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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Die Folgen der Novelle

hat nicht allein im Materialismus ihren Grund und braucht ihn nicht darin
zu haben; ich kenne Menschen genug, die praktisch ganz Materialisten sind und
dennoch die heitersten und liebenswürdigsten Kunstwerke leisten; sie sind aber
dann theoretisch gar keine Materialisten, sinds eben ganz ohne zu denken, und
weil sie nicht denken, außer an ihr Handwerk -- wie die und die Farben ans der
Leinwand sitzen sollen, und allenfalls noch wo es heute Leberknvdel giebt. Die
hier und anderswo mit persönlichem Materialismus verbundene Trostlosigkeit muß
zwillingsweise aus einer andern Wurzel mit ihm zusammen erwachsen sein, und
diese Wurzel ist auch oft sehr leicht erkenntlich; sie zeigt sich in den Stoffen, die
die Herren für ihre Kunstwerke wählen. Aber das ist auch bloß bei dem und jenem
der Fall. Selbst verrückt sind die Herren nicht immer, obgleich man sie alle
dafür halten mochte; sie sollen sich ja sonst ganz normal geberden und im
Übrigen ganz praktische Leute sein. Gescheide und begabt, d. h. mit guten
Augen und Darstellungsvermögen versehen sind sie auch. Woher kommt also
die Unnatur und Trostlosigkeit aller ihrer Geschöpfe, die als Folge von Geistes¬
krankheit bei ihren Erzeugern eben nur dann angenommen werden könnte, wenn
man wüßte oder vermuten könnte, sie hätten sich die Vernunft durch zu weit
gehenden praktischen Materialismus wegamüsirt?

Es ist nicht der Materialismus als solcher, der dein ganzen Trödel das
fatale Aussehen giebt, sondern die Unnatur, an der diese Produkte leiden;
der Materialismus müßte ja gerade sehr natürlich sein, denn er beschäftigt
sich mit der natürlichen Seite der Natur und hat somit im Prinzip nichts
Verworfenes an sich, auch wenn ihm die nötige Ergänzung des Geistigen
sehlt. Aber ein Materialist darf deshalb doch geistreich sein und heiter dazu.
Das zeigen die Griechen, die sogar die Personifikation des Materiellen, die
Zentanreu und Faune, in ihren Gebilden adelten, und die, wenn sie schon
Materialisten in ihrer Lebensauffassung gewesen sein mögen, ihr Leben schön
und heiter auszuleben wußten. Den müssiger Ausdruck haben unsre Modernen
daher, daß sie ihr Leben nicht schön auszuleben verstehen; sie sind unzufrieden,
selbstquälerisch, und weil sie der Geist nicht mehr erleuchten will, deshalb leugnen
sie den Geist. Und sie bauen sich eine Welt aus Dreck, ohne Geist, und weil
ihnen das Gefühl für das Schöne abhanden gekommen ist, bringen sie ihren
Dreck nicht einmal mehr in schöne Form. Und weil sie weder die Schönheit
mehr sehen in der Natur, noch den Geist, der in ihr waltet, deshalb sind anch
ihre Erzellguisse die reine Unnatur und Unwahrheit, auch wenn sie sich den
schönen Namen Naturalisten beilegen. Das ist aber die innere Seite der
Sache, während meine Frage dahin ging, ob nicht ein Teil dieser Iämmcr-
lichkeiteu auch mit der ganz äußerlichen Form zusammenhängen möchte, in die
sie ihre Stoffe gießen.

Die ältern Realisten oder Naturalisten -- es sind ja nur Verschiedelle
Namen für dasselbe Ding, nur daß der Name darin einen feinen Unterschied


Die Folgen der Novelle

hat nicht allein im Materialismus ihren Grund und braucht ihn nicht darin
zu haben; ich kenne Menschen genug, die praktisch ganz Materialisten sind und
dennoch die heitersten und liebenswürdigsten Kunstwerke leisten; sie sind aber
dann theoretisch gar keine Materialisten, sinds eben ganz ohne zu denken, und
weil sie nicht denken, außer an ihr Handwerk — wie die und die Farben ans der
Leinwand sitzen sollen, und allenfalls noch wo es heute Leberknvdel giebt. Die
hier und anderswo mit persönlichem Materialismus verbundene Trostlosigkeit muß
zwillingsweise aus einer andern Wurzel mit ihm zusammen erwachsen sein, und
diese Wurzel ist auch oft sehr leicht erkenntlich; sie zeigt sich in den Stoffen, die
die Herren für ihre Kunstwerke wählen. Aber das ist auch bloß bei dem und jenem
der Fall. Selbst verrückt sind die Herren nicht immer, obgleich man sie alle
dafür halten mochte; sie sollen sich ja sonst ganz normal geberden und im
Übrigen ganz praktische Leute sein. Gescheide und begabt, d. h. mit guten
Augen und Darstellungsvermögen versehen sind sie auch. Woher kommt also
die Unnatur und Trostlosigkeit aller ihrer Geschöpfe, die als Folge von Geistes¬
krankheit bei ihren Erzeugern eben nur dann angenommen werden könnte, wenn
man wüßte oder vermuten könnte, sie hätten sich die Vernunft durch zu weit
gehenden praktischen Materialismus wegamüsirt?

Es ist nicht der Materialismus als solcher, der dein ganzen Trödel das
fatale Aussehen giebt, sondern die Unnatur, an der diese Produkte leiden;
der Materialismus müßte ja gerade sehr natürlich sein, denn er beschäftigt
sich mit der natürlichen Seite der Natur und hat somit im Prinzip nichts
Verworfenes an sich, auch wenn ihm die nötige Ergänzung des Geistigen
sehlt. Aber ein Materialist darf deshalb doch geistreich sein und heiter dazu.
Das zeigen die Griechen, die sogar die Personifikation des Materiellen, die
Zentanreu und Faune, in ihren Gebilden adelten, und die, wenn sie schon
Materialisten in ihrer Lebensauffassung gewesen sein mögen, ihr Leben schön
und heiter auszuleben wußten. Den müssiger Ausdruck haben unsre Modernen
daher, daß sie ihr Leben nicht schön auszuleben verstehen; sie sind unzufrieden,
selbstquälerisch, und weil sie der Geist nicht mehr erleuchten will, deshalb leugnen
sie den Geist. Und sie bauen sich eine Welt aus Dreck, ohne Geist, und weil
ihnen das Gefühl für das Schöne abhanden gekommen ist, bringen sie ihren
Dreck nicht einmal mehr in schöne Form. Und weil sie weder die Schönheit
mehr sehen in der Natur, noch den Geist, der in ihr waltet, deshalb sind anch
ihre Erzellguisse die reine Unnatur und Unwahrheit, auch wenn sie sich den
schönen Namen Naturalisten beilegen. Das ist aber die innere Seite der
Sache, während meine Frage dahin ging, ob nicht ein Teil dieser Iämmcr-
lichkeiteu auch mit der ganz äußerlichen Form zusammenhängen möchte, in die
sie ihre Stoffe gießen.

Die ältern Realisten oder Naturalisten — es sind ja nur Verschiedelle
Namen für dasselbe Ding, nur daß der Name darin einen feinen Unterschied


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[0283] Die Folgen der Novelle hat nicht allein im Materialismus ihren Grund und braucht ihn nicht darin zu haben; ich kenne Menschen genug, die praktisch ganz Materialisten sind und dennoch die heitersten und liebenswürdigsten Kunstwerke leisten; sie sind aber dann theoretisch gar keine Materialisten, sinds eben ganz ohne zu denken, und weil sie nicht denken, außer an ihr Handwerk — wie die und die Farben ans der Leinwand sitzen sollen, und allenfalls noch wo es heute Leberknvdel giebt. Die hier und anderswo mit persönlichem Materialismus verbundene Trostlosigkeit muß zwillingsweise aus einer andern Wurzel mit ihm zusammen erwachsen sein, und diese Wurzel ist auch oft sehr leicht erkenntlich; sie zeigt sich in den Stoffen, die die Herren für ihre Kunstwerke wählen. Aber das ist auch bloß bei dem und jenem der Fall. Selbst verrückt sind die Herren nicht immer, obgleich man sie alle dafür halten mochte; sie sollen sich ja sonst ganz normal geberden und im Übrigen ganz praktische Leute sein. Gescheide und begabt, d. h. mit guten Augen und Darstellungsvermögen versehen sind sie auch. Woher kommt also die Unnatur und Trostlosigkeit aller ihrer Geschöpfe, die als Folge von Geistes¬ krankheit bei ihren Erzeugern eben nur dann angenommen werden könnte, wenn man wüßte oder vermuten könnte, sie hätten sich die Vernunft durch zu weit gehenden praktischen Materialismus wegamüsirt? Es ist nicht der Materialismus als solcher, der dein ganzen Trödel das fatale Aussehen giebt, sondern die Unnatur, an der diese Produkte leiden; der Materialismus müßte ja gerade sehr natürlich sein, denn er beschäftigt sich mit der natürlichen Seite der Natur und hat somit im Prinzip nichts Verworfenes an sich, auch wenn ihm die nötige Ergänzung des Geistigen sehlt. Aber ein Materialist darf deshalb doch geistreich sein und heiter dazu. Das zeigen die Griechen, die sogar die Personifikation des Materiellen, die Zentanreu und Faune, in ihren Gebilden adelten, und die, wenn sie schon Materialisten in ihrer Lebensauffassung gewesen sein mögen, ihr Leben schön und heiter auszuleben wußten. Den müssiger Ausdruck haben unsre Modernen daher, daß sie ihr Leben nicht schön auszuleben verstehen; sie sind unzufrieden, selbstquälerisch, und weil sie der Geist nicht mehr erleuchten will, deshalb leugnen sie den Geist. Und sie bauen sich eine Welt aus Dreck, ohne Geist, und weil ihnen das Gefühl für das Schöne abhanden gekommen ist, bringen sie ihren Dreck nicht einmal mehr in schöne Form. Und weil sie weder die Schönheit mehr sehen in der Natur, noch den Geist, der in ihr waltet, deshalb sind anch ihre Erzellguisse die reine Unnatur und Unwahrheit, auch wenn sie sich den schönen Namen Naturalisten beilegen. Das ist aber die innere Seite der Sache, während meine Frage dahin ging, ob nicht ein Teil dieser Iämmcr- lichkeiteu auch mit der ganz äußerlichen Form zusammenhängen möchte, in die sie ihre Stoffe gießen. Die ältern Realisten oder Naturalisten — es sind ja nur Verschiedelle Namen für dasselbe Ding, nur daß der Name darin einen feinen Unterschied

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/283>, abgerufen am 05.02.2025.