Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches fühlen, und obschon sie ja die Wohlthaten gar nicht selbst erweisen, nur die Indessen das mag ja unvermeidlich sein, und jedenfalls wird durch die Vor¬ Allein unsre Zeit hat Formen der Wohlthätigkeit erzeugt, die von vornherein Nahe verwandt mit der Rcichsfechtschule sind die Krcuzbrndervereine. Hier Die Wohlthätigkeit alten Stils, Wo sich jeder Einzelne in seiner Umgebung Maßgebliches und Unmaßgebliches fühlen, und obschon sie ja die Wohlthaten gar nicht selbst erweisen, nur die Indessen das mag ja unvermeidlich sein, und jedenfalls wird durch die Vor¬ Allein unsre Zeit hat Formen der Wohlthätigkeit erzeugt, die von vornherein Nahe verwandt mit der Rcichsfechtschule sind die Krcuzbrndervereine. Hier Die Wohlthätigkeit alten Stils, Wo sich jeder Einzelne in seiner Umgebung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0293" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205024"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_758" prev="#ID_757"> fühlen, und obschon sie ja die Wohlthaten gar nicht selbst erweisen, nur die<lb/> Vermittler der von der Behörde bewilligten Unterstützungen sind, jenes Gefühl<lb/> stellt sich doch ein, und manche der Armen haben eine ungemein scharfe Witterung<lb/> dafür. Ferner: man mache einmal die Probe und sehe zu, wie viel schwerer es<lb/> halten würde, Armenpfleger zu gewinnen, wenn die Bekanntmachung des Armen-<lb/> amtes wegfiele, daß Herr N, N, die auf ihn gefallene Wahl für den soundso¬<lb/> vielten Bezirk angenommen habe und in sein Amt eingewiesen worden sei! So<lb/> leicht einer heutzutage dazu kommen kann, es hat doch noch immer einen sonder¬<lb/> baren Reiz, sich gedruckt zu sehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_759"> Indessen das mag ja unvermeidlich sein, und jedenfalls wird durch die Vor¬<lb/> züge der heutigen Armenpflege, die Verteilung der Arbeit, die genauere Prüfung<lb/> der Verhältnisse u, s. w,, jener kleine Schaden bei weitem aufgewogen.</p><lb/> <p xml:id="ID_760"> Allein unsre Zeit hat Formen der Wohlthätigkeit erzeugt, die von vornherein<lb/> und fast einzig ans die Eitelkeit bauen. Ich denke da zuerst an die Reichsfecht¬<lb/> schule. Was sie geschaffen hat und noch ferner schaffen wird, in allen Ehren.<lb/> Aber würde sie diese Erfolge erzielt haben ohne die zahllosen Aemtlein undWürdlcin,<lb/> die sie unter Männer und — Frauen austeilt, ohne die höchst vergnügten Abend-<lb/> unterhaltungen, Tänzchen u. s. w., die sie veraustaltet, und bei denen des Apostels<lb/> Paulus Wort (2. Kor. 9, 7): „Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb" die eigen¬<lb/> tümliche Umdeutung erfährt: „Man muß sich amüsiren zum Besten der Wohlthätig¬<lb/> keit" ? Natürlich hat die Reichsfechtschule auch ihr eignes „Organ," und was<lb/> vorhin von dem Sichgedrucktsehen gesagt wurde, das gilt hier hundertfältig. Das<lb/> Sammeln an sich wertloser Dinge, Cigarrenbänder, Cigarrenabschnitte, alter Hand¬<lb/> schuhe, Staniolkapselu und wer weiß was noch, hat sicherlich einen gewissen Sinn<lb/> für die Erziehung zur Sparsamkeit, und der Satz: Man soll nichts umkommen<lb/> lassen, hat eine tiefe volkswirtschaftliche Bedeutung. Diese Sammelei wurde ja<lb/> auch schon längst betrieben; aber die Organisation, die Zentralisation, das war<lb/> unsern Tagen, das war der Rcichsfechtschule vorbehalten.</p><lb/> <p xml:id="ID_761"> Nahe verwandt mit der Rcichsfechtschule sind die Krcuzbrndervereine. Hier<lb/> tritt das Stammtischwesen, das ja in unsrer Zeit leider eine sehr große Rolle spielt,<lb/> in den Dienst der Wohlthätigkeit; durch allerlei Bierbankscherze wird den Stamm¬<lb/> gästen in vergnügter Stunde ein Scherflein von ihrem Skat- oder Schafkopfgewinn<lb/> abgelockt, und von dem so gesammelten wird dann meist eine Weihnachtsbescherung<lb/> für einige bedürftige Familien veranstaltet. Nun möchte das noch sein, wenn diese<lb/> Bescherung in bescheidener Stille vor sich ginge! Aber da müssen die Armen vor<lb/> der versammelten Tafelrunde antreten, der Vorsitzende überreicht mit mehr oder<lb/> minder wohlgesetzter Rede das auf sie „ent"fallende, und dann — trinken die<lb/> ehrsamen Kreuzbrüdcr und Kreuzschwestern in dem Bewußtsein der vollbrachten<lb/> edeln Thaten ein paar Glas mehr als gewöhnlich. Und damit nicht genug: am<lb/> andern Tage muß es auch uoch recht rührend im Blättchen zu lesen stehen, daß<lb/> da und da eine „würdige" oder eine „weihevolle" Feier des Christfestes stattgefunden<lb/> habe. Nämlich der Kreuzbrudcrstanuntisch Nummer 492 u. s. w. u. s. w.</p><lb/> <p xml:id="ID_762"> Die Wohlthätigkeit alten Stils, Wo sich jeder Einzelne in seiner Umgebung<lb/> darnach umsah, ob es Not zu lindern und Thränen zu trocknen gebe, und mit<lb/> eigner Hand zugriff, um zu helfen, droht unsrer Zeit völlig abhanden zu kommen.<lb/> Heute zahlt der Reiche, oft genug noch dazu mürrischen Gesichts, dem Sammel-<lb/> bvten, der die Vereinsbeiträge einholt, den gezeichneten Jahresbeitrag und über¬<lb/> läßt die angemessene Verwendung denen, die sozusagen von Berufs wegen „in Ge¬<lb/> meinnützigkeit machen."</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0293]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
fühlen, und obschon sie ja die Wohlthaten gar nicht selbst erweisen, nur die
Vermittler der von der Behörde bewilligten Unterstützungen sind, jenes Gefühl
stellt sich doch ein, und manche der Armen haben eine ungemein scharfe Witterung
dafür. Ferner: man mache einmal die Probe und sehe zu, wie viel schwerer es
halten würde, Armenpfleger zu gewinnen, wenn die Bekanntmachung des Armen-
amtes wegfiele, daß Herr N, N, die auf ihn gefallene Wahl für den soundso¬
vielten Bezirk angenommen habe und in sein Amt eingewiesen worden sei! So
leicht einer heutzutage dazu kommen kann, es hat doch noch immer einen sonder¬
baren Reiz, sich gedruckt zu sehen.
Indessen das mag ja unvermeidlich sein, und jedenfalls wird durch die Vor¬
züge der heutigen Armenpflege, die Verteilung der Arbeit, die genauere Prüfung
der Verhältnisse u, s. w,, jener kleine Schaden bei weitem aufgewogen.
Allein unsre Zeit hat Formen der Wohlthätigkeit erzeugt, die von vornherein
und fast einzig ans die Eitelkeit bauen. Ich denke da zuerst an die Reichsfecht¬
schule. Was sie geschaffen hat und noch ferner schaffen wird, in allen Ehren.
Aber würde sie diese Erfolge erzielt haben ohne die zahllosen Aemtlein undWürdlcin,
die sie unter Männer und — Frauen austeilt, ohne die höchst vergnügten Abend-
unterhaltungen, Tänzchen u. s. w., die sie veraustaltet, und bei denen des Apostels
Paulus Wort (2. Kor. 9, 7): „Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb" die eigen¬
tümliche Umdeutung erfährt: „Man muß sich amüsiren zum Besten der Wohlthätig¬
keit" ? Natürlich hat die Reichsfechtschule auch ihr eignes „Organ," und was
vorhin von dem Sichgedrucktsehen gesagt wurde, das gilt hier hundertfältig. Das
Sammeln an sich wertloser Dinge, Cigarrenbänder, Cigarrenabschnitte, alter Hand¬
schuhe, Staniolkapselu und wer weiß was noch, hat sicherlich einen gewissen Sinn
für die Erziehung zur Sparsamkeit, und der Satz: Man soll nichts umkommen
lassen, hat eine tiefe volkswirtschaftliche Bedeutung. Diese Sammelei wurde ja
auch schon längst betrieben; aber die Organisation, die Zentralisation, das war
unsern Tagen, das war der Rcichsfechtschule vorbehalten.
Nahe verwandt mit der Rcichsfechtschule sind die Krcuzbrndervereine. Hier
tritt das Stammtischwesen, das ja in unsrer Zeit leider eine sehr große Rolle spielt,
in den Dienst der Wohlthätigkeit; durch allerlei Bierbankscherze wird den Stamm¬
gästen in vergnügter Stunde ein Scherflein von ihrem Skat- oder Schafkopfgewinn
abgelockt, und von dem so gesammelten wird dann meist eine Weihnachtsbescherung
für einige bedürftige Familien veranstaltet. Nun möchte das noch sein, wenn diese
Bescherung in bescheidener Stille vor sich ginge! Aber da müssen die Armen vor
der versammelten Tafelrunde antreten, der Vorsitzende überreicht mit mehr oder
minder wohlgesetzter Rede das auf sie „ent"fallende, und dann — trinken die
ehrsamen Kreuzbrüdcr und Kreuzschwestern in dem Bewußtsein der vollbrachten
edeln Thaten ein paar Glas mehr als gewöhnlich. Und damit nicht genug: am
andern Tage muß es auch uoch recht rührend im Blättchen zu lesen stehen, daß
da und da eine „würdige" oder eine „weihevolle" Feier des Christfestes stattgefunden
habe. Nämlich der Kreuzbrudcrstanuntisch Nummer 492 u. s. w. u. s. w.
Die Wohlthätigkeit alten Stils, Wo sich jeder Einzelne in seiner Umgebung
darnach umsah, ob es Not zu lindern und Thränen zu trocknen gebe, und mit
eigner Hand zugriff, um zu helfen, droht unsrer Zeit völlig abhanden zu kommen.
Heute zahlt der Reiche, oft genug noch dazu mürrischen Gesichts, dem Sammel-
bvten, der die Vereinsbeiträge einholt, den gezeichneten Jahresbeitrag und über¬
läßt die angemessene Verwendung denen, die sozusagen von Berufs wegen „in Ge¬
meinnützigkeit machen."
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