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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Wiener Litteratur
(Schluß)

n die Reihe der typischen Charakterbilder aus der Wiener Ge¬
sellschaft gehört auch die zweite Novelle "Seligmann Hirsch."
Ans der jüdischen Geldaristokratie, bei der Ferdinand von Saar
seit langen Jahren aus- und eingeht (das neue Buch selbst ist
der Baronin Tedesco gewidmet), hat er sich eine köstliche Figur
herausgeholt und sie, rein künstlerisch, mit jener trocknen Sachlichkeit, die seiner
Prosa überhaupt eigentümlich ist, aber auch mit einer tief eindringenden Seelen¬
kenntnis geschildert. Seligmann Hirsch ist der Vater des im Zeitalter des
"volkswirtschaftlichen Aufschwunges" zu Geld und Würden gekommenen jü¬
dischen Finanzgenies, der Großvater des gegenwärtigen Geschlechts, das die
Spuren des Judentums kaum noch sichtbar trägt. Seligmann Hirsch ist das
tmlÄnt, terriblo des großen Hauses, das sein Sohn, ein feingebildeter Mann,
ein studirter Jurist, in gastfreier Weise führt. Seine Schwiegertochter hat
nämlich den Ehrgeiz, die berühmten Männer der Politik, der Kunst und Litte¬
ratur Wiens in ihrem Salon zu versammeln, abee, der alte Seligmann will
mit seiner Uuerzogenheit gar nicht in diesen Kreis hineinpassen. Er ist ein
kindischer Manu, eitel ans die Erfolge seines mit vielen Opfern gebildeten
Sohnes, er möchte sich sonnen in seinem Glücke. Er begreift nicht, daß er
mit seinem schnarrenden, häßlichen Deutsch, mit seiner Untertänigkeit, die un¬
versehens in Anmaßung umschlägt, welche dann in allerlei Dinge, die ihn gar
nichts angehen, dreinspricht, mit seiner Bauernart, sich mit aller Welt gleich
auf vertraulichen Fuß zu stellen, dein ersten besten Fremden seine innersten
Herzensangelegenheiten auszukramen, dem neuen Geschlecht ein Dorn im Auge
ist. Man schämt sich seiner und trachtet, ihn so gilt als möglich fern zu halten.
Man mietet ihn in der Vorstadt ein oder schickt ihn ans ein ungarisches Gut
oder in ein entlegenes Bad. Aber alles umsonst! man wird den zähen Alten
nicht los. Überall macht er sich durch sein unartiges, protziges Wesen mi߬
liebig. Auch sein echt jüdischer Familiensinn erfüllt ihn mit nagender Sehn-,
sucht nach seinem Sohne und seinen Enkeln, die er immerfort prahlerisch im
Munde sührt, und die er doch nicht sehen darf. Das macht den alten Ma¬
terialisten wirklich unglücklich, und wie widerwärtig der Geselle auch sein mag:




Wiener Litteratur
(Schluß)

n die Reihe der typischen Charakterbilder aus der Wiener Ge¬
sellschaft gehört auch die zweite Novelle „Seligmann Hirsch."
Ans der jüdischen Geldaristokratie, bei der Ferdinand von Saar
seit langen Jahren aus- und eingeht (das neue Buch selbst ist
der Baronin Tedesco gewidmet), hat er sich eine köstliche Figur
herausgeholt und sie, rein künstlerisch, mit jener trocknen Sachlichkeit, die seiner
Prosa überhaupt eigentümlich ist, aber auch mit einer tief eindringenden Seelen¬
kenntnis geschildert. Seligmann Hirsch ist der Vater des im Zeitalter des
„volkswirtschaftlichen Aufschwunges" zu Geld und Würden gekommenen jü¬
dischen Finanzgenies, der Großvater des gegenwärtigen Geschlechts, das die
Spuren des Judentums kaum noch sichtbar trägt. Seligmann Hirsch ist das
tmlÄnt, terriblo des großen Hauses, das sein Sohn, ein feingebildeter Mann,
ein studirter Jurist, in gastfreier Weise führt. Seine Schwiegertochter hat
nämlich den Ehrgeiz, die berühmten Männer der Politik, der Kunst und Litte¬
ratur Wiens in ihrem Salon zu versammeln, abee, der alte Seligmann will
mit seiner Uuerzogenheit gar nicht in diesen Kreis hineinpassen. Er ist ein
kindischer Manu, eitel ans die Erfolge seines mit vielen Opfern gebildeten
Sohnes, er möchte sich sonnen in seinem Glücke. Er begreift nicht, daß er
mit seinem schnarrenden, häßlichen Deutsch, mit seiner Untertänigkeit, die un¬
versehens in Anmaßung umschlägt, welche dann in allerlei Dinge, die ihn gar
nichts angehen, dreinspricht, mit seiner Bauernart, sich mit aller Welt gleich
auf vertraulichen Fuß zu stellen, dein ersten besten Fremden seine innersten
Herzensangelegenheiten auszukramen, dem neuen Geschlecht ein Dorn im Auge
ist. Man schämt sich seiner und trachtet, ihn so gilt als möglich fern zu halten.
Man mietet ihn in der Vorstadt ein oder schickt ihn ans ein ungarisches Gut
oder in ein entlegenes Bad. Aber alles umsonst! man wird den zähen Alten
nicht los. Überall macht er sich durch sein unartiges, protziges Wesen mi߬
liebig. Auch sein echt jüdischer Familiensinn erfüllt ihn mit nagender Sehn-,
sucht nach seinem Sohne und seinen Enkeln, die er immerfort prahlerisch im
Munde sührt, und die er doch nicht sehen darf. Das macht den alten Ma¬
terialisten wirklich unglücklich, und wie widerwärtig der Geselle auch sein mag:


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[0232] [Abbildung] Wiener Litteratur (Schluß) n die Reihe der typischen Charakterbilder aus der Wiener Ge¬ sellschaft gehört auch die zweite Novelle „Seligmann Hirsch." Ans der jüdischen Geldaristokratie, bei der Ferdinand von Saar seit langen Jahren aus- und eingeht (das neue Buch selbst ist der Baronin Tedesco gewidmet), hat er sich eine köstliche Figur herausgeholt und sie, rein künstlerisch, mit jener trocknen Sachlichkeit, die seiner Prosa überhaupt eigentümlich ist, aber auch mit einer tief eindringenden Seelen¬ kenntnis geschildert. Seligmann Hirsch ist der Vater des im Zeitalter des „volkswirtschaftlichen Aufschwunges" zu Geld und Würden gekommenen jü¬ dischen Finanzgenies, der Großvater des gegenwärtigen Geschlechts, das die Spuren des Judentums kaum noch sichtbar trägt. Seligmann Hirsch ist das tmlÄnt, terriblo des großen Hauses, das sein Sohn, ein feingebildeter Mann, ein studirter Jurist, in gastfreier Weise führt. Seine Schwiegertochter hat nämlich den Ehrgeiz, die berühmten Männer der Politik, der Kunst und Litte¬ ratur Wiens in ihrem Salon zu versammeln, abee, der alte Seligmann will mit seiner Uuerzogenheit gar nicht in diesen Kreis hineinpassen. Er ist ein kindischer Manu, eitel ans die Erfolge seines mit vielen Opfern gebildeten Sohnes, er möchte sich sonnen in seinem Glücke. Er begreift nicht, daß er mit seinem schnarrenden, häßlichen Deutsch, mit seiner Untertänigkeit, die un¬ versehens in Anmaßung umschlägt, welche dann in allerlei Dinge, die ihn gar nichts angehen, dreinspricht, mit seiner Bauernart, sich mit aller Welt gleich auf vertraulichen Fuß zu stellen, dein ersten besten Fremden seine innersten Herzensangelegenheiten auszukramen, dem neuen Geschlecht ein Dorn im Auge ist. Man schämt sich seiner und trachtet, ihn so gilt als möglich fern zu halten. Man mietet ihn in der Vorstadt ein oder schickt ihn ans ein ungarisches Gut oder in ein entlegenes Bad. Aber alles umsonst! man wird den zähen Alten nicht los. Überall macht er sich durch sein unartiges, protziges Wesen mi߬ liebig. Auch sein echt jüdischer Familiensinn erfüllt ihn mit nagender Sehn-, sucht nach seinem Sohne und seinen Enkeln, die er immerfort prahlerisch im Munde sührt, und die er doch nicht sehen darf. Das macht den alten Ma¬ terialisten wirklich unglücklich, und wie widerwärtig der Geselle auch sein mag:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/232>, abgerufen am 05.02.2025.