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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Wiener Litteratur

Erfindung von Kleinigkeiten, und damit verzehrt er i" freudloser Tages¬
arbeit eine Begabung, die vielleicht zu größer" Leistungen berufen wäre.
Also nur selten und vereinzelt kann die Feuilletvnnovelle zu bleibenden! Werte
gelangen, und wenn der Schriftsteller dann in begreiflichein Ehrgeiz die kleinen
Geschichten zu einem Buche ordnet, muß man ihn noch loben, wenn er selbst
eine kritische Auswahl getroffen hat. Häufig findet man solche strenge Selbst¬
kritik auch nicht.

Aus einer vierten Snmmluug solcher kleinen heiteren Geschichten, die
Ludwig Hevesi neuerdings herausgegeben hat, aus dem Buch der Laune
(Stuttgart, Bonz, 1889) wird mau uur wenige Stücke missen wollen, nämlich
die, in denen der Wortwitz, der Kalauer, die Karrikatur oder die Tollheit
schlechtweg überwiegen, die Hevesi zuweilen für Humor ausgeben möchte; "Mosel¬
fahrt," "Die Amerikaner von Rothenburg," "Miß Nigg," "Gift" würden ganz
leicht entbehrt werden. Es ergeht uns mit Hevesis Humor ganz eigen. Das
Urteil eines seiner Freunde: "Hevesi ist für Süddeutschland von derselben Be¬
deutung, wie Wilhelm Raabe für Norddentschlnnd" halten wir für eine
geschmacklose Übertreibung. An so bedeutender Gestaltungskraft fehlt es dem
Dichter Hevesi, und das ist umso merkwürdiger, als der ausgezeichnete Kritiker
Hevesi mit seiner Begabung, künstlerische Individualitäten feinsinnig darzustellen,
uns jedesmal aufrichtige Freude bereitet. Aber wenn Hevesi dichtet, ist es
meist eine heitere UnUiahrscheinlichkeit, die uns nur durch ihre Phantasterei
etwas versöhnen kann; sein Humor hat oft etwas gequältes, wobei man es nicht
einmal zum Schmunzeln bringen kann. Dagegen gefällt er uns um so besser,
je schlichter und absichtsloser er erzählt; denn er weiß gut zuzuspitzen, und
seine reiche Bildung ist auch ein wirksames Element. Hevesis Phantasie ist
überall heimisch: in den Ateliers der Künstler und in der Kontorstube der
gewöhnlichen Menschen; in Italien und den dentschen Alpen, im Dorf und in
der Stadt, in Wien und auf der ungarischen Pußtn. Seine humoristischen
Wirkungen sucht er häufig durch Übertreibungen zu erreichen, so wenn er
Prahlhänse oder Betrunkene schildert; aber einige Stücke, wie "Jutta," "Domenico
Fanulla," "Das Christkind," "Onkel Fritz" sind von echtem Humor erfüllt:
da stellt er kluge oder unkluge Naivität in den Kontrast mit der bösen Welt und
erreicht damit sentir:meat-humoristische Wirkung.

Einer zweiteuSammlung von Wiener Feuilletonuvvellen: Kreuz und Quer.
Erzählungen aus meinem Wanderleben von Wilhelm Läufer (Stuttgart, Bonz,
1389) fehlt es an dem schillernden Farbenreichtum der Hevesischeu Phantastik,
aber sie hinterläßt einen wohlthuenden Eindruck durch die ruhige, gebildete
Prosa, die Läufer eigentümlich ist. Von Haus aus ein Tübinger Stiftler, der
sich dann vorwiegend politischen und kunstgeschichtlichen Studien zugewandt
hat, verfügt Läufer über einen gediegenen Schatz von Bildung, der sich zunächst
in seinem guten Deutsch zeigt. Seine Skizzen führen uns nach Tübingen


Wiener Litteratur

Erfindung von Kleinigkeiten, und damit verzehrt er i» freudloser Tages¬
arbeit eine Begabung, die vielleicht zu größer» Leistungen berufen wäre.
Also nur selten und vereinzelt kann die Feuilletvnnovelle zu bleibenden! Werte
gelangen, und wenn der Schriftsteller dann in begreiflichein Ehrgeiz die kleinen
Geschichten zu einem Buche ordnet, muß man ihn noch loben, wenn er selbst
eine kritische Auswahl getroffen hat. Häufig findet man solche strenge Selbst¬
kritik auch nicht.

Aus einer vierten Snmmluug solcher kleinen heiteren Geschichten, die
Ludwig Hevesi neuerdings herausgegeben hat, aus dem Buch der Laune
(Stuttgart, Bonz, 1889) wird mau uur wenige Stücke missen wollen, nämlich
die, in denen der Wortwitz, der Kalauer, die Karrikatur oder die Tollheit
schlechtweg überwiegen, die Hevesi zuweilen für Humor ausgeben möchte; „Mosel¬
fahrt," „Die Amerikaner von Rothenburg," „Miß Nigg," „Gift" würden ganz
leicht entbehrt werden. Es ergeht uns mit Hevesis Humor ganz eigen. Das
Urteil eines seiner Freunde: „Hevesi ist für Süddeutschland von derselben Be¬
deutung, wie Wilhelm Raabe für Norddentschlnnd" halten wir für eine
geschmacklose Übertreibung. An so bedeutender Gestaltungskraft fehlt es dem
Dichter Hevesi, und das ist umso merkwürdiger, als der ausgezeichnete Kritiker
Hevesi mit seiner Begabung, künstlerische Individualitäten feinsinnig darzustellen,
uns jedesmal aufrichtige Freude bereitet. Aber wenn Hevesi dichtet, ist es
meist eine heitere UnUiahrscheinlichkeit, die uns nur durch ihre Phantasterei
etwas versöhnen kann; sein Humor hat oft etwas gequältes, wobei man es nicht
einmal zum Schmunzeln bringen kann. Dagegen gefällt er uns um so besser,
je schlichter und absichtsloser er erzählt; denn er weiß gut zuzuspitzen, und
seine reiche Bildung ist auch ein wirksames Element. Hevesis Phantasie ist
überall heimisch: in den Ateliers der Künstler und in der Kontorstube der
gewöhnlichen Menschen; in Italien und den dentschen Alpen, im Dorf und in
der Stadt, in Wien und auf der ungarischen Pußtn. Seine humoristischen
Wirkungen sucht er häufig durch Übertreibungen zu erreichen, so wenn er
Prahlhänse oder Betrunkene schildert; aber einige Stücke, wie „Jutta," „Domenico
Fanulla," „Das Christkind," „Onkel Fritz" sind von echtem Humor erfüllt:
da stellt er kluge oder unkluge Naivität in den Kontrast mit der bösen Welt und
erreicht damit sentir:meat-humoristische Wirkung.

Einer zweiteuSammlung von Wiener Feuilletonuvvellen: Kreuz und Quer.
Erzählungen aus meinem Wanderleben von Wilhelm Läufer (Stuttgart, Bonz,
1389) fehlt es an dem schillernden Farbenreichtum der Hevesischeu Phantastik,
aber sie hinterläßt einen wohlthuenden Eindruck durch die ruhige, gebildete
Prosa, die Läufer eigentümlich ist. Von Haus aus ein Tübinger Stiftler, der
sich dann vorwiegend politischen und kunstgeschichtlichen Studien zugewandt
hat, verfügt Läufer über einen gediegenen Schatz von Bildung, der sich zunächst
in seinem guten Deutsch zeigt. Seine Skizzen führen uns nach Tübingen


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[0238] Wiener Litteratur Erfindung von Kleinigkeiten, und damit verzehrt er i» freudloser Tages¬ arbeit eine Begabung, die vielleicht zu größer» Leistungen berufen wäre. Also nur selten und vereinzelt kann die Feuilletvnnovelle zu bleibenden! Werte gelangen, und wenn der Schriftsteller dann in begreiflichein Ehrgeiz die kleinen Geschichten zu einem Buche ordnet, muß man ihn noch loben, wenn er selbst eine kritische Auswahl getroffen hat. Häufig findet man solche strenge Selbst¬ kritik auch nicht. Aus einer vierten Snmmluug solcher kleinen heiteren Geschichten, die Ludwig Hevesi neuerdings herausgegeben hat, aus dem Buch der Laune (Stuttgart, Bonz, 1889) wird mau uur wenige Stücke missen wollen, nämlich die, in denen der Wortwitz, der Kalauer, die Karrikatur oder die Tollheit schlechtweg überwiegen, die Hevesi zuweilen für Humor ausgeben möchte; „Mosel¬ fahrt," „Die Amerikaner von Rothenburg," „Miß Nigg," „Gift" würden ganz leicht entbehrt werden. Es ergeht uns mit Hevesis Humor ganz eigen. Das Urteil eines seiner Freunde: „Hevesi ist für Süddeutschland von derselben Be¬ deutung, wie Wilhelm Raabe für Norddentschlnnd" halten wir für eine geschmacklose Übertreibung. An so bedeutender Gestaltungskraft fehlt es dem Dichter Hevesi, und das ist umso merkwürdiger, als der ausgezeichnete Kritiker Hevesi mit seiner Begabung, künstlerische Individualitäten feinsinnig darzustellen, uns jedesmal aufrichtige Freude bereitet. Aber wenn Hevesi dichtet, ist es meist eine heitere UnUiahrscheinlichkeit, die uns nur durch ihre Phantasterei etwas versöhnen kann; sein Humor hat oft etwas gequältes, wobei man es nicht einmal zum Schmunzeln bringen kann. Dagegen gefällt er uns um so besser, je schlichter und absichtsloser er erzählt; denn er weiß gut zuzuspitzen, und seine reiche Bildung ist auch ein wirksames Element. Hevesis Phantasie ist überall heimisch: in den Ateliers der Künstler und in der Kontorstube der gewöhnlichen Menschen; in Italien und den dentschen Alpen, im Dorf und in der Stadt, in Wien und auf der ungarischen Pußtn. Seine humoristischen Wirkungen sucht er häufig durch Übertreibungen zu erreichen, so wenn er Prahlhänse oder Betrunkene schildert; aber einige Stücke, wie „Jutta," „Domenico Fanulla," „Das Christkind," „Onkel Fritz" sind von echtem Humor erfüllt: da stellt er kluge oder unkluge Naivität in den Kontrast mit der bösen Welt und erreicht damit sentir:meat-humoristische Wirkung. Einer zweiteuSammlung von Wiener Feuilletonuvvellen: Kreuz und Quer. Erzählungen aus meinem Wanderleben von Wilhelm Läufer (Stuttgart, Bonz, 1389) fehlt es an dem schillernden Farbenreichtum der Hevesischeu Phantastik, aber sie hinterläßt einen wohlthuenden Eindruck durch die ruhige, gebildete Prosa, die Läufer eigentümlich ist. Von Haus aus ein Tübinger Stiftler, der sich dann vorwiegend politischen und kunstgeschichtlichen Studien zugewandt hat, verfügt Läufer über einen gediegenen Schatz von Bildung, der sich zunächst in seinem guten Deutsch zeigt. Seine Skizzen führen uns nach Tübingen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/238>, abgerufen am 05.02.2025.