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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Ans den Denkwürdigkeiten des Herzogs von Koburg-Gotha

Am 21. August fand sich Schulze-Delitzsch bei dem Herzog ein, und
dieser eröffnete ihm seine Bereitwilligkeit, dem zu gründenden Verein in seinem
Lande Schutz zu gewähren, falls sich der Kvnstitnirung desselben in Frankfurt
Hindernisse entgegenstellen sollten. Er teilte ihm auch seiue Ansichten über den
Verein mit, und Schultze versprach, sein Möglichstes zu thun, daß die Sache
darnach ius Werk gesetzt würde. "Ju allen wesentlichen Punkten in voller Überein¬
stimmung -- sagt der Herzog in seinem Buche --, verabschiedeten wir uns zunächst
mit dem Wunsche, daß von unsern Vorverhandlungen kein weiterer Gebrauch
gemacht werdeu sollte, und erst als später die Frage über den Sitz des Ver¬
eins wirklich zu rascher Entscheidung gebracht werden mußte, trat mein Name
in unmittelbare Beziehung zu dem deutscheu Nationalvereine. Für seine Ent¬
stehung aber war das Datum des 21. August viel bedeutungsvoller, als man
damals und nachher gewußt hat." Am 9. September besuchten Bennigsen,
Unruh und der Weimarische Advokat Fries den Herzog, um mit ihm die letzten
Verabredungen vor der Frankfurter Versammlung zu treffen, und man einigte
sich, im wesentlichen nach den Grundsätzen zu verfahren, die er in seinen Denk¬
schriften niedergelegt hatte, auch "sprachen ihm die Herren ihre Überzeugung
aus, daß die Gründung eines allgemeinen nationalen Vereins nnter allen
Umständen eines sicheren letzten Rückhaltes in seiner Teilnahme bedürfe," da¬
gegen versicherten sie ihm auch, "daß der zu stark hervortretende Anteil einer
fürstlichen Person geeignet wäre, dem Unternehmen mehr zu schaden als zu
nützen." Vielleicht hatte der Herzog gleich mit nach Frankfurt gewollt. Jetzt
ging für ihn Francke aus Koburg hin. Die Versammlung in Frankfurt war
fast in allen Beziehungen ein treues Bild der deutschen Unklarheit und Rat¬
losigkeit über die Mittel und Wege, wie die allerseits gewünschte Einigung zu
erzielen sei, sowie der Meinungsverschiedenheit, die Süd und Nord trennten.
Das trat schou am ersten Tage der Besprechungen, um 15. September, hervor,
wo etwa 150 Personen erschienen waren; ja schon das vorbereitende Komitee
hatte sich nicht über die Stellung einigen können, die der Verein Preußen
gegenüber einzunehmen habe. Besonders die Schwaben hatten die Erklärungen
des preußischen Kabinets ans die dem Prinz-Regenten überreichte Stettiner
Adresse als ganz ungenügend bezeichnet, Vertrauen zur Führung Preußens zu
erwecken. In der Hauptversammlung vom 16. September gaben sich die
Gegensätze noch viel schärfer kund. Die Demokratie ließ sich in der Debatte
mit äußerster Heftigkeit vernehmen. Es wurde das Rezept von 1848 em¬
pfohlen, und es wurden Stimmen laut, die sich bereit erklärten, im Notfalle
die Nation mit Gewalt aus deu Händen der Reaktion und der Fürsten zu
retten. Zugleich redeten die Anhänger Österreichs dreister und vernehmlicher
als die Preußens, das Mißtrauen und die Geringschätzung gegen Preußen über¬
wogen. Die Süddeutschen warfen ihm die Ablehnung der Kaiserwürde mit
dem Bemerken vor, mau wolle sich im Süden keinen zweiten Korb holen. So


Ans den Denkwürdigkeiten des Herzogs von Koburg-Gotha

Am 21. August fand sich Schulze-Delitzsch bei dem Herzog ein, und
dieser eröffnete ihm seine Bereitwilligkeit, dem zu gründenden Verein in seinem
Lande Schutz zu gewähren, falls sich der Kvnstitnirung desselben in Frankfurt
Hindernisse entgegenstellen sollten. Er teilte ihm auch seiue Ansichten über den
Verein mit, und Schultze versprach, sein Möglichstes zu thun, daß die Sache
darnach ius Werk gesetzt würde. „Ju allen wesentlichen Punkten in voller Überein¬
stimmung — sagt der Herzog in seinem Buche —, verabschiedeten wir uns zunächst
mit dem Wunsche, daß von unsern Vorverhandlungen kein weiterer Gebrauch
gemacht werdeu sollte, und erst als später die Frage über den Sitz des Ver¬
eins wirklich zu rascher Entscheidung gebracht werden mußte, trat mein Name
in unmittelbare Beziehung zu dem deutscheu Nationalvereine. Für seine Ent¬
stehung aber war das Datum des 21. August viel bedeutungsvoller, als man
damals und nachher gewußt hat." Am 9. September besuchten Bennigsen,
Unruh und der Weimarische Advokat Fries den Herzog, um mit ihm die letzten
Verabredungen vor der Frankfurter Versammlung zu treffen, und man einigte
sich, im wesentlichen nach den Grundsätzen zu verfahren, die er in seinen Denk¬
schriften niedergelegt hatte, auch „sprachen ihm die Herren ihre Überzeugung
aus, daß die Gründung eines allgemeinen nationalen Vereins nnter allen
Umständen eines sicheren letzten Rückhaltes in seiner Teilnahme bedürfe," da¬
gegen versicherten sie ihm auch, „daß der zu stark hervortretende Anteil einer
fürstlichen Person geeignet wäre, dem Unternehmen mehr zu schaden als zu
nützen." Vielleicht hatte der Herzog gleich mit nach Frankfurt gewollt. Jetzt
ging für ihn Francke aus Koburg hin. Die Versammlung in Frankfurt war
fast in allen Beziehungen ein treues Bild der deutschen Unklarheit und Rat¬
losigkeit über die Mittel und Wege, wie die allerseits gewünschte Einigung zu
erzielen sei, sowie der Meinungsverschiedenheit, die Süd und Nord trennten.
Das trat schou am ersten Tage der Besprechungen, um 15. September, hervor,
wo etwa 150 Personen erschienen waren; ja schon das vorbereitende Komitee
hatte sich nicht über die Stellung einigen können, die der Verein Preußen
gegenüber einzunehmen habe. Besonders die Schwaben hatten die Erklärungen
des preußischen Kabinets ans die dem Prinz-Regenten überreichte Stettiner
Adresse als ganz ungenügend bezeichnet, Vertrauen zur Führung Preußens zu
erwecken. In der Hauptversammlung vom 16. September gaben sich die
Gegensätze noch viel schärfer kund. Die Demokratie ließ sich in der Debatte
mit äußerster Heftigkeit vernehmen. Es wurde das Rezept von 1848 em¬
pfohlen, und es wurden Stimmen laut, die sich bereit erklärten, im Notfalle
die Nation mit Gewalt aus deu Händen der Reaktion und der Fürsten zu
retten. Zugleich redeten die Anhänger Österreichs dreister und vernehmlicher
als die Preußens, das Mißtrauen und die Geringschätzung gegen Preußen über¬
wogen. Die Süddeutschen warfen ihm die Ablehnung der Kaiserwürde mit
dem Bemerken vor, mau wolle sich im Süden keinen zweiten Korb holen. So


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/260>, abgerufen am 05.02.2025.