Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Student wenigstens ans einem, wenn auch eng umgrenzten Gebiete selbst wissen¬ Aber auch die Interessen der allgemeinen Bildung werden dadurch ge¬ Noch ist es ja gar nicht so lange her, daß es für jeden Studenten selbst¬ Grenzboten II IL8S 28
Student wenigstens ans einem, wenn auch eng umgrenzten Gebiete selbst wissen¬ Aber auch die Interessen der allgemeinen Bildung werden dadurch ge¬ Noch ist es ja gar nicht so lange her, daß es für jeden Studenten selbst¬ Grenzboten II IL8S 28
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0225" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204956"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_584" prev="#ID_583"> Student wenigstens ans einem, wenn auch eng umgrenzten Gebiete selbst wissen¬<lb/> schaftlich arbeitet, selbst einen Versuch zur Forschung macht. Nur wer so von<lb/> einem, durch eigne Kraft eroberten festen Punkt aus sich in seinem Fache<lb/> heimisch gemacht hat, wird das Fach im ganzen übersel,en und in seinen<lb/> einzelnen Teilen beherrschen. Es ist dem gegenüber zu bedauern, daß manche<lb/> neuere Prüfungsordnung viel mehr den äußern Umfang der Kenntnisse als die<lb/> Intensität der geistigen Arbeit betont, die auf Durchdringung der wissenschaft¬<lb/> lichen Prinzipien verwandt worden ist. Das gilt namentlich auch von der<lb/> Prüfungsordnung für die Kandidaten des höhern Schnlamtes, welche deren<lb/> Prüfungsarbeiten des frühern wissenschaftlichen Charakters einigermaßen beraubt<lb/> hat, schon durch die knappe Bemessung der dafür gewährten Zeit, dann aber<lb/> auch dadurch, daß das Gesamtnrteit sich schließlich nach der Zahl der Fächer<lb/> bestimmt, in denen eine Lehrbefähigung erworben worden ist. Denn rücksicht¬<lb/> lich seiner Verwendbarkeit und daher seiner Anstellungssähigkeit steht nun der<lb/> ausgezeichnetste Philologe, Historiker oder Mathematiker jedem Konkurrenten<lb/> nach, der mit seinen Kenntnissen dem Reglement „eben noch" gelingt, sich<lb/> daneben aber ähnliche, „eben noch genügende" Kenntnisse in einem oder mehreren<lb/> andern Fächern erworben hat. Dadurch wird das wissenschaftliche Interesse<lb/> und das rechte wissenschaftliche Streben bei der jüngern Lehrerwelt geschädigt,<lb/> weil diese veranlaßt wird, ihre Studien von vornherein nicht mehr in die Tiefe,<lb/> sondern auf eine gewisse euehklopädische Übersicht mehrerer Fächer zu richten.<lb/> Daher fehlt ihr, wie neuerdings so oft geklagt wird, nachher die lebendige<lb/> Fühlung mit der Wissenschaft, welche die beste und nachhaltigste Erholung von<lb/> den Mühen eines arbeitsreichen und verantwortlichen Berufs gewähren könnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_585"> Aber auch die Interessen der allgemeinen Bildung werden dadurch ge¬<lb/> schädigt. Hat doch wohl jeder von uus selbst die Erfahrung gemacht, daß<lb/> nichts so sehr wie die eigne wissenschaftliche Arbeit Anlaß und Gelegenheit,<lb/> ja oft die Nötigung mit sich bringt, auch in deu dem besondern Fache benach¬<lb/> barten Gebieten Umschau zu halten und die Herrschaft über dieses durch einzelne<lb/> Vorstöße und Streifzüge über seine Grenzen hinaus zu befestigen. Gerade<lb/> dabei gewinnt man zuweilen die überraschendsten und förderlichsten Einsichten<lb/> und lernt bisher Vereinzeltes als zusammengehörig begreifen und bisher über-<lb/> sehene Verbindungen in ihrer lebendigen Wirksamkeit erkennen. Wenn daher<lb/> heutigen Tages oft geklagt wird, in den studirten Kreisen sei die allgemeine<lb/> Bildung gesunken, so ist damit zugleich ciusgesprvcheu, daß weniger wissen¬<lb/> schaftlich als früher studirt wird, und ich fürchte, wenn wir ehrlich fein wollen,<lb/> werden wir das uicht in Abrede stellen können. Beide Erscheinungen hängen<lb/> aber tief innerlich zusammen; beide sind verhältnismäßig jüngern Ursprungs,<lb/> beide werden sich auch zusammen mindern oder ganz abstellen lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_586" next="#ID_587"> Noch ist es ja gar nicht so lange her, daß es für jeden Studenten selbst¬<lb/> verständlich war, in den ersten Semestern einige philosophische Kollegien zu</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II IL8S 28</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0225]
Student wenigstens ans einem, wenn auch eng umgrenzten Gebiete selbst wissen¬
schaftlich arbeitet, selbst einen Versuch zur Forschung macht. Nur wer so von
einem, durch eigne Kraft eroberten festen Punkt aus sich in seinem Fache
heimisch gemacht hat, wird das Fach im ganzen übersel,en und in seinen
einzelnen Teilen beherrschen. Es ist dem gegenüber zu bedauern, daß manche
neuere Prüfungsordnung viel mehr den äußern Umfang der Kenntnisse als die
Intensität der geistigen Arbeit betont, die auf Durchdringung der wissenschaft¬
lichen Prinzipien verwandt worden ist. Das gilt namentlich auch von der
Prüfungsordnung für die Kandidaten des höhern Schnlamtes, welche deren
Prüfungsarbeiten des frühern wissenschaftlichen Charakters einigermaßen beraubt
hat, schon durch die knappe Bemessung der dafür gewährten Zeit, dann aber
auch dadurch, daß das Gesamtnrteit sich schließlich nach der Zahl der Fächer
bestimmt, in denen eine Lehrbefähigung erworben worden ist. Denn rücksicht¬
lich seiner Verwendbarkeit und daher seiner Anstellungssähigkeit steht nun der
ausgezeichnetste Philologe, Historiker oder Mathematiker jedem Konkurrenten
nach, der mit seinen Kenntnissen dem Reglement „eben noch" gelingt, sich
daneben aber ähnliche, „eben noch genügende" Kenntnisse in einem oder mehreren
andern Fächern erworben hat. Dadurch wird das wissenschaftliche Interesse
und das rechte wissenschaftliche Streben bei der jüngern Lehrerwelt geschädigt,
weil diese veranlaßt wird, ihre Studien von vornherein nicht mehr in die Tiefe,
sondern auf eine gewisse euehklopädische Übersicht mehrerer Fächer zu richten.
Daher fehlt ihr, wie neuerdings so oft geklagt wird, nachher die lebendige
Fühlung mit der Wissenschaft, welche die beste und nachhaltigste Erholung von
den Mühen eines arbeitsreichen und verantwortlichen Berufs gewähren könnte.
Aber auch die Interessen der allgemeinen Bildung werden dadurch ge¬
schädigt. Hat doch wohl jeder von uus selbst die Erfahrung gemacht, daß
nichts so sehr wie die eigne wissenschaftliche Arbeit Anlaß und Gelegenheit,
ja oft die Nötigung mit sich bringt, auch in deu dem besondern Fache benach¬
barten Gebieten Umschau zu halten und die Herrschaft über dieses durch einzelne
Vorstöße und Streifzüge über seine Grenzen hinaus zu befestigen. Gerade
dabei gewinnt man zuweilen die überraschendsten und förderlichsten Einsichten
und lernt bisher Vereinzeltes als zusammengehörig begreifen und bisher über-
sehene Verbindungen in ihrer lebendigen Wirksamkeit erkennen. Wenn daher
heutigen Tages oft geklagt wird, in den studirten Kreisen sei die allgemeine
Bildung gesunken, so ist damit zugleich ciusgesprvcheu, daß weniger wissen¬
schaftlich als früher studirt wird, und ich fürchte, wenn wir ehrlich fein wollen,
werden wir das uicht in Abrede stellen können. Beide Erscheinungen hängen
aber tief innerlich zusammen; beide sind verhältnismäßig jüngern Ursprungs,
beide werden sich auch zusammen mindern oder ganz abstellen lassen.
Noch ist es ja gar nicht so lange her, daß es für jeden Studenten selbst¬
verständlich war, in den ersten Semestern einige philosophische Kollegien zu
Grenzboten II IL8S 28
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