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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Akademisches Studium und allgemeine Bildung

besondern Berufs in die rechte Verbindung zu bringen, die das 51 on solwlav.
Lo<1 vitas äiseimus an ihnen zu segensreicher Wahrheit werden lassen kann.

Inwieweit dergleichen Vorschläge einmal praktische Bedeutung erlangen
werden, muß dahingestellt bleiben. Die Entscheidung darüber liegt bei der
akademischen Jugend selbst. Bei ehrlicher Selbstprüfung wird diese das Vor¬
handensein der gerügten Mißstände selbst zugeben müssen und eingestehen, daß
die zur Zeit vorherrschende Strömung den einzelne" wirklich zu nachteiliger
Einseitigkeit des Studiums verleitet, und zwar nicht bloß in den leider ;n
nicht seltenen Fällen, wo es gilt, während der letzten Semester in überstürzter
Arbeit die für die drohende Prüfung unerläßlichen Kenntnisse eilig zusammen-
zuraffen, weil die erste" Semester infolge einer verhängnisvolle!! Mißdeutung
der akademischen Freiheit sowohl für die allgemeine wie für die besondre Be¬
rufsbildung verloren gegangen sind. Wird dagegen der Begriff der akade¬
mischen Freiheit, den die Kommilitonen so gern und mit Stolz im Munde
führen, weil nichts den kostbaren Vorzug, dessen der deutsche Student sich
erfreut, kürzer und treffender zum Ausdruck bringt, richtig erfaßt und nicht
bloß auf zwar reizvolle, aber doch des dauernden Wertes entbehrende Äußer¬
lichkeiten gedeutet, sondern auf das geistige Gebiet angewandt und auf das
wissenschaftliche Leben bezogen, von dem er ursprünglich allein gegolten hat,
so wird sich daraus ganz von selbst ein ebenso einfaches wie wirksames Mittel
ergeben gegen die allmählich üblich gewordene beschränkte Einseitigkeit des aka¬
demischen Studiums.

Jene Schulen nämlich, wie sie im zwölften Jahrhundert aus der freien
Vereinigung lernbegieriger Jünglinge um bedeutende Lehrer zahlreich ent-
standen und die Vorlänferinnen der Universitäten wurden, stellten sich eben
durch die völlige Freiheit der ihren Angehörigen gemeinsamen wissenschaftliche!!
Arbeit, die von der bisher üblichen mechanischen Art des Studiums grund¬
verschieden war, mit Bewußtsein und Absicht den Klosterschulen entgegen, in
denen nur ganz bestimmte Dinge nach einer bestimmten Schablone unter harter
mönchischer Zucht getrieben wurden. Diese in glücklicher Unabhängigkeit um
ihre Magister versammelten Scholaren freuten sich, der Unfreiheit des mön¬
chischen Unterrichts entkommen, ganz nach eigner Lust und Neigung die neu
erschlossenen Gebiete der sich von der Kirche freimachende!! Wissenschaft durch¬
streifen zu können. Das war die ursprüngliche, die eigentliche akademische
Freiheit. Alles andre, was mau sonst noch darunter zu begreifen pflegt, ist
erst allmählich von dorther abgeleitet worden als eine dnrch die Verhältnisse
veranlaßte oder -- entschuldigte Konsequenz.

Ein größerer Gegensatz aber, als er zwischen dem freien Lehren und
Lernen jener Gelehrtenrepubliken des zwölften Jahrhunderts und dem mecha¬
nischen Treiben der Klosterschulen bestanden hat, besteht heutigen Tages zwischen
der dem Begriffe der akademischen Freiheit entsprechenden, richtigen Art des


Akademisches Studium und allgemeine Bildung

besondern Berufs in die rechte Verbindung zu bringen, die das 51 on solwlav.
Lo<1 vitas äiseimus an ihnen zu segensreicher Wahrheit werden lassen kann.

Inwieweit dergleichen Vorschläge einmal praktische Bedeutung erlangen
werden, muß dahingestellt bleiben. Die Entscheidung darüber liegt bei der
akademischen Jugend selbst. Bei ehrlicher Selbstprüfung wird diese das Vor¬
handensein der gerügten Mißstände selbst zugeben müssen und eingestehen, daß
die zur Zeit vorherrschende Strömung den einzelne» wirklich zu nachteiliger
Einseitigkeit des Studiums verleitet, und zwar nicht bloß in den leider ;n
nicht seltenen Fällen, wo es gilt, während der letzten Semester in überstürzter
Arbeit die für die drohende Prüfung unerläßlichen Kenntnisse eilig zusammen-
zuraffen, weil die erste» Semester infolge einer verhängnisvolle!! Mißdeutung
der akademischen Freiheit sowohl für die allgemeine wie für die besondre Be¬
rufsbildung verloren gegangen sind. Wird dagegen der Begriff der akade¬
mischen Freiheit, den die Kommilitonen so gern und mit Stolz im Munde
führen, weil nichts den kostbaren Vorzug, dessen der deutsche Student sich
erfreut, kürzer und treffender zum Ausdruck bringt, richtig erfaßt und nicht
bloß auf zwar reizvolle, aber doch des dauernden Wertes entbehrende Äußer¬
lichkeiten gedeutet, sondern auf das geistige Gebiet angewandt und auf das
wissenschaftliche Leben bezogen, von dem er ursprünglich allein gegolten hat,
so wird sich daraus ganz von selbst ein ebenso einfaches wie wirksames Mittel
ergeben gegen die allmählich üblich gewordene beschränkte Einseitigkeit des aka¬
demischen Studiums.

Jene Schulen nämlich, wie sie im zwölften Jahrhundert aus der freien
Vereinigung lernbegieriger Jünglinge um bedeutende Lehrer zahlreich ent-
standen und die Vorlänferinnen der Universitäten wurden, stellten sich eben
durch die völlige Freiheit der ihren Angehörigen gemeinsamen wissenschaftliche!!
Arbeit, die von der bisher üblichen mechanischen Art des Studiums grund¬
verschieden war, mit Bewußtsein und Absicht den Klosterschulen entgegen, in
denen nur ganz bestimmte Dinge nach einer bestimmten Schablone unter harter
mönchischer Zucht getrieben wurden. Diese in glücklicher Unabhängigkeit um
ihre Magister versammelten Scholaren freuten sich, der Unfreiheit des mön¬
chischen Unterrichts entkommen, ganz nach eigner Lust und Neigung die neu
erschlossenen Gebiete der sich von der Kirche freimachende!! Wissenschaft durch¬
streifen zu können. Das war die ursprüngliche, die eigentliche akademische
Freiheit. Alles andre, was mau sonst noch darunter zu begreifen pflegt, ist
erst allmählich von dorther abgeleitet worden als eine dnrch die Verhältnisse
veranlaßte oder — entschuldigte Konsequenz.

Ein größerer Gegensatz aber, als er zwischen dem freien Lehren und
Lernen jener Gelehrtenrepubliken des zwölften Jahrhunderts und dem mecha¬
nischen Treiben der Klosterschulen bestanden hat, besteht heutigen Tages zwischen
der dem Begriffe der akademischen Freiheit entsprechenden, richtigen Art des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/230>, abgerufen am 05.02.2025.