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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Lüde

der Bauer bei dem Ban und der Einrichtung seines 5>vfes nicht auf Verhält¬
nisse Rücksicht nehmen, die so sehr dem steten Wechsel unterworfen sind wie
diese; er wird sich eben an einen gewöhnliche" Durchschnitt halten, er wird
alles über den altnblichen Leisten schlagen, und so kommt es, daß ein Hof
genau wie der andre aussieht.

Eine ähnliche Gleichförmigkeit zeigen die Ansiedelungen in vielen roma¬
nischen Gegenden, wiewohl aus ganz verschiednen Gründen. Im allgemeinen
hat hier schon seit geraumer Zeit eine weitgehende Zersplitterung des Grund¬
besitzes Platz gegriffen, die besonders da, wo der Bauer nur Pächter ist und
wo eine starke Bermehrnng der Bevölkerung stattfindet, wie beides in Italien
der Fall ist,") ein ländliches Proletariat geschaffen hat, das sich in seinen
baulicher Einrichtungen die größte Beschränkung auferlegen muß. Dazu kommt,
daß in den wärmeren Geländen des Mittelmeeres, wo der Herd der Küche
und die Kraft der ohnehin weniger häufig getrübten Sonne im Winter selbst
in den Gebirgen zur Erwärmung hinreicht und das gesellige wie das Familien¬
leben in weit höheren Maße als bei uns sich im Freien abspielt, die Ansprüche
des Landmannes an die Wohnung weit geringer sind als im Norden, lind
auch die Wirtschaft vereinfacht sich unter der heißeren Sonne und in dem
trockneren Klima. Wo die Dreschnrbeit, wie in Italien und Spanien, im
Freien vorgenommen wird und bedeckte Tennen und Scheunen nach nordischer
Art fehlen,"") wo bei dein Maugel an Wiesen und an künstlichem Fntterbnn
von einer ausgiebigen Milchwirtschaft nicht die Rede und bei den: Gebrauch
des Speiseöls auch kein Bedürfnis darnach vorhanden ist, dn kann der Vaner-
hof nnter sonst gleichen Verhältnissen nicht die behäbige und stattliche Ent-
wicklung gewinnen wie bei uns. Der Spielraum der in Hvfanlage und Hausbau
hervortretenden Verschiedenheiten wird bedeutend eingeengt und das Aussehen
der Dörfer wird gleichmäßiger, einförmiger, überhaupt kümmerlicher.

Neben diese, den sozialen Abstufungen des Besitzes entsprechende Ver¬
schiedenheit der Höfe stellt sich nun noch eine andre, die in der geschichtlichen
Entwicklung der Hofanlage selbst begründet ist. Die erste zeigt uns die
Lagerung im Raume neben einander, die zweite die Schichten der Zeit nach
einander. Wie jedes Hans drei Geschlechter in sich birgt, die Wirte, ihre
Kinder und ihre Eltern, so vereinigt gewissermaßen jedes Dorf drei Geschlechter¬
folgen von Häusern, denn das Leben des alten Holzhauses währt, bis es
dem Alter erliegt, im Durchschnitt etwa drei Jahrhunderte, nud jedes Jahr-




Fiir die italienischen Anschauung" ist es bezeichnend, daß die dortige Erbpacht
(vont)i-Ä.tlo "ii livvllv) -- ein sonst unerhiirter Fall -- Teilung "utar den Erben zuläßt.
S, Karyscheff, VoLno-nksIockstvomch uasoni /.emolj (Die Erbpacht). Se. Petersburg, 1885.
Seite 233.
**) Schon im nördlichen Frankreich enthalten die Scheunen in vielen Gegenden "ur
den Dreschraum, da die Garben in Feimen gesetzt werden.
Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Lüde

der Bauer bei dem Ban und der Einrichtung seines 5>vfes nicht auf Verhält¬
nisse Rücksicht nehmen, die so sehr dem steten Wechsel unterworfen sind wie
diese; er wird sich eben an einen gewöhnliche» Durchschnitt halten, er wird
alles über den altnblichen Leisten schlagen, und so kommt es, daß ein Hof
genau wie der andre aussieht.

Eine ähnliche Gleichförmigkeit zeigen die Ansiedelungen in vielen roma¬
nischen Gegenden, wiewohl aus ganz verschiednen Gründen. Im allgemeinen
hat hier schon seit geraumer Zeit eine weitgehende Zersplitterung des Grund¬
besitzes Platz gegriffen, die besonders da, wo der Bauer nur Pächter ist und
wo eine starke Bermehrnng der Bevölkerung stattfindet, wie beides in Italien
der Fall ist,") ein ländliches Proletariat geschaffen hat, das sich in seinen
baulicher Einrichtungen die größte Beschränkung auferlegen muß. Dazu kommt,
daß in den wärmeren Geländen des Mittelmeeres, wo der Herd der Küche
und die Kraft der ohnehin weniger häufig getrübten Sonne im Winter selbst
in den Gebirgen zur Erwärmung hinreicht und das gesellige wie das Familien¬
leben in weit höheren Maße als bei uns sich im Freien abspielt, die Ansprüche
des Landmannes an die Wohnung weit geringer sind als im Norden, lind
auch die Wirtschaft vereinfacht sich unter der heißeren Sonne und in dem
trockneren Klima. Wo die Dreschnrbeit, wie in Italien und Spanien, im
Freien vorgenommen wird und bedeckte Tennen und Scheunen nach nordischer
Art fehlen,"") wo bei dein Maugel an Wiesen und an künstlichem Fntterbnn
von einer ausgiebigen Milchwirtschaft nicht die Rede und bei den: Gebrauch
des Speiseöls auch kein Bedürfnis darnach vorhanden ist, dn kann der Vaner-
hof nnter sonst gleichen Verhältnissen nicht die behäbige und stattliche Ent-
wicklung gewinnen wie bei uns. Der Spielraum der in Hvfanlage und Hausbau
hervortretenden Verschiedenheiten wird bedeutend eingeengt und das Aussehen
der Dörfer wird gleichmäßiger, einförmiger, überhaupt kümmerlicher.

Neben diese, den sozialen Abstufungen des Besitzes entsprechende Ver¬
schiedenheit der Höfe stellt sich nun noch eine andre, die in der geschichtlichen
Entwicklung der Hofanlage selbst begründet ist. Die erste zeigt uns die
Lagerung im Raume neben einander, die zweite die Schichten der Zeit nach
einander. Wie jedes Hans drei Geschlechter in sich birgt, die Wirte, ihre
Kinder und ihre Eltern, so vereinigt gewissermaßen jedes Dorf drei Geschlechter¬
folgen von Häusern, denn das Leben des alten Holzhauses währt, bis es
dem Alter erliegt, im Durchschnitt etwa drei Jahrhunderte, nud jedes Jahr-




Fiir die italienischen Anschauung» ist es bezeichnend, daß die dortige Erbpacht
(vont)i-Ä.tlo «ii livvllv) — ein sonst unerhiirter Fall — Teilung »utar den Erben zuläßt.
S, Karyscheff, VoLno-nksIockstvomch uasoni /.emolj (Die Erbpacht). Se. Petersburg, 1885.
Seite 233.
**) Schon im nördlichen Frankreich enthalten die Scheunen in vielen Gegenden »ur
den Dreschraum, da die Garben in Feimen gesetzt werden.
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[0271] Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Lüde der Bauer bei dem Ban und der Einrichtung seines 5>vfes nicht auf Verhält¬ nisse Rücksicht nehmen, die so sehr dem steten Wechsel unterworfen sind wie diese; er wird sich eben an einen gewöhnliche» Durchschnitt halten, er wird alles über den altnblichen Leisten schlagen, und so kommt es, daß ein Hof genau wie der andre aussieht. Eine ähnliche Gleichförmigkeit zeigen die Ansiedelungen in vielen roma¬ nischen Gegenden, wiewohl aus ganz verschiednen Gründen. Im allgemeinen hat hier schon seit geraumer Zeit eine weitgehende Zersplitterung des Grund¬ besitzes Platz gegriffen, die besonders da, wo der Bauer nur Pächter ist und wo eine starke Bermehrnng der Bevölkerung stattfindet, wie beides in Italien der Fall ist,") ein ländliches Proletariat geschaffen hat, das sich in seinen baulicher Einrichtungen die größte Beschränkung auferlegen muß. Dazu kommt, daß in den wärmeren Geländen des Mittelmeeres, wo der Herd der Küche und die Kraft der ohnehin weniger häufig getrübten Sonne im Winter selbst in den Gebirgen zur Erwärmung hinreicht und das gesellige wie das Familien¬ leben in weit höheren Maße als bei uns sich im Freien abspielt, die Ansprüche des Landmannes an die Wohnung weit geringer sind als im Norden, lind auch die Wirtschaft vereinfacht sich unter der heißeren Sonne und in dem trockneren Klima. Wo die Dreschnrbeit, wie in Italien und Spanien, im Freien vorgenommen wird und bedeckte Tennen und Scheunen nach nordischer Art fehlen,"") wo bei dein Maugel an Wiesen und an künstlichem Fntterbnn von einer ausgiebigen Milchwirtschaft nicht die Rede und bei den: Gebrauch des Speiseöls auch kein Bedürfnis darnach vorhanden ist, dn kann der Vaner- hof nnter sonst gleichen Verhältnissen nicht die behäbige und stattliche Ent- wicklung gewinnen wie bei uns. Der Spielraum der in Hvfanlage und Hausbau hervortretenden Verschiedenheiten wird bedeutend eingeengt und das Aussehen der Dörfer wird gleichmäßiger, einförmiger, überhaupt kümmerlicher. Neben diese, den sozialen Abstufungen des Besitzes entsprechende Ver¬ schiedenheit der Höfe stellt sich nun noch eine andre, die in der geschichtlichen Entwicklung der Hofanlage selbst begründet ist. Die erste zeigt uns die Lagerung im Raume neben einander, die zweite die Schichten der Zeit nach einander. Wie jedes Hans drei Geschlechter in sich birgt, die Wirte, ihre Kinder und ihre Eltern, so vereinigt gewissermaßen jedes Dorf drei Geschlechter¬ folgen von Häusern, denn das Leben des alten Holzhauses währt, bis es dem Alter erliegt, im Durchschnitt etwa drei Jahrhunderte, nud jedes Jahr- Fiir die italienischen Anschauung» ist es bezeichnend, daß die dortige Erbpacht (vont)i-Ä.tlo «ii livvllv) — ein sonst unerhiirter Fall — Teilung »utar den Erben zuläßt. S, Karyscheff, VoLno-nksIockstvomch uasoni /.emolj (Die Erbpacht). Se. Petersburg, 1885. Seite 233. **) Schon im nördlichen Frankreich enthalten die Scheunen in vielen Gegenden »ur den Dreschraum, da die Garben in Feimen gesetzt werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/271>, abgerufen am 05.02.2025.