: in Rom war man in der Geographie doch nicht unwissend genng,
um sich durch dergleichen handgreifliche Unwahrheiten täuschen zu lassen.
Der Kardinal spielte aber den Unkundigen und stellte sich in harmlosester
Weise, als nähme er alles als baare Münze, Er meinte leutselig,
Not kenne kein Gebot, und wenn sich alles wirklich so verhalte, wie man ihm
sage, so müsse dn allerdings Abhilfe geschaffen werden. In der That sandte
er am 3. Juni 1479 ein Vreve an den Bischof von Augsburg, worin dieser
im Namen und Auftrag des Papstes für alle Zukunft ermächtigt wurde, sämt¬
lichen Einwohnern der Stadt an Fasttagen den Genuß vou Butter statt des
Oich, arme», schwächlichen und kranken Leuten aber auch sonstige Milchspeisen
und ebenso, mit Ausnahme der Freitage in den Fasten und einiger andern
Tage, Eier und Eierspeisen zu erlauben.

Wenn man genauer zusieht, so bedeuteten diese Vergünstigungen freilich
eher eine Verschlechterung als eine Verbesserung des bisherigen Zustandes.
Bisher hatte mau sich in Augsburg um jene strengern Fastenvorschriften sehr
wenig gekümmert: sie hatten, ohne daß darüber weiter nachgegrübelt worden
wäre, einfach als unverbindlich gegolten und waren deshalb nicht als sonderlich
drückend empfunden worden, wenn auch im einzelnen vielleicht manchem Be¬
denken und Gewissensskrupel daraus erwachsen sein mochten.

Nun aber hatte die höchste kirchliche Autorität sich über die Sache aus¬
gesprochen, und wiewohl gemäß dieses Spruches der Genuß von Butter in
Zukunft gestattet sein sollte, so waren im übrigen doch die Zugeständnisse
derart mit Beschränkungen versetzt, daß sie, wenigstens für die wohlhabendern
und mittlern Teile der Bürgerschaft, sast einem Verbote gleichkamen. Und
was das schlimmste war: das Schreiben des Kardinals enthielt eine Klausel,
derzufolge der Bischof den Dispens erteilen sollte, je nachdem es ihm sür
das Seelenheil der Bittsteller zuträglich erschiene; es lag also in der Willkür
des jeweiligen Bischofs, ob er dispensiren wollte oder nicht. Zwischen diesem
und dem Rate aber war selten große Freundschaft. Der Bischof war in der
Regel bestrebt, von dein Einflüsse, den er früher in der Stadt besessen hatte,
möglichst viel zurückzugewinnen, die städtische Regierung dagegen trachtete, die
wenigen Rechte, die ihm noch geblieben waren, immer mehr zu beschneiden;
und aus dieser Lage der Dinge entstanden aller Augenblicke Händel, die oft zu
großer gegenseitiger Erbitterung führten. Erst nach der Reformation bahnten
sich allmählich dauernd friedliche Beziehungen zwischen beiden Gewalten an.
Jene Klausel nun gab dem Bischof eine bequeme Handhabe zur Ausübung
vieler kleinen Chikanen, wodurch er seineu Widersachern seine Macht fühlbar
machen konnte, und er hat sich die Gelegenheit Wohl nicht entgehen lassen.

Mit ihrem ersten Schmalzbriefe hatten die Augsburger also kein Glück,
es war ein Gut von sehr zweifelhaftem Werte, was sie sich da erworben hatten.
Allerdings war auch der Preis nicht hoch gewesen. Auf dem Rücken einer


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[0319] Augsburgs Schmalzdriefe Fehler unter: in Rom war man in der Geographie doch nicht unwissend genng, um sich durch dergleichen handgreifliche Unwahrheiten täuschen zu lassen. Der Kardinal spielte aber den Unkundigen und stellte sich in harmlosester Weise, als nähme er alles als baare Münze, Er meinte leutselig, Not kenne kein Gebot, und wenn sich alles wirklich so verhalte, wie man ihm sage, so müsse dn allerdings Abhilfe geschaffen werden. In der That sandte er am 3. Juni 1479 ein Vreve an den Bischof von Augsburg, worin dieser im Namen und Auftrag des Papstes für alle Zukunft ermächtigt wurde, sämt¬ lichen Einwohnern der Stadt an Fasttagen den Genuß vou Butter statt des Oich, arme», schwächlichen und kranken Leuten aber auch sonstige Milchspeisen und ebenso, mit Ausnahme der Freitage in den Fasten und einiger andern Tage, Eier und Eierspeisen zu erlauben. Wenn man genauer zusieht, so bedeuteten diese Vergünstigungen freilich eher eine Verschlechterung als eine Verbesserung des bisherigen Zustandes. Bisher hatte mau sich in Augsburg um jene strengern Fastenvorschriften sehr wenig gekümmert: sie hatten, ohne daß darüber weiter nachgegrübelt worden wäre, einfach als unverbindlich gegolten und waren deshalb nicht als sonderlich drückend empfunden worden, wenn auch im einzelnen vielleicht manchem Be¬ denken und Gewissensskrupel daraus erwachsen sein mochten. Nun aber hatte die höchste kirchliche Autorität sich über die Sache aus¬ gesprochen, und wiewohl gemäß dieses Spruches der Genuß von Butter in Zukunft gestattet sein sollte, so waren im übrigen doch die Zugeständnisse derart mit Beschränkungen versetzt, daß sie, wenigstens für die wohlhabendern und mittlern Teile der Bürgerschaft, sast einem Verbote gleichkamen. Und was das schlimmste war: das Schreiben des Kardinals enthielt eine Klausel, derzufolge der Bischof den Dispens erteilen sollte, je nachdem es ihm sür das Seelenheil der Bittsteller zuträglich erschiene; es lag also in der Willkür des jeweiligen Bischofs, ob er dispensiren wollte oder nicht. Zwischen diesem und dem Rate aber war selten große Freundschaft. Der Bischof war in der Regel bestrebt, von dein Einflüsse, den er früher in der Stadt besessen hatte, möglichst viel zurückzugewinnen, die städtische Regierung dagegen trachtete, die wenigen Rechte, die ihm noch geblieben waren, immer mehr zu beschneiden; und aus dieser Lage der Dinge entstanden aller Augenblicke Händel, die oft zu großer gegenseitiger Erbitterung führten. Erst nach der Reformation bahnten sich allmählich dauernd friedliche Beziehungen zwischen beiden Gewalten an. Jene Klausel nun gab dem Bischof eine bequeme Handhabe zur Ausübung vieler kleinen Chikanen, wodurch er seineu Widersachern seine Macht fühlbar machen konnte, und er hat sich die Gelegenheit Wohl nicht entgehen lassen. Mit ihrem ersten Schmalzbriefe hatten die Augsburger also kein Glück, es war ein Gut von sehr zweifelhaftem Werte, was sie sich da erworben hatten. Allerdings war auch der Preis nicht hoch gewesen. Auf dem Rücken einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/319>, abgerufen am 05.02.2025.