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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Die Folgen der Novelle

solle. Das hat sie nicht gewollt! Nun zieht sie die Kinder mit sich und
reißt sie von: Herzen des Vaters! Dieser Gedanke quält sie zu Tode. Sie
stirbt, die Jungen werden aber gesund. Nun hat sie den Schaden allein!
Hütte sie nicht an diese Verrücktheit geglaubt, könnte sie heute uoch leben!

"Und hätte es nicht Mittel und Wege gegeben, dies zu verhindern?" fragt
sich Herr Atluug. O ja, würde ihm Herr Björnson antworten können, die
hüllen sogar sehr nahe gelegen -- er sagt es sogar! --, alles war ganz un¬
nötig! Aber wie würe dann meine Novelle zustande gekommen, würde er hinzu
setzen indessen, wenn ihr Leute so gehandelt und euch gegen einander so aus¬
gesprochen hättet, wie es in der ganz gemeinen alltäglichen Welt zu geschehen
pflegt?

"Wärmegrade in der Luft. Drohend frisch rauscht der Fjord gegen den
schmelzenden Schnee" -- "Staub" schmilzt nicht, also Schnee --, mit dieser
ebenso geistreichen wie unverständlichen, aber stimmungsvollen Phrase schließt
die Geschichte ab. Vorher hat aber Vjörnsvn noch eine Pause in der Geschichte
benutzt, um weitere Betrachtungen über den Staub anzustellen, der sich über die
Völker im Laufe der Jahrtausende gelegt hat, wie der Schnee auf deu Wald,
sodaß sie sich nun unter einander morden müssen, aber auch den hoffnungsvollen
Blick in eine Zeit hinaus zu senden, wo "Generationen nach Generationen"
diesen Staub wieder immer mehr von sich abgeschüttelt haben werden.

Das ist die moderne Novelle! Oosi tun tutti und tulle. Pathos,
Unnatur, Nichtigkeit des Vorwurfs, titaueuhafter Aufputz, der Titane Autor
Hauptperson. Und doch ist diese Sorte von Novellen eigentlich noch ganz harmlos ;
sie ist doch sehr moralisch, das kann mau nicht läugnen. lind sie zeigt außerdem
einen großen Fortschritt in der Wahl der Motive, auf die man zum Glück
für die Zukunft der Litteratur verfallen ist, da sie neuen Reiz in sie gebracht
hat und sich als ein ganz besonders günstiges Mistbeet sür Materialismus
und Unnatur erweist, zumal, wenn man sich nicht so viel konventionelle Moral
auferlegt wie Björnson hier, die anch wie ein erstickender "Staub" auf allem
ungenirter Schaffen liegen muß.

Es muß ja zuletzt eine Qual für die Dichter geworden fein, mit den
alten abgedroschnen und verstnubteu Ingredienzien des Romans und der
Novelle zu arbeiten, die bisher üblich waren. Wie sollte man immer und
immer wieder seine Helden vor den Altar bringen oder zur verzweifelten Liebes¬
tragödie, immer wieder dasselbe Thema variiren, immer wieder neue Situationen
zu diesem abgenutzten Zweck erfinden? War es denn noch möglich, ein origi¬
nelles Liebespaar mit originellen Schicksalen und origineller Szenerie auszu¬
deuten? Da kam man auf den hellen Einfall, daß die Zeit nach der Hochzeit
am Ende doch anch noch "Motive" bieten könnte. Sind denn überhaupt die
jungen Leute, die uoch vor der Nerehelichuug stehen, die "Welt"? Nein, doch
unzweifelhaft wir ältern, die nur auf der Hohe des Lebens stehen. Aber geht


Die Folgen der Novelle

solle. Das hat sie nicht gewollt! Nun zieht sie die Kinder mit sich und
reißt sie von: Herzen des Vaters! Dieser Gedanke quält sie zu Tode. Sie
stirbt, die Jungen werden aber gesund. Nun hat sie den Schaden allein!
Hütte sie nicht an diese Verrücktheit geglaubt, könnte sie heute uoch leben!

„Und hätte es nicht Mittel und Wege gegeben, dies zu verhindern?" fragt
sich Herr Atluug. O ja, würde ihm Herr Björnson antworten können, die
hüllen sogar sehr nahe gelegen — er sagt es sogar! —, alles war ganz un¬
nötig! Aber wie würe dann meine Novelle zustande gekommen, würde er hinzu
setzen indessen, wenn ihr Leute so gehandelt und euch gegen einander so aus¬
gesprochen hättet, wie es in der ganz gemeinen alltäglichen Welt zu geschehen
pflegt?

„Wärmegrade in der Luft. Drohend frisch rauscht der Fjord gegen den
schmelzenden Schnee" — „Staub" schmilzt nicht, also Schnee —, mit dieser
ebenso geistreichen wie unverständlichen, aber stimmungsvollen Phrase schließt
die Geschichte ab. Vorher hat aber Vjörnsvn noch eine Pause in der Geschichte
benutzt, um weitere Betrachtungen über den Staub anzustellen, der sich über die
Völker im Laufe der Jahrtausende gelegt hat, wie der Schnee auf deu Wald,
sodaß sie sich nun unter einander morden müssen, aber auch den hoffnungsvollen
Blick in eine Zeit hinaus zu senden, wo „Generationen nach Generationen"
diesen Staub wieder immer mehr von sich abgeschüttelt haben werden.

Das ist die moderne Novelle! Oosi tun tutti und tulle. Pathos,
Unnatur, Nichtigkeit des Vorwurfs, titaueuhafter Aufputz, der Titane Autor
Hauptperson. Und doch ist diese Sorte von Novellen eigentlich noch ganz harmlos ;
sie ist doch sehr moralisch, das kann mau nicht läugnen. lind sie zeigt außerdem
einen großen Fortschritt in der Wahl der Motive, auf die man zum Glück
für die Zukunft der Litteratur verfallen ist, da sie neuen Reiz in sie gebracht
hat und sich als ein ganz besonders günstiges Mistbeet sür Materialismus
und Unnatur erweist, zumal, wenn man sich nicht so viel konventionelle Moral
auferlegt wie Björnson hier, die anch wie ein erstickender „Staub" auf allem
ungenirter Schaffen liegen muß.

Es muß ja zuletzt eine Qual für die Dichter geworden fein, mit den
alten abgedroschnen und verstnubteu Ingredienzien des Romans und der
Novelle zu arbeiten, die bisher üblich waren. Wie sollte man immer und
immer wieder seine Helden vor den Altar bringen oder zur verzweifelten Liebes¬
tragödie, immer wieder dasselbe Thema variiren, immer wieder neue Situationen
zu diesem abgenutzten Zweck erfinden? War es denn noch möglich, ein origi¬
nelles Liebespaar mit originellen Schicksalen und origineller Szenerie auszu¬
deuten? Da kam man auf den hellen Einfall, daß die Zeit nach der Hochzeit
am Ende doch anch noch „Motive" bieten könnte. Sind denn überhaupt die
jungen Leute, die uoch vor der Nerehelichuug stehen, die „Welt"? Nein, doch
unzweifelhaft wir ältern, die nur auf der Hohe des Lebens stehen. Aber geht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/291>, abgerufen am 05.02.2025.