Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Die Folgen der Novelle blick gelebt haben. Ja, das mache einer! Etliche können es, aber jeder? Und Und nun kommt denn auch das Verhängnis. Nun gebiert der Dichter Die Folgen der Novelle blick gelebt haben. Ja, das mache einer! Etliche können es, aber jeder? Und Und nun kommt denn auch das Verhängnis. Nun gebiert der Dichter <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0285" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205016"/> <fw type="header" place="top"> Die Folgen der Novelle</fw><lb/> <p xml:id="ID_733" prev="#ID_732"> blick gelebt haben. Ja, das mache einer! Etliche können es, aber jeder? Und<lb/> doch wird es verlangt.</p><lb/> <p xml:id="ID_734"> Und nun kommt denn auch das Verhängnis. Nun gebiert der Dichter<lb/> diese Gliederpuppe», die Kopf, Arme und Beine uur immer so halten und<lb/> stellen, wie er sie ihnen gedreht hat. Eine Vergangenheit haben sie nicht, sie<lb/> haben nur den einen Gedanken lind die eine Geberde, die für den Knoten der<lb/> Novelle gedrechselt sind; sie haben gar nicht gelebt, sie leben uur, d. h. nein,<lb/> sie leben nicht, sie bewegen sich nur mit ihren: puppenhaften Ausdruck an<lb/> dem Drahte, deu der Autor in der Hand hält; die Novelle wird nicht durch<lb/> sie, sondern sie sind für die Novelle da. Diese kann nnr zustande kommen,<lb/> wenn dem Programm gemäß gedacht, gehandelt und gesprochen wird; alles<lb/> das kann aber nnr der Autor thun, denn das Programm quetscht die Hand¬<lb/> lung so unnatürlich zusammen, daß kein natürlicher Mensch zu ihm verwandt<lb/> werden kann. Die Figuren sagen und thun deshalb nie das, was natürlich<lb/> ist und was ein lebendiger Mensch in der gegebenen Situation thun und denken<lb/> würde, sondern stets das, was in die „Stimmung," die das Ganze haben<lb/> soll, und in der vorzüglich die Kunst des Autors besteht, hineinpaßt, auf<lb/> den Effekt des Ganzen abgestimmt ist. Dabei reden natürlich — das geht<lb/> zur Zeit durch viele weibliche und männliche Novellen, „Bildung macht sein" —<lb/> alle diese Figuren über Bücher und zitiren haufenweis, immer aus Büchern,<lb/> die der Autor gelesen hat. Alle die Damen kennen alle die Bücher, die keine<lb/> Dame liest, und die gewöhnlich auch alle Herren nicht gelesen haben. Diese<lb/> Litteraturkenntnis ist, ganz im Widerspruch zu den Nachrichten der seufzenden<lb/> Sortimenter über die Lese- und Kaufunlust allen Publikums — uicht uur des<lb/> verächtlichen „großen" —, bei den Novellen-Herren und -Damen eine ganz merk¬<lb/> würdig ausgebreitete. Doch das ist nur etwas Nebensächliches, es ist mir aber<lb/> ausgefallen, weil gewöhnlich in diesen Novellen das Nebensächliche das Haupt¬<lb/> sächliche zu sein Pflegt. Das Piocl grad, Äoin0nstrkm6um ist, daß der Knalleffekt,<lb/> der mit der kurze» Form verbunden sein muß — denn z. V. schnörkelhafter<lb/> Raabischer Humor, der häufig das bekannte Rezept für .Kanonen praktisch ausführt,<lb/> ist (obgleich man Raabe, da er in der „Jetztzeit" schreibt, eigentlich auch zu<lb/> den Modernen und Naturalisten rechnen sollte, in der That ist doch auch sein<lb/> Manierismus gerade so natürlich, wie die Menschen manierirt sind; darin zeigt sich<lb/> das wahre Kind der Zeit) doch eben darum nur noch für eine kleine Gemeinde<lb/> verdaulich, die kann, zu den Gebildeten gerechnet werden kauu —, also daß der<lb/> Knalleffekt, den der wahrhaft Gebildete und die Zeitmigsredaktion verlange,:<lb/> und der Dichter sich absinucu muß — mau könnte die ganze einschlägige<lb/> Litteratur eine Protzkastenlitteratnr oder -Lyrik nennen — ganz natürlich die<lb/> umiatürlichsten Handlungen und Personell im Gefolge hat, die sich infolge<lb/> ihrer U„Natürlichkeit natürlich auch mit der Wehmut des Schopenhauer vuIZi-<lb/> va,xuL beHaften, d. h. der unschuldige Autor thut es.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0285]
Die Folgen der Novelle
blick gelebt haben. Ja, das mache einer! Etliche können es, aber jeder? Und
doch wird es verlangt.
Und nun kommt denn auch das Verhängnis. Nun gebiert der Dichter
diese Gliederpuppe», die Kopf, Arme und Beine uur immer so halten und
stellen, wie er sie ihnen gedreht hat. Eine Vergangenheit haben sie nicht, sie
haben nur den einen Gedanken lind die eine Geberde, die für den Knoten der
Novelle gedrechselt sind; sie haben gar nicht gelebt, sie leben uur, d. h. nein,
sie leben nicht, sie bewegen sich nur mit ihren: puppenhaften Ausdruck an
dem Drahte, deu der Autor in der Hand hält; die Novelle wird nicht durch
sie, sondern sie sind für die Novelle da. Diese kann nnr zustande kommen,
wenn dem Programm gemäß gedacht, gehandelt und gesprochen wird; alles
das kann aber nnr der Autor thun, denn das Programm quetscht die Hand¬
lung so unnatürlich zusammen, daß kein natürlicher Mensch zu ihm verwandt
werden kann. Die Figuren sagen und thun deshalb nie das, was natürlich
ist und was ein lebendiger Mensch in der gegebenen Situation thun und denken
würde, sondern stets das, was in die „Stimmung," die das Ganze haben
soll, und in der vorzüglich die Kunst des Autors besteht, hineinpaßt, auf
den Effekt des Ganzen abgestimmt ist. Dabei reden natürlich — das geht
zur Zeit durch viele weibliche und männliche Novellen, „Bildung macht sein" —
alle diese Figuren über Bücher und zitiren haufenweis, immer aus Büchern,
die der Autor gelesen hat. Alle die Damen kennen alle die Bücher, die keine
Dame liest, und die gewöhnlich auch alle Herren nicht gelesen haben. Diese
Litteraturkenntnis ist, ganz im Widerspruch zu den Nachrichten der seufzenden
Sortimenter über die Lese- und Kaufunlust allen Publikums — uicht uur des
verächtlichen „großen" —, bei den Novellen-Herren und -Damen eine ganz merk¬
würdig ausgebreitete. Doch das ist nur etwas Nebensächliches, es ist mir aber
ausgefallen, weil gewöhnlich in diesen Novellen das Nebensächliche das Haupt¬
sächliche zu sein Pflegt. Das Piocl grad, Äoin0nstrkm6um ist, daß der Knalleffekt,
der mit der kurze» Form verbunden sein muß — denn z. V. schnörkelhafter
Raabischer Humor, der häufig das bekannte Rezept für .Kanonen praktisch ausführt,
ist (obgleich man Raabe, da er in der „Jetztzeit" schreibt, eigentlich auch zu
den Modernen und Naturalisten rechnen sollte, in der That ist doch auch sein
Manierismus gerade so natürlich, wie die Menschen manierirt sind; darin zeigt sich
das wahre Kind der Zeit) doch eben darum nur noch für eine kleine Gemeinde
verdaulich, die kann, zu den Gebildeten gerechnet werden kauu —, also daß der
Knalleffekt, den der wahrhaft Gebildete und die Zeitmigsredaktion verlange,:
und der Dichter sich absinucu muß — mau könnte die ganze einschlägige
Litteratur eine Protzkastenlitteratnr oder -Lyrik nennen — ganz natürlich die
umiatürlichsten Handlungen und Personell im Gefolge hat, die sich infolge
ihrer U„Natürlichkeit natürlich auch mit der Wehmut des Schopenhauer vuIZi-
va,xuL beHaften, d. h. der unschuldige Autor thut es.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |